Die Weltwirtschaft im Würgegriff der Schulden und des Finanzkapitals

aus Lutte de Classe (Klassenkampf)
Mai 2025

Der folgende Artikel ist die Übersetzung eines Artikels aus der Zeitschrift Lutte de Classe (Nr.248, Mai/Juni 2025)

 

Ende 2024 erreichte die (öffentliche und private) Gesamtverschuldung die astronomische Höhe von 318.000 Milliarden Dollar. Die Staatsverschuldung, insbesondere die der mächtigsten Staaten, machte etwa ein Drittel davon aus. Diese Summe ist mehr als drei Mal so groß wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP). Und diese Kapitalmasse wird noch weiter wachsen. Das bedeutet, dass die kapitalistische Wirtschaft weiterhin unter der Knute der Finanzwelt steht und außerdem ständig von einer „systemischen” Krise mit verheerenden Auswirkungen bedroht ist. Der Entwicklung in Richtung Krieg, beziehungsweise hin zu einer „Kriegswirtschaft”, verschärft diese bereits vor langem begonnene Entwicklung noch.

 

Die Verschuldung: ein Motor des Kapitalismus

Die Staatsverschuldung hat die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft begleitet, seit deren Anfängen im Feudalsystem einiger europäischer Länder. Die Staatsschulden haben die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft begleitet und finanziert. Sie waren für die Bourgeoisie der verschiedenen Länder eine wertvolle Waffe beim Aufbau von Staatsapparaten, die ihren Klasseninteressen dienten.

So konnte Jacques Cœur, Geschäftsmann und Bankier, im 15. Jahrhundert zum Großschatzmeister des Königs von Frankreich aufsteigen und sich gleichzeitig durch Kredite zur Finanzierung des Staatshaushalts und der königlichen Armeen bereichern. Zwar wurde er kurz darauf ins Gefängnis geworfen – eine schnelle und bequeme Möglichkeit für den monarchistischen Staat, seine Schulden nicht zu bezahlen. Doch dieselbe Bourgeoisie konnte später, genau wie ihre britische Vorgängerin, aufblühen und sich im großen Stil bereichern: dank der kolonialen Eroberungspolitik der europäischen Monarchien, der Versklavung der Bevölkerung in den Kolonien, des Sklavenhandels und der Plünderung der Reichtümer und Ländereien, die von den königlichen Armeen erobert wurden. Die europäischen Monarchien gaben Unsummen für die Eroberung der Kolonien aus. Die Schulden, die sie dafür machten, füllten die Tresore der Bourgeoisie. Die Staatsverschuldung wird, wie Marx es im Kapital ausdrückte, „einer der energischsten Hebel der ursprünglichen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelrute begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne dass es dazu nötig hätte, sich der von industrieller und selbst wucherischen Anlage unzertrennlichen Mühewaltung und Gefahr auszusetzen“. Dieser Mechanismus begünstigte gleichzeitig das Entstehen von Aktiengesellschaften, Spekulationsgeschäften und der modernen „Bankokratie”.

Drei Jahrhunderte später vertrieben die Bourgeoisie und die Französische Revolution, dank des Eingreifens der armen Massen in den Städten und auf dem Land, den Adel. Dessen Parasitismus und dessen Unfähigkeit, die öffentlichen Schulden zu bezahlen, hatten zu einem regelrechten Bankrott geführt. Ende der 1780er Jahre machten allein die Zinszahlungen für diese Schulden zwischen einem Drittel und der Hälfte des Staatshaushalts der französischen Monarchie aus. Dies ging so weit, dass Mirabeau behaupten konnte: „Die Staatsverschuldung war der Keim unserer Freiheit“, wobei unter „unserer Freiheit“ die Freiheit der neuen Machthaber zu verstehen war. Am Ende schuf das neue Regime im großen Stil Papiergeld, insbesondere die sogenannten Assignaten – und beglich in gewisser Weise damit und der damit verbundenen massiven Inflation die Schulden des alten Regimes, zugunsten der reichsten Bourgeois.

