Der folgende Artikel ist die Übersetzung eines Artikels aus der Zeitschrift Lutte de Classe (Nr.245, Februar 2025)
Nach einer zehntägigen Blitzoffensive, gestartet von einer Koalition unter Führung der islamistischen Organisation Hayat Tahrir al-Cham (HTC) aus dem Nordwesten Syriens, floh Baschar al-Assad am 8. Dezember aus der Hauptstadt Damaskus. Mit grenzenloser Heuchelei applaudierten westliche Staats- und Regierungschefs dem Sturz des „barbarischen Staates“, wie Macron es formulierte. In Wirklichkeit hat es sie nie gestört, sich mit Diktaturen in aller Welt zu arrangieren. Und so hatten sie sich auch mit der Diktatur Assads arrangiert, der auf seine Weise stets zur Aufrechterhaltung der imperialistischen Ordnung im Nahen Osten beigetragen hat - nicht zuletzt, indem er sein Volk mit Terror unterdrückte.
Das Assad-Regime war von Hafez al-Assad, dem Vater des gestürzten Diktators gegründet worden. Lange Zeit gab es sich den Anschein, als stünde es für den Kampf gegen den Imperialismus. Wie ist es entstanden und wie waren seine Beziehungen zum Imperialismus? Welche Perspektiven eröffnen sich für die Bevölkerung Syriens nach seinem Sturz? Um diese Fragen zu beantworten, muss man zurückblicken, wie die imperialistischen Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kontrolle über den Nahen Osten erlangten.
Die Balkanisierung des Nahen Ostens
Mehrere Jahrhunderte lang war diese Region Teil des Osmanischen Reiches, ein riesiges Gebiet ohne Binnengrenzen, in dem sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger friedlich zusammenlebten. Während des Ersten Weltkrieg einigten sich die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien darauf, die Überreste dieses alten Reiches, das sich im Krieg auf die Seite Deutschlands gestellt hatte, unter sich aufzuteilen. Die 1916 unterzeichneten Sykes-Picot-Abkommen sahen vor, dass die Gebiete des heutigen Syrien und Libanon unter französische Kontrolle gestellt werden sollten, während der Irak und das heutige Jordanien an die Briten fallen und Palästina als internationale Zone betrachtet werden sollte. Diese hinter dem Rücken der Völker geschlossenen und geheim gehaltenen Abkommen – die Bolschewiki machten sie unmittelbar nach ihrer Machtübernahme im Oktober 1917 öffentlich – wurden 1920 auf der Konferenz von San Remo, einem der zahlreichen Treffen der Siegermächte nach Kriegsende, in ihren Grundzügen bestätigt.
Der Völkerbund (der Vorläufer der UNO) erteilte Frankreich und Großbritannien das Mandat über diese neuen Staaten im Nahen Osten, darunter Palästina. Diese Mandate enthielten den Auftrag, die neuen Staaten zur Unabhängigkeit zu führen, sobald die Voraussetzungen dafür gegeben seien... also so spät wie möglich! Bis dahin gaben diese Mandate Frankreich und Großbritannien das Recht, dort ihre Verwaltung aufzubauen und Truppen zu stationieren. Um ihre Herrschaft zu festigen, spielten die Mandatsmächte die Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus, was zu endlosen Auseinandersetzungen führte. So führte die von den britischen Behörden geschürte Feindschaft zwischen Juden und Arabern in Palästina zur Teilung des Landes und zum arabisch-israelischen Konflikt, der den Nahen Osten bis heute in Blut tränkt.
Die Zeit des französischen Mandats
Die französischen Behörden teilten das Gebiet, über das sie ihr Mandat ausübten, zunächst in zwei Staaten auf: den Libanon und Syrien. In jedem dieser Staaten gaben sie bestimmten religiösen Minderheiten eine bevorzugte Stellung, um sich deren Unterstützung zu sichern. So gewährten die französischen Behörden in Syrien, wo die Mehrheit der Bevölkerung sunnitische Muslime waren, einige Jahre lang den Alawiten (eine Strömung aus dem schiitischen Islam), die weniger als 10 % der Bevölkerung ausmachte, eine autonome Verwaltung; ebenso den Drusen, die weniger als 5 % der Bevölkerung ausmachten. Ein weiteres autonomes Gebiet, der Sandschak Alexandretta im Norden an der Grenze zur Türkei, umfasste sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, darunter eine starke türkischsprachige Minderheit. 1939 traten die französischen Behörden dieses Gebiet einfach an die Türkei abgetreten, deren Gunst sich der französische Imperialismus kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sichern wollte – ein weiterer Ausdruck für ihre Verachtung gegenüber diesen Völkern. Diese Annexion trieb einen Teil der dort lebenden Bevölkerung ins Exil, darunter 15.000 Armenier, die verständlicherweise Angst davor hatten, unter türkische Verwaltung zu fallen.
