China- USA: eine gnadenlose aber ungleiche Konkurrenz

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Lutte de Classse Februar 2022
Februar 2022

Aus Lutte de Classe (Nr.221, Februar 2022)

Zwischen dem diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele und Joe Bidens Warnung an Xi Jinping vor „jedem Versuch, den Status Taiwans zu ändern“, scheinen sich die Spannungen zwischen China und den USA zu verschärfen. Wie steht es um die Beziehungen zwischen den chinesischen Kapitalisten und ihren westlichen Konkurrenten? Ist China zu einem imperialistischen Land geworden, das die US-Hegemonie bedrohen würde? Steht nach dem Handelskrieg nun ein echter Krieg zwischen diesen beiden Ländern auf der Tagesordnung?

Eine neue Supermacht?

In den 1980er Jahren hat Chinas Wiedereingliederung in den Weltmarkt bekommen, auf Initiative der USA und hauptsächlich zum Nutzen ihrer Kapitalisten. Seitdem hat das Land eine spektakuläre Entwicklung erlebt. Die chinesischen Arbeiter produzieren heute 25% des weltweiten Mehrwerts, gegenüber 5% in den 1990er Jahren. Diese industrielle Entwicklung hat China verändert. Heute gibt es 22 Städte mit mehr als 5 Millionen Einwohnern. Sie sind durch rund 30.000 Kilometer neue Schienen für Hochgeschwindigkeitszüge miteinander verbunden. Chinas Fähigkeit, Satelliten und Menschen in den Weltraum zu schicken, verstärkt das Bild Chinas als technologische Supermacht.
Gleichzeitig hat das Land weiterhin viele Eigenschaften eines unterentwickelten Landes. Zwar gibt es 1.000 chinesische Dollar-Milliardäre und 300 Millionen Kleinbürger, deren Lebensstandard ihrem Pendant im Westen nahekommt. Doch 600 Millionen Arbeiter und Bauern verfügen über ein Monatseinkommen von weniger als 125 Euro.

Auch wenn die Entwicklung Chinas nach wie vor zutiefst ungleich verläuft, hat das Land sehr große Unternehmen hervorgebracht. Laut der Zeitschrift Forbes waren 2021 unter den 50 größten Unternehmen der Welt 13 chinesische Unternehmen, drei in der digitalen Wirtschaft, darunter Alibaba und Tencent, eines im Ölsektor, Sinopec, alle anderen sind Banken. Auch diese Zahlen verstärken den Eindruck, dass China zum Alter Ego der USA geworden sei. Doch das ist eine optische Täuschung.

Die Größe der chinesischen Banken spiegelt nicht ihre Dominanz in der Weltwirtschaft wider, sondern die Tatsache, dass sie die Wirtschaft eines Landes mit 1,4 Milliarden Einwohnern finanzieren. Im Gegensatz zu den großen westlichen Investmentbanken tätigen die Banken Chinas den Großteil ihrer Investitionen innerhalb des eigenen Landes. Im Jahr 2016 erwirtschaftete die größte Bank des Landes, ICBC, über 90 % ihrer Gewinne in China. Diese Banken sind direkt mit dem chinesischen Staat verbunden. Ihre kolossale Größe ist vor allem Ausdruck eines weiteren wesentlichen Merkmals der chinesischen Wirtschaftsentwicklung: die massive Verschuldung, die sich nach der Krise von 2008 beschleunigt hat.

Die chinesische Währung, der Renminbi oder Yuan, ist keine internationale Währung wie der Dollar oder der Euro. Auch wenn der IWF ihn 2015 in die Liste der Währungen für Sonderziehungsrechte aufgenommen hat (das heißt in die Liste der Währungen, in denen der IWF diversen armen Ländern Kredite gewährt), wird der Yuan außerhalb Chinas nur sehr selten verwendet. Sein Wechselkurs zu anderen Währungen wird nicht auf dem Devisenmarkt festgelegt, sondern von der chinesischen Regierung, die versucht, den Wert des Yuan gegenüber dem Dollar zu begrenzen, um die chinesischen Exporte zu fördern. Weniger als 2,5% der Reserven der Zentralbanken der reichen Länder sind in Yuan angelegt, hingegen 60% in Dollar und 20% in Euro.