 

Das Zeitalter des Imperialismus und des triumphierenden Kapitalismus

Um sie besser bekämpfen zu können, haben erst Marx, dann Rosa Luxemburg und insbesondere Lenin die Mechanismen aufgedeckt, mit denen das Finanzkapital seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Welt weitgehend unter seine Kontrolle gebracht hat. Das überschüssige Kapital in den Hochburgen des Kapitalismus ermöglichte es, ganze Regionen in den Weltmarkt zu integrieren, die dem Kapital bisher entgangen waren. Sie wurden dem Gesetz des Profits unterworfen, d. h. der Ausbeutung und Plünderung durch die Großmächte und ihre Konzerne.

Schulden waren ein starker Motor dieser Herrschaft. Zunächst innerhalb der kapitalistischen Nationen selbst. Die Staatsapparate nahmen massiv Kredite auf, um das Eisenbahnnetz und bestimmte, für die Industrie unverzichtbare städtische Infrastrukturen zu finanzieren. Aber auch der internationale Kreditmarkt, d. h. der Verkauf von Schuldverschreibungen (oder Schatzbriefen), war eine mächtige Waffe der Unterwerfung. Lateinamerika und das zerfallende Osmanische Reich wurden so zu Halbkolonien der imperialistischen Mächte. Die Kredite, die Großbritannien und Frankreich diesen Ländern gewährten, ermöglichten es ihnen, eine fast vollständige wirtschaftliche, militärische und politische Vorherrschaft in diesen Ländern auszuüben. Wie Rosa Luxemburg es in ihrem im Kampf gegen die kolonialistischen Positionen eines Teils der deutschen Sozialdemokratie zusammenfasste, waren Staatsanleihen „das sicherste Mittel für alte kapitalistische Staaten“ (vor allem Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Belgien), „die jungen zu bevormunden, die Kontrolle ihrer Finanzen und den Druck auf ihre auswärtige Politik, Zoll- und Handelspolitik auszuüben“.

Ende des 19. Jahrhunderts musste auch die zaristische Autokratie „gierig an den Zitzen der westeuropäischen Börsen saugen“ (Trotzki). Die russischen Anleihen finanzierten die forcierte Industrialisierung Russlands unter imperialistischer Herrschaft sowie eine massive Aufrüstungspolitik. Dazu gehörte auch der Bau von Eisenbahnstrecken, um Truppen nach Westen transportieren zu können: ein Beitrag zu dem Krieg, den Frankreich gegen Deutschland vorbereitete. Doch die europäischen Finanzkapitalisten, und vor allem die Kleinanleger, die an das Versprechen einer garantierten Rendite im „ewigen Russland“ geglaubt hatten, erlebten eine böse Überraschung: Die Bolschewiki riefen zu einem „allgemeinen Aufstand gegen die Kapitalisten“ auf und weigerten sich nach der Oktoberrevolution, die Schulden des alten Regimes anzuerkennen. Das hatten sie seit der Revolution von 1905 versprochen.

Die massiven Investitionen in den Bau von Kriegsschiffen, Kanonen und Munition sowie der Erste Weltkrieg trieben die Staatsschulden in nie dagewesene Höhen. In Frankreich versechsfachte sich die Staatsverschuldung zwischen 1913 und 1918. Nach diesem Kampf auf Leben und Tod um die Neuaufteilung der Welt beliefen sich die Schulden Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens auf das Zwei- bis Dreifache ihres Bruttoinlandsprodukts. Tatsächlich wurden diese Schulden nie wirklich zurückgezahlt, aber sie veränderten die Hierarchie zwischen den kapitalistischen Mächten: Die Vereinigten Staaten wurden zum „Boss von Europa“ (Trotzki) und zu dessen wichtigstem Geldgeber.