Die französischen Behörden stützten sich auf die Klasse der feudalen Großgrundbesitzer, die den Großteil des Landes besaßen und die Grund hatten, antikoloniale Massenbewegungen und Kämpfe der Pächter auf dem Land zu fürchten. Tatsächlich brachen seit 1920 regelmäßig Aufstände in allen Regionen aus, auch in den Gebieten der Drusen, die die Behörden vorgaben zu begünstigen. Die französische Armee schlug diese Aufstände gnadenlos nieder und bombardierte 1926 sogar die Hauptstadt Damaskus. Nach einer neuen Welle von Aufständen im Jahr 1936 war die französische Regierung gezwungen, einen Vertrag auszuhandeln, der die Unabhängigkeit Syriens anerkannte. Doch die Volksfront-Regierung, die die kolonialen Interessen Frankreichs vertrat, weigerte sich, den Vertrag der Nationalversammlung zur Abstimmung vorzulegen. Damit blieb er ein Stück Papier. Erst 1941, als De Gaulles die Unterstützung der unter französischer Kolonialherrschaft stehenden Bevölkerungen zu gewinnen versuchte, erkannten seine Vertreter die Unabhängigkeit Syriens an. In Wahrheit jedoch
In Wahrheit hatte De Gaulle nie vor, die Präsenz des französischen Imperialismus in der Region zu beenden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs versuchte De Gaulle sogar, dem neuen syrischen Staat einen Vertrag aufzuzwingen, der ihn unter seiner Herrschaft gehalten hätte. Dieser Versuch, die Mandatsmacht der Vorkriegszeit in verschleierter Form fortzusetzen, löste einen Aufstand aus, den die französischen Truppen trotz gewaltsamer Unterdrückung und einer erneuten Bombardierung Damaskus' im Jahr 1945 nicht niederschlagen konnten.
Geschwächt durch den Zweiten Weltkrieg, unter dem Druck der Volksaufstände und unter dem Druck der Vereinigten Staaten, der neuen herrschenden Macht in der Region, war der französische Imperialismus schließlich gezwungen sich zurückzuziehen. Die letzten französischen Soldaten verließen Syrien im April 1946.
Die kommunistische Bewegung in Syrien
In dieser von zahlreichen Aufständen geprägten Region gab es schon sehr früh eine kommunistische Bewegung. Diese versuchte in ihren ersten Jahren, den Kampf gegen den Imperialismus zu verbinden mit dem Kampf für die Emanzipation der Arbeiter in den Städten und auf dem Land. Die Russische Revolution von 1917 hatte große Begeisterung ausgelöst, und durch die Veröffentlichung der Sykes-Picot-Abkommen erhielt die Sowjetunion großes Ansehen bei allen, die sich im antikolonialen Kampf engagieren wollten.
1925 schlossen sich mehrere kommunistische Gruppen, die sich in den Jahren zuvor gebildet hatten, zur Kommunistischen Partei Syriens und des Libanon (PCSL) zusammen. Mit diesem Namen wollten sie auch zum Ausdruck bringen, dass sie die Balkanisierungspolitik des Imperialismus ablehnten. In einem gemeinsamen Programm, das sie auf einem gemeinsamen Kongress 1931 verabschiedeten, bekräftigten die KSPL und die KP Palästinas ihren Willen, ihren Kampf gegen den Imperialismus auf die gesamte arabische Welt auszuweiten. Der Text schloss mit den Worten: „Die Kommunisten werben für die nationale Einheit in Form einer panarabischen Arbeiter- und Bauernföderation.“
Leider hatte die Partei keine Möglichkeit, eine solche Politik umzusetzen. Die Stalinisierung der Kommunistischen Internationale machte sie in den 1930er Jahren zu einem gefügigen Instrument im Dienst der Diplomatie der sowjetischen Bürokratie. Die KSPL sah sich gezwungen, gegenüber der Volksfrontregierung in Frankreich eine versöhnliche Haltung einzunehmen, um das französisch-sowjetische Bündnis nicht zu gefährden.
