Social Media: ein „Raum der Freiheit“, der dem Kapital unterworfen ist

aus Lutte de Classe (Klassenkampf)
Mai 20025

Der folgende Artikel ist die Übersetzung eines Artikels aus der Zeitschrift Lutte de Classe (Nr.248, Mai/Juni 2025)

„Er ist ein großer Mann, er hat die Meinungsfreiheit gerettet“. Das waren Donald Trumps Worte über Elon Musk, als Dank für dessen Millionen Dollar-Spende im US-Präsidentschaftswahlkampf. Der Chef von X ist in der Tat sehr bemüht, sich als Verfechter der absoluten Meinungsfreiheit darzustellen. So haben Elon Musk und Mark Zuckerberg – der Chef von Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp…), der sich Trump zur rechten Zeit angeschlossen hat – angekündigt, die Content-Moderatoren abzuschaffen. So nennt man jene Arbeitenden, die die von den Nutzern geposteten Inhalte kontrollieren und die Konten derjenigen löschen, die gegen die von den Plattformen festgelegten Regeln verstoßen.

In der Welt der sozialen Medien scheint die Meinungsäußerung frei zu sein und mit jedem Handy möglich. Man braucht kein Startkapital, man muss nicht in hochentwickelte Maschinen investieren. Aufgrund dieser Tatsache gelten die sozialen Netzwerke, im Gegensatz zu den traditionellen Medien, als demokratisch. Hinter dem Schein und der von den steinreichen Eigentümern der sozialen Medien proklamierten Freiheitsliebe verbergen sich jedoch knallharte Interessen und der Wille, die öffentliche Meinung zu beeinflussen – ein Wille, den alle Kapitalisten teilen, die in die Medien investieren.

 

Kolossale Infrastrukturen

Die Grundlage der sozialen Medien bildet, was oft vergessen wird, eine sehr aufwendige Infrastruktur. Das Internet und die sozialen Netzwerke basieren auf dem weltweiten Austausch von Informationen und Daten, und dieser Austausch läuft hauptsächlich über Unterseekabel. Fast 450 Unterseekabel mit einer Gesamtlänge von 1,2 Millionen Kilometern (dem Dreißigfachen des Erdumfangs) durchziehen mittlerweile den Meeresboden. Die Schiffe, die diese Kabel auf dem Meeresboden verlegen, gehören großen Konzernen. Sie allein sind in der Lage, solche Investitionen zu tätigen. Im September 2021 finanzierte ein Konsortium von Orange, Google und Facebook den Ausbau des längsten Kabels der Welt: 45.000 Kilometer zwischen Europa, Afrika und Asien. Vor kurzem hat Meta ein gigantisches Milliardenprojekt angekündigt: ein 50.000 Kilometer langes Kabel. Diese Unterseekabel, die die ganze Welt verbinden und über die 99 % der weltweiten Kommunikation laufen, gehören (wie jede andere Ware auch) denen, die dafür bezahlen, sprich den multinationalen Konzernen, die sie installieren. Und wenn es sich nicht um Unterseekabel handelt, sind es Satelliten wie das Starlink-Netzwerk, das 2018 von Elon Musk ins Leben gerufen wurde und derzeit ausgebaut wird. Das Netzwerk benötigt auch Rechenzentren, also riesige Gebäude mit Servern, auf denen Daten aus aller Welt gespeichert werden. Weltweit gibt es etwa 7.000 solcher Rechenzentren, davon 1.200 in den Vereinigten Staaten und etwa 300 in Frankreich. Diese Speicherzentren verbrauchen enorm viel Strom. Laut der Unternehmensberatung McKinsey dürfte sich ihr Verbrauch bis 2030 verdreifachen. In Europa könnten sie bis zu 5% des gesamten Stromverbrauchs des Kontinents verschlingen. In den USA würden die von den Digitalriesen geplanten Rechenzentren 92 Gigawatt verbrauchen: Das ist fast die Hälfte des Stromverbrauchs des Landes.