Was Deutschland betrifft, das der französische und britische Imperialismus durch die Auferlegung zusätzlicher Kriegsschulden zur Kasse bitten wollte, so wurde seine Bevölkerung durch die Hyperinflation von 1923 und anschließend durch die verheerenden Auswirkungen der 1929 in den Vereinigten Staaten ausgelösten Krise ruiniert. Dieser Zusammenbruch ermöglichte es Hitler aufgrund der Politik der sozialistischen und kommunistischen Parteien, ohne Zusammenstoß mit der mächtigsten Arbeiterklasse Europas an die Macht zu gelangen. Und er ebnete den Weg in den Zweiten Weltkrieg. Zur gleichen Zeit verschärfte die Politik des New Deal in den Vereinigten Staaten die Staatsverschuldung erheblich. Dies löste die Krise jedoch keineswegs, sondern führte nur, wie Trotzki es ausdrückte, zu „einer blutdürstigen kapitalistischen Reaktion und einer verheerenden Explosion des Imperialismus“, also zum Krieg.

Nach dem Krieg konnten die kapitalistischen Klassen Europas und Japans die US-amerikanische Hegemonie und ihre Rolle als Weltpolizist der kapitalistischen Welt nicht mehr in Frage stellen. Wie Trotzki bereits zwanzig Jahre zuvor in „Europa und Amerika“ formuliert hatte: „Das amerikanische Kapital hat das Kommando in der Hand – die Diplomaten fügen sich. Ja, es geht daran, seine befehlshaberische Gewalt auf die europäischen Banken und Trusts, auf die europäische Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit auszudehnen. Danach strebt es. Es wird die allen zukommenden Gebiete des Absatzmarktes zuschneiden, es wird die Tätigkeit der europäischen Finanziers und Industriellen normieren. Wenn man die Frage was will das amerikanische Kapital? – klar und präzise beantworten will, so wird man sagen müssen: Es will das kapitalistische Europa „auf Ration“ setzen.

Um jedoch den Zusammenbruch der Staaten und jede revolutionäre Gefahr abzuwenden, erließen die Vereinigten Staaten nach und nach den Kriegsteilnehmern ihre Schulden. Auch Frankreich und Deutschland profitierten davon.

In den folgenden drei Jahrzehnten nahm die kapitalistische Wirtschaft ihren rasanten Lauf wieder auf. In dieser Zeit waren Kredite an Länder, die später als Schwellenländer bezeichnet wurden, eine sehr lukrative Anlage für das Kapital. Der Druck des Imperialismus hatte zwar seine Form gewechselt, war aber genauso heftig wie in der Kolonialzeit. Die hoch verschuldeten Länder schröpften ihre Bevölkerung grenzenlos, um ihre Schulden, bzw. oft sogar nur die Zinsen dieser Schulden zurückzahlen zu können.

Unter dem Deckmantel, den von ihren Gläubigern bedrohten Staaten zu helfen, legte der Internationale Währungsfonds (IWF) ihnen Pläne auf, die sie in Wahrheit in die Knie zwangen. Selbst wenn einigen Ländern, die ohnehin nicht mehr in der Lage waren, ihre Schulden zurückzuzahlen, ein Schuldenerlass gewährt wurde, so geschah dies um einen hohen Preis: Die imperialistischen Staaten oder ihren Banken konnten die Wirtschaft und Politik der Schuldner-Länder noch stärker unter ihre Kontrolle bringen und so immer mehr ihrer Reichtümer abschöpfen.

 

Ein halbes Jahrhundert Krisen und Finanzchaos

1945 hatte der US-Imperialismus ein internationales Währungssystem durchgesetzt, das Bretton-Woods-System, das auf der Fabel vom Dollar „as good as gold” (so gut wie Gold) beruhte. Die hohen Ausgaben des Vietnamkrieges, den der US-Imperialismus mit Defiziten und Schulden finanzierte, versetzte diesem Währungssystem den Todesstoß. Um sich nicht den massiven Forderungen nach einer Umwandlung ihrer Dollar in Gold stellen zu müssen, mit denen sie den Planeten grenzenlos überschwemmt hatten, erklärten die Vereinigten Staaten 1971 das Ende der Konvertibilität von Dollar in Gold. Kurz darauf erlebte die kapitalistische Wirtschaft eine neue schwere Überproduktionskrise.