1947 unterstützte die KP die Resolution der Vereinten Nationen zur Teilung Palästinas, für die die Sowjetunion gestimmt hatte. Diese Haltung kostete sie einen Großteil des Ansehens, das sie sich in den Jahren zuvor durch das mutige Engagement ihrer Mitglieder erworben hatte.
Von der Unabhängigkeit Syriens bis zur Vereinigung mit Ägypten
Im unabhängigen Syrien spielte die Armee sehr schnell eine zentrale Rolle. Sie war von der französischen Verwaltung zur Unterdrückung von Aufständen ausgebildet worden und rekrutierte sich hauptsächlich aus Minderheiten, insbesondere den Alawiten. Ihre Bedeutung wuchs noch, als Syrien 1948 in den ersten arabisch-israelischen Krieg verwickelt wurde. Die Niederlage deckte die Korruption und den Bankrott der damaligen Regierungsparteien auf, die eng mit der Oberschicht und Clans der Großgrundbesitzer verbunden waren. Gestützt auf die tiefe Unzufriedenheit der Bevölkerung stürzte die Armeeführung den Präsidenten der Republik und die Regierung, fast ohne auf Widerstand zu stoßen. Dieser Staatsstreich vom März 1949 war der erste einer langen Reihe, die das politische Leben des Landes über Jahre hinweg prägten.
Um Unterstützung in der Bevölkerung zu finden, beriefen sich die verschiedenen Gruppen, die sich um die Macht stritten, zunehmend auf panarabische nationalistische Ideen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im gesamten Nahen Osten großen Anklang fanden. Die ärmere Bevölkerung verband mit dem Panarabismus die Hoffnung, dass das Ende des französischen und britischen Mandats tatsächlich das Ende der Ungleichheit und Unterdrückung mit sich bringen würde. Der Panarabismus wollte die aus dem Kolonialismus stammenden Grenzen wieder abschaffen, um den Würgegriff des Imperialismus zu lockern und eine echte Entwicklung zu ermöglichen. Das Kleinbürgertum und die Armee verband mit dem Panarabismus ihr Bestreben, den imperialistischen Mächten einen größeren Anteil an den Reichtümern abzuringen, die durch die Ausbeutung der Ressourcen und der Bevölkerung erwirtschaftet wurden. Darüber hinaus konnten nationalistische Führer in dieser Zeit des Kalten Krieges versuchen, sich dem Druck der USA zu entziehen, indem sie sich der UdSSR zuwandten. So erhielt Syrien bereits 1956 sowjetische Militärhilfe, und im folgenden Jahr wurde ein erstes Handelsabkommen mit der UdSSR unterzeichnet.
Das Regime, das diese Entwicklung am besten veranschaulichte, war das des ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel Nasser. Nasser war 1952 mit der Gruppe der „freien Offiziere” an die Macht gekommen, die die von Großbritannien abhängige Monarchie gestürzt hatten. Im Juli 1956 verstaatlichte Nasser den Suezkanal, der bis dahin im Besitz einer westlichen Privatgesellschaft gewesen war. Daraufhin kam es zu einer französisch-britischen Militärexpedition gegen Ägypten, die von israelischen Truppen unterstützt wurde. Angesichts des gemeinsamen Widerstands der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion mussten Frankreich und Großbritannien die Militäroperation jedoch beenden.
Nasser ging aus dieser Machtprobe als Sieger hervor, gewann immense Popularität und konnte sich als Anführer der panarabischen Bewegung profilieren, die die verschiedenen Länder zu einer arabischen Nation vereinigen wollte. 1958 schlossen die syrischen Führer, die von Nassers Popularität profitieren wollten, einen Unionsvertrag mit Ägypten, wodurch die Vereinigte Arabische Republik entstand. Sehr schnell schien es jedoch so, dass die Vereinigung Ägypten einzig dazu dienen sollte, um die Kontrolle über den syrischen Staat zu übernehmen. Diese Union, die ausschließlich zum Vorteil des ägyptischen Staates geschlossen worden war, stieß innerhalb der syrischen Führungsschicht auf immer stärkeren Widerstand. 1961 stellte ein weiterer Staatsstreich die Unabhängigkeit Syriens wieder her.