Hinzu kommt die menschliche Arbeit, die für all diese Produktionsmittel erforderlich ist: von Ingenieuren, die ständig neue Algorithmen entwickeln und neue Funktionen erfinden, bis hin zu den Arbeiterinnen und Arbeitern, die in armen Ländern für Hungerlöhne die neuen Modelle der künstlichen Intelligenz trainieren.

All dies konnte also nur mit erheblichen finanziellen Mitteln entstehen. Und das Privateigentum an den Produktionsmitteln gibt ihrem Eigentümer das ausschließliche Recht, sie zu nutzen. Dieses Grundgesetz des Kapitalismus gilt für die industrielle Produktion ebenso wie für die geistige Produktion. Infolgedessen haben diejenigen, die in die für die sozialen Netzwerke und das Internet notwendige Infrastruktur investieren, auch deren ausschließliches Nutzungsrecht und nutzen sie zur Verteidigung ihrer Interessen.

 

Ein sehr lukratives Geschäft

In Wirklichkeit ist die von den Digitalkapitalisten versprochene Meinungsfreiheit in erster Linie ein sehr lukratives Geschäft. Jeder kann kostenlos ein Konto in einem sozialen Netzwerk eröffnen. Doch damit akzeptiert er, dass die Plattform seine persönlichen Daten nutzt. Die Plattform sammelt Daten, wenn der Nutzer aktiv ist und nutzt diese Daten entweder selber oder verkauft sie an andere Unternehmen. Die Plattformen wissen ganz genau, wie viel Zeit jemand in einem sozialen Netzwerk verbringt, was er sich angesehen hat, mit welchen Personen er interagiert hat, welche Art von Videos er am häufigsten ansieht... Diese Daten werden von Unternehmen gekauft, die damit ihr Marketing anpassen, gezielt Werbung versenden und Kaufentscheidungen beeinflussen können. Die sozialen Medien setzen gezielt Strategien ein, damit die Nutzer so lange wie möglich online bleiben und somit möglichst viele Werbeanzeigen sehen. Auf einigen Plattformen ist die Benutzeroberfläche so gestaltet, dass Videos ununterbrochen in einer Schleife abgespielt werden: Man kann Stunden damit verbringen, durch sie hindurch zu scrollen. Algorithmen, also von den Plattformen erstellte Computerprogramme, wählen die emotional stärksten Inhalte aus, um den Nutzer „süchtig“ zu machen. Im Jahr 2022 beliefen sich die Einnahmen von Meta auf 116 Milliarden Dollar. Davon stammten 113 Milliarden Dollar aus der Werbung. 97% der Einnahmen der Plattform von Zuckerberg stammen aus dem Verkauf von Werbeflächen an Unternehmen, die so die Aufmerksamkeit und damit den Geldbeutel der Nutzer gewinnen können. Am 31. März 2025 hat TikTok sogar eine neue Funktion eingeführt: Online-Shopping direkt über die App.

Influencer spielen ebenfalls eine wichtige Rolle in der Geschäftsstrategie der Marken. Diese Männer und Frauen sind in den sozialen Medien sehr aktiv, und manchen von ihnen folgen Hunderttausende oder sogar Millionen Menschen. Große Marken bieten ihnen dann an, für ihre Produkte zu werben. Im Jahr 2023 gaben die Unternehmen laut der Zeitschrift Challenges mehr als 32 Milliarden Dollar für die Bezahlung von Influencern aus. Diese sind zu echten digitalen Vertriebsmitarbeitern geworden. Im Jahr 2022 war eine französische Influencerin mit zehn Millionen Followern an der Markteinführung der Saint-Honoré-Tasche von Dior beteiligt. Natürlich ist es schwierig, den kommerziellen Nutzen dieser Praxis einzuschätzen, sprich: Wie viele Follower kaufen anschließend ein Produkt der Marke? Aber wenn Unternehmen so viel Geld dafür ausgeben, dann weil sie davon profitieren.