Wir wollen hier nicht die zahlreichen Finanzkrisen noch einmal aufzählen, die die Welt seit dieser Entscheidung erschüttert haben. Doch man muss man sich vor Augen halten, dass sich eine Krise an die andere reihte – und jede kurzfristige Lösung einer Krise nur die nächste Krise vorbereitete. Keine konnte das grundlegende Problem der Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft und des an Verstopfung leidenden Produktionssystems lösen.

Die bislang bedrohlichste Krise für das Finanzsystem ging 2008 von den Subprime-Krediten aus. Das waren Immobilienkredite, deren Wert zusammen mit dem Wert der von diesen Krediten gekauften Immobilien plötzlich ins Bodenlose fiel... und mit ihm das Vermögen der Banken und Spekulanten, die diese Kredite vergeben bzw. deren Wertpapiere gekauft hatten.

Die Spekulanten, die in der einen oder anderen Form diese „toxischen” Wertpapiere besaßen, wurden daraufhin in großem Stil von den Staaten gerettet. Die Wertminderung ihres Kapitals, das sie durch Spekulationen angehäuft hatten, wurde ausgeglichen. Privatpersonen hingegen, die für den Kauf ihrer Wohnung einen Kredit aufgenommen hatten, wurden im Rahmen von Insolvenzverfahren vor Gericht gestellt. Oft wurden sie einfach all ihres Besitzes beraubt und auf die Straße gesetzt.

Mehr als in jedem anderen kapitalistischen Industrieland ist die Aufnahme von Krediten in den USA heute eine Notwendigkeit. Die große Masse der Arbeitenden kann sich nur so eine Wohnung, Lebensmittel und ein Auto leisten. Ihre Löhne reichen hierfür nicht aus. Diejenigen, die ein Studium aufnehmen, wissen, dass sie etwa die Hälfte ihres Lebens arbeiten müssen, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Sie sind gewissermaßen wie die in B. Travens Roman „Die Rebellion der Gehenkten“ beschriebenen Schuldknechte in Lateinamerika, die sich abrackern mussten, um die Schulden für das Werkzeug oder die Unterkunft zurückzuzahlen, die ihnen Großgrundbesitzer zu Wucherpreisen verkauft hatten.

Das US-amerikanische Großkapital hat diese Probleme nicht: Es verfügt über eine Währung, in der nach wie vor ein Großteil des Welthandels getätigt wird und in der die meisten Banken der Welt ihre Reserven an Devisen anlegen. Es verfügt über einen Staat, der ihm zu Diensten steht und sich scheinbar fast unbegrenzt verschulden kann (derzeit über 35.000 Milliarden Dollar), ohne seinen Gläubigern jemals wirklich etwas zurückzahlen zu müssen. Es reicht aus, dass der Kongress eine Anhebung der Schuldenobergrenze beschließt. Der amerikanische Ökonom Michael Hudson fasst es so zusammen: „Da diese Schuldverschreibungen des Finanzministeriums in die weltweite Geldbasis integriert sind, müssen sie nie zurückgezahlt werden. Sie werden einfach endlos verlängert. Dadurch genießen die USA in finanziellen Angelegenheiten den Status eines „Trittbrettfahrers“. In gewisser Weise ist es eine Steuer, die die USA der ganzen Welt auferlegen.“

Und so zieht der US-Imperialismus weiterhin das Kapital der ganzen Welt an, das hier eine sichere Anlage findet. Zumindest bis zum unvermeidlichen Zusammenbruch dieses wahnsinnigen Systems.

 

Die Warnung der Spekulanten an Trump

In der ersten Aprilwoche 2025 hat Trump einen ebenso plötzlichen wie heftigen Zoll-Krieg begonnen. Am 9. April vollzog er dann eine ebenso abrupte Kehrtwende und richtete seinen Zorn gegen China, das zunächst mit 125% und am nächsten Tag sogar mit 145% belegt wurde. Gleichzeitig wurde eine 90-tägige Pause verkündet, in der alle anderen Länder mit 10% besteuert werden sollten. Einige Tage später wurden die von den USA auf chinesische Waren erhobenen Zölle im Rahmen einer ähnlichen Pause ebenfalls für 90 Tage von 145% auf 30% gesenkt, und die chinesischen Zölle auf US-Produkte von 125% auf 10%.