Von der Machtübernahme durch die Baath-Partei bis zur Machtübernahme durch Hafez al-Assad
Das Scheitern der Einheit mit Ägypten begünstigte den Aufstieg der Baath-Partei (arabisch für „Erneuerung“). Sie wurde 1943 im Libanon gegründet und bekannte sich zum Panarabismus und Sozialismus. Als Verfechter einer arabischen Vereinigung war die Baath-Partei in mehreren Staaten des Nahen Ostens vertreten, wobei ihre beiden wichtigsten Zweige in Syrien und im Irak ansässig waren.
In diesen beiden Ländern brachten Staatsstreiche ab den 1960er Jahren Offiziere an die Macht, die von den „sozialistischsten“ Tendenzen der Baath-Partei beeinflusst waren. Das heißt, sie befürworteten eine stärkere staatliche Intervention in die Wirtschaft. Denn diese war unerlässlich, um die Schwäche der herrschenden Schichten und ihre Unfähigkeit, ihr Land zu entwickeln, auszugleichen. Doch nachdem sie an der Spitze Syriens und des Irak standen, unternahmen die Führer der Baath-Partei trotz ihres proklamierten Panarabismus keinen Versuch, die beiden Länder zu vereinen. In beiden Ländern handelten sie als Vertreter der Interessen ihrer herrschenden Schichten, deren Schicksal und Privilegien mit der Aufrechterhaltung der Grenzen und ihrer eigenen Staatsapparate verbunden waren.
Beide Länder durchliefen eine ähnliche Entwicklung, die dazu führte, dass das Militär zunehmend die Kontrolle über die Baath-Partei übernahm und diese zu einem Instrument machten, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Innerhalb der Armee kam es zu einer Machtkonzentration in den Händen jeweils eines ihrer Anführer, Saddam Hussein im Irak und Hafez al-Assad in Syrien, die eine persönliche Diktatur errichteten und damit die chronische politische Instabilität der vergangenen Jahre beendeten.
Die Diktatur des Assad-Clans
Im November 1970 begnügte sich Verteidigungsminister Hafez al-Assad nicht damit, seine Rivalen zu beseitigen, wie es bei früheren Staatsstreichen der Fall gewesen war. Er begann mit einer umfassenden Umstrukturierung der Institutionen, die er als „Korrektur“ der Revolution bezeichnete und die die Baath-Partei zu einer Organisation machte, die alle Bereiche des sozialen und kulturellen Lebens kontrollierte. 1972 wurde unter ihrer Vorherrschaft die Nationale Progressive Front gegründet. Alle Parteien, die legal existieren wollten, mussten sich dieser Organisation anschließen und damit der Regierung die Treue schwören. Hafez al-Assad, der sowohl Präsident der Republik als auch Generalsekretär der Baath-Partei war, hielt alle Hebel der Macht in seinen Händen. Vor allem aber standen alle Behörden unter der Aufsicht des gefürchteten Geheimdienstes Muchabarat, der Oppositionelle und überhaupt alle, die auch nur die geringste Kritik äußerten, willkürlich verhaften, foltern und ermorden konnte.
Wie fast alle anderen politischen Gruppierungen schloss sich auch die Kommunistische Partei der Front an und unterstützte das Regime. Sie wurde trotzdem verfolgt. Ein Teil ihrer Aktivisten lehnte diesen Bündnis mit den Machthabern ab. Sie spalteten sich 1976 ab und gründeten eine zweite kommunistische Partei, die in den Untergrund gehen musste.
Nach seiner Machtübernahme bemühte sich Hafez al-Assad um die Unterstützung des Kleinbürgertums, das „weniger Sozialismus“, d. h. weniger strenge staatliche Kontrolle wollte, um ihre Geschäfte ausbauen und freieren Zugang zu importierten Konsumgütern erhalten zu können. Im Laufe der Jahre wurde die staatliche Intervention in die Wirtschaft erheblich reduziert. Die sich entwickelnden privaten Unternehmen blieben jedoch von staatlicher Finanzierung abhängig und wurden meist von denselben Clans kontrolliert, die auch den Staatsapparat beherrschten, und zunehmend von der Familie Assad.