Tatsächlich ist der Markt in den sozialen Netzwerken riesig. Er wird auf fünf Milliarden Nutzer geschätzt: 400 Millionen nutzen X, drei Milliarden nutzen Facebook und 1,7 Milliarden TikTok. So viele potenzielle Verbraucher, die über die sozialen Medien von den Kapitalisten umworben werden.

 

Social Media als Meinungs-Influencer?

Soziale Medien dienen nicht in erster Linie der freien Meinungsäußerung. Sie sind zuallererst ein Mittel, um potenzielle Kunden kennenzulernen und zu steuern, um möglichst effizient zu verkaufen und dabei immer besser auf die persönlichen Vorlieben der Nutzer einzugehen. Aber soziale Netzwerke haben auch ein politisches Interesse. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wollen die Kapitalisten der Digitalwirtschaft die öffentliche Meinung beeinflussen. Sie können entscheiden, wer sich auf ihren Plattformen äußern darf und unter welchen Bedingungen. Nachdem Elon Musk 2022 Twitter übernommen und in X umgewandelt hatte, hat er zwar den Account von Trump wieder freigeschaltet, aber gleichzeitig die Verwendung bestimmter Wörter verboten, die er für „Wokismus“ hält. So hat er beispielsweise das Wort „cisgender“ verboten, das in der LGBT-Community verwendet wird und vom Milliardär Musk als Beleidigung angesehen wird. Ebenso kann ein individueller Account jederzeit willkürlich gesperrt werden, und es ist sehr kompliziert dagegen vorzugehen. Eine Untersuchung der BBC zeigt beispielsweise, wie Meta nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verschiedene palästinensische Medien unsichtbar gemacht und damit der Propaganda des israelischen Staates freie Bahn gelassen hat. Nach Aussagen ehemaliger Beschäftigter brauchte nur ein interner Algorithmus geändert werden, und schon wurden bestimmte Konten und Inhalte gelöscht.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich soziale Medien nicht wesentlich von den traditionellen Medien wie Fernsehen, Radio und Printmedien, die direkt oder indirekt einer Handvoll Kapitalisten gehören. In Frankreich zählen viele große Namen des französischen Kapitalismus zu ihnen: die Bettencourts, Arnaults, Dassaults, Bollorés, Pinaults, Bouygues, Lagardères, Saadés; Bankiers wie die Familie Rothschild; neuere Kapitalisten, die ihr Vermögen mit dem Aufschwung der Digitaltechnik gemacht haben, wie Xavier Niel. In den Aktien-Portfolios der großen französischen Kapitalisten finden sich die großen überregionalen Zeitungen wie Le Figaro, Le Monde, Les Échos, Le Parisien, Paris-Match, zahlreiche Regionalzeitungen wie La Provence, die 2022 von Saadé gekauft wurde, sowie Radiosender wie NRJ, RTL, Europe 1, RMC sowie Fernsehsender wie W9, M6, TF1, LCI, BFM TV... Natürlich mischen sich diese Großkapitalisten nicht direkt in den Betrieb ihrer Medien ein, oder zumindest nur sehr selten, auch wenn ein ultra-reaktionärer Milliardär wie Bolloré seine arbeiterfeindlichen Ideen offen verteidigt. Doch aufgrund ihres Eigentumsrechts können sie ihre Medien nach Belieben gestalten, insbesondere durch die Auswahl eines passenden Teams an Journalisten. So hielt es Rodolphe Saadé, der steinreiche Chef des weltweiten Schifffahrtskonzerns CMA CGM und Besitzer mehrerer Zeitungen, im März 2024 für angebracht, den Chefredakteur der Regionalzeitung La Provence zu entlassen. Grund dafür war, dass ihm eine Titelseite missfiel, die – in sehr moderater Form – die Regierungs-Operation „sauberer Platz“ in Marseille kritisierte, weil diese das Problem des Drogenhandels in den Vorstädten nicht löste. Aber solche Skandale sind selten. Die bedeutendsten Journalisten verkehren in den Kreisen ihrer Chefs, in den Kreisen der Wirtschaftsbosse und der Politik. Sie vertreten deren Interessen und Meinungen, ohne dazu extra aufgefordert werden zu müssen.