Diese möglicherweise vorübergehende Aussetzung der Politik der hohen Zölle scheint durch den enormen Druck der Staatsverschuldung ausgelöst worden zu sein. Und noch direkter durch den Druck von Jamie Dimon, CEO der Bank JP Morgan und autorisierter Sprecher des US-Finanzkapitals. Banken und Pensionsfonds sind heute nämlich die Hauptgläubiger der US-Staatsanleihen. Die unberechenbare Politik Trumps und seine Angriffe auf die US-Notenbank Fed hatten zu einem sprunghaften Anstieg der langfristigen Zinsen an den Finanzmärkten geführt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten drohte die US-Staatsverschuldung, die als sichere Anlage oder sogar als Zufluchtsort galt, auf potenzielle Investoren abschreckend zu wirken, was für den Staat Schwierigkeiten bei der künftigen Bezahlung seiner Gläubiger hätte bedeuten können. Allein die Zinsen der US-Staatsschulden betragen schließlich dieses Jahr 952 Milliarden Dollar. Das ist mehr als der US-Militärhaushalt. Und eben diese hohen Renditen der Staatsanleihen waren es, die das Kapital bislang angezogen haben.

Die Gefahr für die Wirtschaft war umso größer, da die Renditen der Staatsanleihen als Referenzwert für die Zinsen einer Vielzahl weiterer Wertpapiere, Hypotheken und Kreditkarten der Bevölkerung dienen. Sie sind somit eine Art Grundpfeiler, ohne den das US-Finanzsystem zusammenbrechen würde. Das Katastrophenszenario, das Gläubiger im großen Stil ihr bislang in US-Schuldverschreibungen investiertes Kapital abziehen könnten, wird heute von den einen als „schwerwiegender als die Krise von 2008“ angesehen, von den anderen als Beginn eines „Finanzkrieges“. Bereits im März 2020 musste die Federal Reserve massiv eingreifen, um „Investoren“ (die Geld brauchten und dafür Anleihen verkaufen wollten) davon abzuhalten, ihre US-Schatzbriefe zu verkaufen und um die damit verbundene Panik einzudämmen. Diesmal scheint Trumps jüngste Kehrtwende im Zollstreit die Finanzmärkte beruhigt zu haben.

 

Die Europäische Union steht vor einem „Schulden-Himalaya“

Die Staaten der Europäischen Union (EU) genießen nicht denselben Schutz wie die USA, und ihre Bourgeoisie verfügen nicht dieselben Sicherheiten. Aber die Explosion der Staatsverschuldung ist auch hier ein Segen für das Finanzkapital. Gleichzeitig beschleunigt sie den Kampf auf Leben und Tod zwischen den Staaten, wie die griechische „Schuldenkrise“ und ihr Dominoeffekt auf mehrere Staaten zwischen 2010 und 2015 gezeigt haben. Die Höhe der Zinssätze, zu denen ein Staat Kredite aufnehmen konnte, war damals umgekehrt proportional zu seiner Wirtschaftskraft: So war Griechenland gezwungen, Kredite zu unerschwinglichen Zinssätzen aufzunehmen, die seine Verschuldung explodieren ließen und es zahlungsunfähig machten – während Deutschland sogar eine Zeit lang Kredite zu Negativzinsen aufnehmen konnte. Es war, als hätte jeder EU-Staat de facto seine eigene Währung behalten. Diese Krise bedrohte das Überleben des Euro, der mittlerweile die meisten EU-Länder vereint.

Im Jahr 2026 müssen die 27 EU-Staaten fast 1.300 Milliarden Euro an neuen Schulden machen, um einen Teil der Defizite ihrer Staatshaushalte auszugleichen und die Zinsen für ihre Schulden zu bezahlen. In den letzten zehn Jahren wurde ein großer Teil hiervon von der Europäischen Zentralbank (EZB) übernommen, die bis zur Hälfte der Schulden der Euro-Staaten aufgekauft hatte. Die EZB hat jedoch zum 1. Januar 2025 ihre Ankäufe eingestellt. Die Zinsen in Europa sind seitdem gestiegen, da Banken und andere Finanzinstitute nun höhere Zinsen verlangen. Die Zinsen steigen sogar dann, wenn bei den Krediten keinerlei Risiko besteht, weil es sich wie im Falle Frankreichs oder Deutschlands um solvente Staaten handelt.