Konfliktreiche Beziehungen zum Imperialismus
Außenpolitisch bekräftigte das syrische Regime weiterhin seine Unabhängigkeit vom Imperialismus. Es bemühte sich jedoch auch um eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, die durch die in den vorangegangenen Jahren verfolgte Politik der Annäherung an die UdSSR beeinträchtigt worden waren.
Im Rahmen der Verhandlungen nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, in dem sich erneut Israel und die arabischen Staaten gegenüber standen, kam es zu direkten Kontakten zwischen syrischen Diplomaten und dem damaligen US-Außenminister Kissinger. Mehrfach traf sich Kissinger mit Hafez al-Assad, dessen „Pragmatismus“ er schätzte und den er als „Bismarck des Nahen Ostens“ bezeichnete. Diese Annäherung wurde durch einen Besuch des damaligen US-Präsidenten Nixon in Damaskus besiegelt.
Der Bürgerkrieg, der 1975 im Libanon ausbrach, bot Assad ebenfalls die Gelegenheit zu beweisen, wie nützlich sein Regime für den Imperialismus sein konnte. 1976 griff die syrische Armee in den libanesischen Bürgerkrieg ein und bekämpfte die palästinensischen Milizen und linken Gruppen, die die rechtsextremen Phalangisten zu besiegen drohten. Bis 2005 hatte Syrien anschließend Truppen im Libanon stationiert.
Mit seiner militärischen Intervention im Libanon und seiner Unterstützung der Hisbollah wollte das syrische Regime sowohl seine eigenen Interessen verteidigen als auch den Großmächten zeigen, dass es für die Aufrechterhaltung des Status quo in der Region unverzichtbar war. Im ersten Golfkrieg 1991 wurde dies noch deutlicher, als Assad die US-Intervention gegen den Irak unterstützte, der Kuwait unter seine Kontrolle bringen wollte.
Das syrische Regime war jedoch weiterhin in der Lage, seine Unabhängigkeit gegenüber dem Imperialismus zu behaupten. So lehnte es Assad 2003 ab, die US-Invasion des Irak zu unterstützen. Als Vergeltungsmaßnahme verabschiedeten die Vereinigten Staaten im Mai 2004 eine Reihe von Wirtschaftssanktionen: Sie verboten den Export vieler Waren nach Syrien, insbesondere von Waren, deren Bestandteile zu mehr als 10% in den Vereinigten Staaten hergestellt worden waren. Ausgenommen waren Lebensmittel und Medikamente.
Über Zwischenhändler gelang es dem syrischen Regime, diese Sanktionen teilweise zu umgehen, was die Importe jedoch verteuerte. Ansonsten waren Sondergenehmigungen nötig. So musste zum Beispiel die französische Regierung, die Airbus-Flugzeuge an Syrien verkaufen wollte, mehrfach eine solche Sondergenehmigung bei der US-Regierung beantragen – ohne sie jemals zu erhalten.
Die „arabische Politik” des französischen Imperialismus
Die französischen Regierungen scheuten keine Mühen, um - sobald sich die Gelegenheit bot - privilegierte Beziehungen zum syrischen Regime aufzubauen.
Präsident Mitterrand verurteilte mit keinem Wort, wie das syrische Regime von Februar bis März 1982 den Aufstand in Hama niederschlug, dabei ganze Stadtteile dem Erdboden gleichmachte und zwischen 15.000 und 25.000 Menschen tötete. Im Gegenteil, er war am 21. Oktober 1984 der erste französische Staatschef, der nach Damaskus reiste. Aber er war nicht der letzte, der sich auf den Weg in die syrische Hauptstadt machte.
Im Jahr 2000 war Chirac der einzige westliche Staatschef, der an der Beerdigung von Hafez al-Assad teilnahm. Als dessen Sohn Bashar al-Assad die Macht in Syrien übernahm, schlug Chirac ihm die Einrichtung einer „roten Telefonleitung” vor, also einer direkten Telefonverbindung, über die er angeblich jeden Freitagmorgen mit dem syrischen Diktator sprechen konnte. Ein Jahr nach seiner Wahl, im Jahr 2008, lud Sarkozy Baschar al-Assad zur Parade am 14. Juli ein und reiste im September selbst nach Damaskus.