Soziale Netzwerke scheinen weniger einer politischen Linie und der Kontrolle durch Journalisten zu unterliegen. Auf den ersten Blick scheint es keine Einmischung von außen zu geben. Doch in Wahrheit werden die sozialen Medien von Algorithmen gesteuert, die vollständig von den Plattformen kontrolliert werden. Diese Algorithmen heben bestimmte Inhalte hervor und andere nicht. Sie treffen eine Auswahl, und zwar nach Kriterien, die von den Plattformen festgelegt werden. Einige stellen bestimmte Schwerpunkte in den Vordergrund, andere die Interaktion mit anderen Nutzern usw. Wenn man beispielsweise Interesse an Politik bekundet, werden die Algorithmen mit großer Wahrscheinlichkeit Videos und Inhalte von Elon Musk oder der extremen Rechten im Allgemeinen vorschlagen, selbst wenn man völlig gegensätzliche politische Ansichten vertritt. Welche Inhalte angezeigt werden, ist also nicht frei, sondern vollkommen verzerrt durch die Funktionsweise der Plattformen.

Diese Manipulation der Inhalte sowie die immense Popularität der sozialen Medien machen sie zu einer diplomatischen Waffe, die zum Beispiel von den westlichen Regierungen bei ihrer anti-chinesischen Propaganda genutzt wird. So hat Biden TikTok am Ende seiner Amtszeit aus den USA verbannt, unter dem Vorwand, dass der Mutterkonzern chinesisch sei und somit ein hohes Risiko ausländischer Einflussnahme bestehe. In der Tat verfügen die Vereinigten Staaten und ihre Geheimdienste in dieser Hinsicht über langjährige Erfahrung. Trump hat die Entscheidung ausgesetzt, jedoch nur unter der Bedingung, dass die Plattform ihre Aktivitäten im Land an ein US-Unternehmen abgibt – eine Gelegenheit für Elon Musk, der sofort sein Interesse bekundete. Auch in Europa werden soziale Medien wie andere traditionelle Medien als Propaganda-Instrumente genutzt. Die gesamte politische Klasse nutzt sie. Die großen Parteien geben in ihren Wahlkämpfen erhebliche Mittel aus, um die sozialen Medien zu überschwemmen. Und im Notfall haben die verschiedenen Staatsapparate alle Freiheiten, ein soziales Netzwerk, einen Fernsehsender oder eine Zeitung zu sperren oder deren angebliche Auswirkungen zu zensieren. So wurden in Rumänien die Präsidentschaftswahlen vom 24. November 2024 für ungültig erklärt – unter dem Vorwand, der pro-russische Spitzenkandidat habe von einer Kampagne auf TikTok profitiert. Der wahre Grund war, dass dieser Kandidat der Europäischen Union missfiel. In Frankreich hat Präsident Macron nach den Unruhen, die auf den Tod des jungen Nahel in Nanterre im Juni 2023 folgten, ebenfalls öffentlich erwogen, die sozialen Medien bei solchen Ereignissen zu sperren. Und Macrons Regierung hat dies bei den Unruhen in Neukaledonien im letzten Jahr auch getan: Sie sperrte TikTok mit der Begründung, die „Randalierer“ würden über das soziale Netzwerk für Terrorismus werben.

Das also ist die von den sozialen Medien versprochene „Meinungsfreiheit“.

 