Nach den „Südstaaten“ in der EU steht nun Frankreich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Denn es musste über die „Agence France Trésor“ im Jahr 2025 rund 340 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen, ein Viertel der neuen Schuldverschreibungen der Eurozone. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine langfristige Rente für die Bourgeoisie. Rechnet man die seit 1960 gezahlten Zinsen zusammen, hat der französische Staat bereits fast 2.700 Milliarden Euro Zinsen für seine Staatsschulden gezahlt... während seine Schulden in der gleichen Zeit um 3.000 Milliarden gestiegen sind. Mit anderen Worten: Der Staat hat praktisch alles, was er sich geliehen hat, bereits in Zinsen zurückgezahlt... aber er muss seine Schulden immer noch begleichen. Und jeder Bourgeois erinnert sich an die berühmte „Giscard-Anleihe” von 1973, die an den Goldpreis gekoppelt war und es den Rentiers ermöglichte, ihr Vermögen zu vermehren: 6,5 Milliarden Francs wurden durch die Anleihe eingenommen, aber 25 Jahre später hatte sie den Staat 85 Milliarden gekostet (50 Milliarden für die Rückzahlung des Kapitals und 35 Milliarden für Zinsen).

Die Zinsen für die Schulden, die jährlich an das Großkapital gezahlt werden, beliefen sich in den letzten Jahren auf rund 50 Milliarden Euro. Damit gibt der französische Staat fast genauso viel für Zinszahlungen aus wie für den gesamten Bildungshaushalt. Und die Zinsen werden weiter steigen, was den Staat anfällig für spekulative Angriffe der Finanzmärkte macht. Ein Viertel dieser Schulden ist übrigens an die Inflation gekoppelt. Und Frankreich nimmt bereits jetzt Kredite zu höheren Zinssätzen auf als Spanien, Italien oder sogar Griechenland. Für einen Teil der Bourgeoisie besteht damit die Gefahr, dass sie damit auf Staatsgelder verzichten muss, die ihr bislang zugeflossen sind und die zusammen mit vielen anderen ihren Kassen füllen. Aber für einen anderen Teil der Bourgeoisie sind diese Zinssätze auch eine gute Gelegenheit.

 

Schulden und die Vorbereitung auf Krieg

Seit Trumps Kehrtwende in der Ukraine-Politik, die insbesondere die Absichten des US-Imperialismus in Bezug auf die Seltenen Erden offenlegte, legen die hiervon überrumpelten Regierungen der wichtigsten europäischen Staaten einen noch größeren Kriegseifer an den Tag. Dieser wirft heute erneut die Frage nach Staatsdefiziten und Schulden auf.

Die Schuldenfrage dient seit Jahrzehnten als Vorwand, um alle Sparmaßnahmen und sonstigen Angriffe auf die Arbeiterklasse und den Öffentlichen Dienst zu rechtfertigen. Jeder müsse seine Schulden bezahlen, um nicht „seinen Kindern und Enkelkindern“ einen gigantischen Schuldenberg zu hinterlassen. Für politisch bewusste Arbeiterinnen und Arbeiter ist es natürlich selbstverständlich, dass sie nichts mit den Schuldenbergen zu tun haben, die nur die Wucherer und Spekulanten bereichert haben – und dass sie diese nicht bezahlen müssen.

Nun aber wird die Wiederbewaffnung Europas als Vorwand benutzt, um die öffentlichen Finanzen etwas zu lockern und auf einmal die berühmten „Maastricht-Kriterien“, die seit zwei Jahrzehnten als Vorwand genutzt wurden, zu vergessen. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Arbeitenden: Alle Ausgaben, die der einfachen Bevölkerung wenigstens ein kleines bisschen zu Gute kommen, werden Jahr für Jahr gekürzt.