Dieser diplomatische Aktivismus zahlte sich für mehrere große französische Konzerne aus. Als Baschar al-Assad seine Präsidentengarde mit einem GSM-Netz ausstatten wollte, erhielt Alcatel den Auftrag von der Nationalen Sicherheitsbehörde. Alcatel lieferte auch ein neues Kommunikationssystem für syrische Kampfflugzeuge. Der Betrieb und die Erweiterung des Hafenterminals von Latakia wurden im Juli 2009 dem Marseiller Konzern CMA CGM übertragen. Und im Ölsektor, aus dem mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen Syriens stammen, findet man den französischen Ölkonzern Total.
Das Regime, erschüttert durch den „Arabischen Frühling” von 2011
Die Bevölkerung musste für diese Politik der wirtschaftlichen Öffnung gegenüber westlichen Kapitalisten und den Parasitismus der herrschenden Schicht bezahlen. Das Regime verlangte zunehmend Opfer von ihr. Entsprechend wuchs die Abneigung gegenüber diesem zutiefst korrupten Regime, das jede Opposition unterdrückte.
Am Vorabend des Arabischen Frühlings war die soziale Lage, wie in anderen Ländern des Nahen Ostens und des Maghreb, explosiv geworden. Schätzungen zufolge lebten damals in Syrien 30% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Jeder Vierte war arbeitslos.
Die Assad-Diktatur hatte die säkulare Opposition zum Schweigen gebracht bzw. ihr nur wenig Raum gelassen. Damit hatte sie de facto fundamentalistische muslimische Strömungen begünstigt. Zwar war die islamistische Organisation der Muslimbrüder bei der brutalen Unterdrückung Anfang der 1980er Jahre zerschlagen worden. Doch das Regime hatte die Netzwerke toleriert, die um die Moscheen herum organisiert wurden - insbesondere die Hilfsvereine für die Ärmsten, die den Vorteil hatten, die mangelnde staatliche Armenfürsorge auszugleichen. Als im Februar 2011 die ersten Demonstrationen ausbrachen, gewannen islamistische Gruppen sehr schnell an Einfluss.
Angesichts der brutalen Repression durch die Machthaber mündete die Bewegung in einen Bürgerkrieg zwischen der regimetreuen Armee und Milizen, in denen dschihadistische Bewegungen eine vorherrschende Rolle spielten.
Nach anfänglichem Zögern verurteilten die Großmächte die repressive Gewalt des Regimes. Die französische Regierung musste die in den Jahren zuvor geknüpften Beziehungen abbrechen. Die westlichen Staats- und Regierungschefs, insbesondere in Washington, blieben jedoch sehr vorsichtig. Denn sie fürchteten die Instabilität, die ein Sturz des Regimes mit sich bringen könnte. Ihre Politik bestand darin, die regionalen Mächte Türkei, Saudi-Arabien und Katar über konkurrierende Milizen in Syrien intervenieren zu lassen.
In dem daraus resultierenden Chaos entstand die Organisation Islamischer Staat (IS), die nach dem Irak auch einen Teil Syriens unter ihre Kontrolle bringen konnte. Die Vereinigten Staaten bildeten daraufhin eine Militärkoalition gegen die dschihadistische Organisation, und in diesem Kampf wurde das syrische Regime zu einem faktischen Verbündeten. Auch wenn sie die Intervention Russlands verurteilten, waren die westlichen Staats- und Regierungschefs in Wahrheit erleichtert, als Russland ab 2015 militärische Unterstützung leistete.
Nach der Zerschlagung des IS schien sich ein gewisser Status quo einzustellen, der auf einem Kräftegleichgewicht beruhte, das durch den Sturz von Baschar al-Assad beendet wurde. Die Schnelligkeit, mit der das Regime zusammenbrach, zeigt, dass es von der Armee im Stich gelassen wurde. Diese setzte dem Vormarsch der HTC-Milizen keinen Widerstand entgegen. Alle Berichte sprechen von erschöpften, unterernährten und schlecht ausgestatteten Soldaten. Der dreizehnjährige Krieg hat das Regime schließlich zu Fall gebracht.