Neues Instrument, altes Anliegen

Im Grunde sind soziale Netzwerke nur ein weiteres modernes Kommunikationsmittel, das die Bourgeoisie nutzen kann, um ihre Herrschaft zu festigen. Die Ideen der herrschenden Klasse durchdringen die gesamte Gesellschaft: die Organisation der Arbeit ebenso wie die Kultur oder die Philosophie. Die Ausgebeuteten können die bestehende Gesellschaftsordnung nur akzeptieren, solange sie davon überzeugt sind, dass diese ungerechte Gesellschaftsordnung von der menschlichen Natur oder sogar von Gott gewollt wäre. Sprich, dass man sie nicht ändern könne, dass es schon immer Reiche und Arme gegeben habe, dass alles so ist, wie es sein soll. Jahrhundertelang hat die Religion diese Rolle als „Opium des Volkes“ gespielt, um einen berühmten Ausdruck von Marx zu verwenden. Der beherrschende Einfluss des Klerus diente dazu, die Meinung der ausgebeuteten Klassen zu beeinflussen und zu formen. Er predigte und predigt ihnen noch immer Unterwerfung und Geduld. Als die Schule zu einer staatlichen Einrichtung wurde, verbreitete sie ebenfalls die Ideen der Bourgeoisie. Sie verteidigte die bürgerliche Republik, ihre kolonialen Eroberungen, Respekt vor Staat und Autorität. 1846 analysierte Marx in „Die deutsche Ideologie“, auf welchen Wegen die Ideen in Klassengesellschaften verbreitet werden: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion“.

Der Kapitalismus hat die Produktionsmittel entwickelt und dabei wichtige Innovationen im Bereich der Kommunikation hervorgebracht: Zeitungen, Radio, Kino, Fernsehen, Internet... Jede technologische Entwicklung brachte zunächst mehr Freiheit mit sich. Einige Innovationen entstanden aus humanistischen Idealen. In den Anfängen des Internets ging es vor allem um den Informationsaustausch im universitären Bereich, da die verschiedenen IT-Unternehmen Computer entwickelt hatten, die untereinander nicht kompatibel waren. Die Hilfe des Staates war entscheidend für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur, da die Kapitalisten keine hohen Investitionen tätigen wollten, ohne sicher zu sein, ob die betreffende Technologie effizient und rentabel sein würde. Sobald jedoch die Technologie eingeführt war, strömte das private Kapital in diesen Sektor und übernahm die Kontrolle. Das Internet wurde zunächst unter militärischer Ägide entwickelt, bevor es in den 1990er Jahren für zivile Zwecke und schließlich kommerziell genutzt wurde. Das gleiche Phänomen lässt sich beim Radio beobachten, das in den 1920er Jahren aufkam, oder beim Fernsehen, das zur gleichen Zeit erfunden wurde, sich aber erst ab den 1950er Jahren wirklich verbreitete. Wie bei jeder Entwicklung neuer Medien erscheinen diese zunächst als Mittel für eine freiere Information und Meinungsäußerung, da das Kapital diesen neuen Sektor noch nicht in Beschlag genommen hatte. In den 1970er Jahren stellte in Frankreich eine Bewegung für freie Radiosender das Monopol des staatlichen Rundfunks in Frage. Sie errichteten illegale Sender, die zwar nicht unbedingt die Gesellschaftsordnung, aber doch zumindest die herrschenden Verhältnisse und Werte kritisierten. Sie stießen jedoch auf das Problem ihrer Finanzierung. So kam es zur Debatte über mögliche Werbung: Sollten die freien Radiosender, um der Zensur durch die Machthaber zu entgehen und weiter senden zu können, Werbung akzeptieren? Das hätte natürlich bedeutet, sich der Kontrolle privater Kapitalgeber zu unterwerfen. In Frankreich beendete die Regierung 1982 das staatliche Rundfunkmonopol und legalisierte gleichzeitig die freien Radiosender. Sie wurden zu einfachen Privatsendern, die, wenn sie das Geld ihrer Werbekunden nicht verlieren wollten, nur sehr zurückhaltende Kritik am System üben durften.