Im Rahmen eines 800-Milliarden-Plans hat die EU ihren Staaten gerade erlaubt, die theoretische Obergrenze ihrer Verschuldung (festgelegt auf 60 % ihres BIP) zu überschreiten, wobei 150 Milliarden hiervon bereits für Militärausgaben reserviert sind. Frankreich, dessen Verschuldung ohnehin schon 115% des BIP beträgt, hat seinen Verteidigungsetat in fünf Jahren verdoppelt und plant, ihn auf 100 Milliarden zu erhöhen, was laut Verteidigungsminister Lecornu das wünschenswerte „Normalgewicht“ sei. Es wird überlegt, an den Patriotismus der kleinen Sparer zu appellieren und für sie neue langfristige Staatsanleihen oder Sparbücher einzurichten, in denen sie ihr Erspartes anlegen sollen, um so Mittel für die Finanzierung der Aufrüstungspolitik und den Übergang zu einer Kriegswirtschaft bereitzustellen. Als ob die in Banken, auf Konten von Versicherungsgesellschaften und in verschiedenen Sparprodukten angelegten Kapitalmassen nicht bereits heute schon die Rüstungsindustrie und die Aufrüstung finanzieren würden!

In Deutschland hat Merz, der neue CDU/CSU-Kanzler, noch vor seiner Ernennung mit der SPD und den Grünen eine Vereinbarung getroffen, weitere Hunderte Milliarden Euro in den nächsten Jahren für Aufrüstung auszugeben – zusätzlich zu den 100 Milliarden, die bereits von der vorherigen Regierung hierfür eingepreist wurden. Hierfür wurde die „Schuldenbremse“ aufgehoben, ein 2009 verabschiedetes Verfassungsgesetz, das bisher die Möglichkeiten zur Erhöhung des Haushaltsdefizits und damit der Verschuldung begrenzte. „Deutschland kehrt aus den Ferien an die Front zurück“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, während andere Zeitungen von einer „historischen Situation“, einer „Schuldenorgie“ und einer „gigantischen und unbegrenzten Aufrüstung“ sprachen.

Das Gaspedal wird also nun bis zum Anschlag durchgedrückt. Die Bourgeoisie Europas weiß seit langem, dass sie auf die sozialdemokratischen Parteien zählen kann. Mit den immer mehr khakifarbenen Grüne oder einem Raphaël Glucksmann in Frankreich verfügt sie nun über eine weitere Werbeagentur für den Militarismus, die ihr bei der Jugend und einem bestimmten Teil der Bevölkerung nützlich sein kann, um ihre Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Alle mit der Überwachung der weltweiten Verschuldung befassten Organisationen stellen fest, dass das rasante Wachstum der Verschuldung eine „gefährliche Dynamik“ darstellt. Auch kann niemand die Folgen abschätzen, die das plötzliche Ende der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) für bestimmte Länder haben könnte, denen der Staatsbankrott droht; ebenso wenig, welche Auswirkungen die Hauruck-Aktionen und widersprüchlichen politischen Ankündigungen Trumps auf die Weltwirtschaft haben.

Die eigentliche Gefahr besteht jedoch darin, die Wirtschaft in den Händen der Großkapitalisten zu belassen, angefangen bei den Instrumenten ihrer Finanzdiktatur. Sich aus der Umklammerung der Schulden zu befreien, bedeutet, der Bourgeoisie die Macht zu entreißen. Da sie unfähig ist, die Produktivkräfte zu entwickeln und die elementarsten Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen, wird sie immer parasitärer. Im Übergangsprogramm sprach Trotzki von der Notwendigkeit, die Banken zu enteignen und das gesamte Kreditwesen in den Händen des Staates und unter der Kontrolle der Arbeitenden zu fusionieren. Er sah darin den einzigen Weg für die Ausgebeuteten, über einen Finanz-Generalsstabzu verfügen und somit eine echte Wirtschaftsplanung vornehmen zu können. Dieses Ziel steht nach wie vor auf der Tagesordnung der revolutionären Kommunisten.

 

12. Mai 2025