Nach dem Sturz der Diktatur des Assad-Clans
Die derzeitige Koalition in Damaskus wird von der HTC-Miliz angeführt, der Nachfolgerin der Al-Nusra-Front (dem syrischen Ableger von Al-Qaida). Mit Unterstützung der Türkei konnte sie ein relativ stabiles Regime in der Region um Idlib im Nordwesten Syriens etablieren, wo sich die Rebellenmilizen zusammengeschlossen hatten. Ihre „Heilsregierung” ging gegen Demonstranten vor, steckte Oppositionelle ins Gefängnis und führte eine Religionspolizei ein. Doch ihr Anführer, der HTC-Chef Ahmed al-Scharaa (der bis vor kurzem noch seinen dschihadistischen Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschaulani trug), soll die Repression der islamistischen Milizen manchmal abgemildert haben. Es gelang ihm auch, einen Teil der säkularen Opposition für sich zu gewinnen und in seine Reihen aufzunehmen.
Heute wissen wir von den HTC-Führern, dass sie ihre Offensive bereits ein Jahr vorher geplant hatten und sich dabei der mehr oder weniger wohlwollenden Neutralität der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens, Russlands und sogar Israels versichert hatten.
Seit der Bildung der neuen Regierung ist es das Anliegen der Großmächte, dass ein aus ihrer Sicht stabiler und verlässlicher Staat entsteht. Um zu zeigen, dass er sich geändert hat und kein extremistischer Dschihadist mehr ist, hat al-Scharaa, der neue Machthaber in Damaskus, seinen Kampfnamen abgelegt, seinen Bart gestutzt und seine Militärjacke durch einen Anzug ersetzt, der eher dem Image eines Staatschefs entspricht.
Doch auch wenn der politische Übergang in Damaskus bislang relativ geordnet verläuft, ist noch lange nicht sicher, dass dies auch im ganzen Land der Fall sein wird, in dem die verschiedenen Gebiete nach wie vor von verschiedenen Milizen (rivalisierende politisch-militärische Apparate) kontrolliert werden, die von konkurrierenden Regionalmächten unterstützt werden. Die Türkei interveniert im Norden militärisch gegen die Kurden, während Israel mit einer Serie von Bombardements die syrische Militärinfrastruktur zerstört hat. Nachdem die israelische Armee von den Golanhöhen aus ihr besetztes Gebiet erweitert hat, kann sie leicht weiter vordringen. Selbst die Vereinigten Staaten haben Gebiete in Syrien bombardiert, die noch vom IS kontrolliert werden.
Die imperialistischen Führer stellen damit das neue Regime unter Beobachtung. Entgegen ihren Behauptungen geht es ihnen nicht um das Schicksal der Minderheiten. Sie erwarten von den neuen Machthabern in Damaskus, dass sie für Stabilität sorgen und sich gegenüber der imperialistischen Ordnung in der Region verantwortungsbewusst verhalten. Die westlichen Diplomaten würden es vorziehen, wenn das neue syrische Regime präsentabler wäre als das der Taliban in Afghanistan. Aber sie werden sicherlich nicht allzu wählerisch sein, nicht mehr als gegenüber der äußerst reaktionären saudischen Monarchie, die ihre Gegner inhaftiert und ermordet und die Rechte der Frauen mit Füßen tritt.
Sicher ist nur, dass die Völker von den imperialistischen Mächten nichts zu erwarten haben. Seit diese in der Region intervenieren, haben sie Volksaufstände unterdrückt und unterdrückerische Regime unterstützt, die ihren Interessen dienten. Sie haben ständig Zwietracht zwischen den Völkern gesät, haben ihre Armeen ausgesandt, um Tod und Verwüstung zu verbreiten, haben Jahrzehnte der Entwicklung im Irak zunichte gemacht und dazu beigetragen, alle Nachbarländer ins Chaos zu stürzen. In Syrien wie im gesamten Nahen Osten besteht die einzige Hoffnung in den Arbeitenden und Ausgebeuteten und ihrem Kampf für die Abschaffung der korrupten bürgerlichen Regime und der imperialistischen Herrschaft.
15. Januar 2025