Das gleiche Problem stellte sich, als das Fernsehen in den 1980er Jahren Einzug in fast alle Haushalte hielt. Von nun an konnten alle, die die Möglichkeit hatten zu senden, Millionen von Zuschauern erreichen, und das mit einem einfachen, direkten Kommunikationsmittel und der zusätzlichen Kraft der Bilder. Die Werbeeinnahmen explodierten, und das ließ den Kapitalisten das Wasser im Mund zusammenlaufen. So gründete der Geschäftsmann, Kabinettschef von Mitterrand und spätere Chef der großen Werbeagentur Havas 1984 den ersten französischen Pay-TV-Sender, Canal +. 1986 gründete Jérôme Seydoux, ein französischer Großunternehmer, zusammen mit dem italienischen Milliardär Silvio Berlusconi den Privatsender „La Cinq“. Während 1986-88 Mitterand Präsident und Chirac Premierminister war, legte die konservative Regierung dann auch die gesetzliche Grundlage für die Zweiteilung im Rundfunk- und Fernsehsektor in einen öffentlichen und einen privaten Teil. Den Worten folgten Taten: 1987 wurde der Fernsehsender TF1 dem Bouygues-Konzern anvertraut. Hersant, ein großer französischer Kapitalist und bekannter Kollaborateur der Nazis während des Zweiten Weltkriegs, übernahm „La Cinq“ und M6, unter anderem mit Kapital des Konzerns „Lyonnaise des Eaux“.

Das Kapital verwandelt alles in Ware, auch die Meinungsfreiheit. Die Krise des Kapitalismus hat zur Folge, dass die Kapitalisten immer weniger in den produktiven Bereich investieren. Das Aufkommen der sozialen Netzwerke und in jüngster Zeit der künstlichen Intelligenz war daher ein Segen für das Kapital, das nach neuen Absatzmärkten suchte.

 

Die „Netzwerke”, die die Arbeiterklasse braucht

Wie können revolutionäre Aktivisten ihre Ideen verbreiten angesichts der mächtigen Informationsmittel, über die der Kapitalismus verfügt und insbesondere angesichts der heutigen Tech-Riesen?

Wie andere technologische Fortschritte auch sind soziale Netzwerke weder Quelle absoluter Freiheit noch ein Teufelswerk, das die menschlichen Beziehungen zerstört. Sie spiegeln die Widersprüche des Kapitalismus wider und sind sowohl hervorragende Kommunikationsmittel als auch Verbreiter von Gerüchten, Fake News und arbeiterfeindlichen Ideen. Es stimmt, dass die Kapitalisten, selbst die reichsten und mächtigsten, ihr eigenes System nicht immer vollständig unter Kontrolle haben. Soziale Medien bilden da keine Ausnahme. Und manchmal entzieht sich das Geschöpf seinem Schöpfer. Im Jahr 2011 spielten soziale Netzwerke eine große Rolle bei der Verbreitung des Arabischen Frühlings, ebenso bei der Hirak-Bewegung in Algerien 2019 und beim Ausbruch der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich 2018. Der einfache Zugang zu sozialen Medien kann sie zu einem sehr wirksamen Instrument machen, wenn Rebellen sie sich zu eigen machen. Im Dezember 2024 verbreitete sich der einfache Hashtag „IchBinNichtZufrieden“, der eine vage und allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zum Ausdruck brachte, in Algerien so stark, dass die Regierung nervös wurde. Mehrere Dutzend Menschen wurden festgenommen. Die Regierung hatte Angst, dass die Proteste in den sozialen Medien explodieren würden. Wenn die Massen wirklich in Bewegung kommen, finden sie immer Mittel und Wege, sich zu äußern, Aktionen zu organisieren und Informationen zu verbreiten, wobei soziale Netzwerke eine wichtige Rolle spielen können. Die Machthaber wissen das so gut, dass viele autoritäre Regime die Kommunikationsmittel, angefangen bei den sozialen Medien, sperren. Und die berühmten Libertären, zu denen sich Elon Musk zählt, würden dasselbe tun, wenn ihnen die Proteste entgleiten würden.

Wir sehen nicht, warum oder wie revolutionäre kommunistische Aktivisten auf soziale Netzwerke verzichten sollten, die für Millionen von Menschen längst zur wichtigsten Informationsquelle geworden sind, weit vor den traditionellen Medien. Aber wenn die revolutionären Ideen nicht „ankommen”, nicht viral gehen, dann deshalb, weil soziale Medien nur ein Echo der öffentlichen Meinung sind, das obendrein durch die erwähnten Algorithmen stark verzerrt wird. Die sozialen Netzwerke haben nicht die Macht, die allgemeine Lage zu verändern und im Alleingang die reaktionären Ideen des verrottenden Kapitalismus zurückzudrängen. Sie spiegeln im Grunde das allgemeine Kräfteverhältnis zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse zu einem bestimmten Zeitpunkt wider.

Für diejenigen, die den Sturz dieser Gesellschaftsordnung vorbereiten wollen, können soziale Netzwerke keine Organisation ersetzen, keine echte Partei mit menschlichen Bindungen. Sie können nur dazu beitragen, Ideen oder Informationen weiter zu verbreiten, oft auf oberflächliche Weise. Revolutionäre müssen sich unabhängige Möglichkeiten der Propaganda verschaffen, und in dieser Hinsicht spielt die gedruckte Presse eine wichtige Rolle. Historisch gesehen haben Zeitungen eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen gespielt: vom L’Écho de la Fabrique (Fabrik-Echo) der Lyoner Seidenweber (1831–1834) über den Northern Star (Nordstern) der britischen Chartisten (1837–1852) oder dem deutschen Sozialdemokrat (1879–1890) bis hin zur Iskra (Der Funke) der russischen Revolutionäre (1900–1917) ermöglichten unzählige Zeitungen den Arbeitern nicht nur, sich zu informieren, sondern auch eine gemeinsame Kritik am Kapitalismus zu entwickeln und sich zu organisieren.

Um eine Zeitung am Leben zu erhalten, muss man bei den Arbeitern, die sie lesen, um die notwendige Finanzierung kämpfen. Man muss Druckereien finden, die bereit sind, eine revolutionäre Zeitung zu drucken. Man muss über ein Netzwerk aus Aktivisten verfügen, die sie verkaufen und Käufer haben, die durch den Kauf der Zeitung Unterstützung leisten... Die Herstellung einer Arbeiterzeitung, sowohl in ihrer Konzeption als auch in ihrer Produktion und Verbreitung, erfordert menschliche Beziehungen und eine Organisation, die soziale Netzwerke nicht bieten können.

Eine unabhängige Arbeiterpresse zu haben, war einer der wichtigsten Kämpfe der Arbeiterbewegung. Selbst als sie 1878 in Deutschland verboten wurden, gelang es den deutschen Sozialdemokraten, ihre Presse im Ausland zu veröffentlichen und über ihre unzähligen Verbindungen ins Land zu schmuggeln. Dies wurde als „rote Post” bekannt. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Dutzende von Tageszeitungen und Zeitschriften und Hunderttausende von Abonnenten. In Russland hatte die bolschewistische Partei die Bedeutung dieser Frage sehr wohl verstanden. Sie verwandte sowohl im Ausland als auch durch den Betrieb von Untergrunddruckereien enorme Energie darauf, ihre Zeitungen zu veröffentlichen, die während des Ersten Weltkriegs sogar die Soldaten an der Front erreichten. Während des Bürgerkriegs, der auf ihre Machtübernahme folgte, war Trotzkis Zug, der an der Front hin und her fuhr, mit einer kleinen Druckerei ausgestattet, um Flugblätter zu drucken. Auch die neuen technologischen Mittel der damaligen Zeit, insbesondere das Radio, wurden genutzt, um die Ideen der Revolution zu verbreiten.

Die Nutzung der vom Kapitalismus entwickelten technischen Mittel ist eine Notwendigkeit. Aber man darf nicht vergessen, dass es sich dabei nur um Werkzeuge im Dienste des Aufbaus einer Arbeiterpartei handelt. Dieses Netzwerk von Kämpfern, das auf menschlichen Beziehungen, gemeinsamen Erfahrungen und Klasseninteressen beruht, muss sich im Laufe seiner Entwicklung zweifellos Zeitungen, Radiosender, soziale Medien und alle Mittel schaffen, um seine Ideen zu verbreiten und eine Gesellschaft ohne Profit und Ausbeutung vorzubereiten.

 

11. Mai 2025