Seit Januar 2020 hat die chinesische Regierung die rechtlichen Hürden abgebaut, die westliches Kapital daran hinderten, in chinesische Unternehmen zu investieren. In den Bereichen Automobil, Eisenbahnausrüstung und Banken müssen westliche Unternehmen keine Joint Ventures (Gemeinschaftsunternehmen) mit chinesischen Unternehmen mehr eingehen. In diesen Sektoren verfügen chinesische Konzerne über eine Technologie, die wettbewerbsfähig genug ist, um mit der westlichen Konkurrenz mithalten zu können.

Die chinesische Regierung hat die chinesischen Unternehmen dazu ermutigt, sich an ausländischen Börsen notieren zu lassen, um sich Kapital zu beschaffen. Laut der Zeitschrift Le Monde diplomatiqueflossen während der Präsidentschaft von Donald Trump 620 Milliarden US-Dollar zusätzliches Kapital nach China. Hinzu kamen Dutzende von Börsengängen chinesischer Unternehmen an US-Börsen. Ende 2019 hielten US-Investoren chinesische Aktien und Anleihen im Wert von mindestens 813 Milliarden US-Dollar, gegenüber 368 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016"[1].

Diese Zahlen zeigen, dass amerikanische Kapitalisten trotz Trumps protektionistischer Rhetorik ihre Beteiligungen an chinesischen Unternehmen erhöht haben. Die Kopplung zwischen der chinesischen und der US-amerikanischen Wirtschaft hat sich verstärkt, und diese Verflechtung erfolgt weiterhin hauptsächlich zum Vorteil der US-Kapitalisten.

 

Ungleiche Beziehungen

China ist immer noch die Werkbank der Welt. Aufgrund des relativen Anstiegs der Arbeiterlöhne in China (13-15% pro Jahr seit 2008, im Vergleich zu 1-2% in Frankreich) haben einige Industrielle, wie Samsung, ihre Produktion nach Vietnam oder Indien verlagert, wo sie noch niedrigere Löhne zahlen können. Diese Kapitalbewegung bleibt jedoch marginal. Denn, wie es ein Sprecher der Unternehmerverbände ausdrückte: „China ist für die multinationalen Konzerne immer noch der beste Markt. Es ist das einzige Land, das so gut ausgebildete Arbeitskräfte zusammen mit einer kompletten Produktionskette anbietet". Mit anderen Worten: Für das hohe Maß an Qualifikation und Produktivität bleiben die Löhne niedrig.

Parallel dazu ist China ein unumgänglicher Markt. Der Aufbau von Infrastruktur im großen Stil und die Existenz eines Kleinbürgertums mit einem guten Lebensstandard lassen die westlichen Kapitalisten träumen. Natürlich ist die Konkurrenz hart, und in mehreren Wirtschaftsbereichen stehen ihnen mittlerweile mächtige chinesische Industrielle gegenüber. Das gilt für den Eisenbahnbau mit dem Konzern CRRC, der 200 Hochgeschwindigkeitszüge pro Jahr herstellt, während Siemens und Alstom zusammen nur 35 produzieren. Das gilt auch für den Automobilsektor, für den China der größte Markt der Welt ist, auf dem aber chinesische Hersteller wie Geely oder Saïc inzwischen die westlichen Hersteller überholen. Trotzdem verkauft Volkswagen heute die Hälfte seiner Produktion in China, und reiche Chinesen fahren nach wie vor BMW, Tesla und Mercedes.

China ist weiterhin ein wichtiger Markt für Boeing und Airbus, die 20% ihrer Produktion dort absetzen. In einer Broschüre zur Förderung französischer Investitionen in China heißt es, dass ganze Branchen „offen“ oder „in Entwicklung" bleiben, da es keine gleichwertigen chinesischen Konkurrenten gibt. Neben der Luftfahrt gehören dazu die Automobilzulieferer, einige Bereiche der Lebensmittelindustrie und natürlich die Luxusgüterindustrie. Valeo, Danone, LVMH oder Hermès erwirtschaften dort einen nicht unerheblichen Teil ihrer Gewinne und werden den chinesischen Markt so schnell nicht verlassen.

In den meisten Bereichen beherrschen die westlichen Kapitalisten ihre chinesischen Konkurrenten. Dies gilt auch für die Halbleiterindustrie. Der derzeitige Halbleiter-Mangel, der seine Ursache vor allen in der Existenz von Monopolen und der fehlenden Planung der Wirtschaft hat, wird von Politikern dazu benutzt, die Abhängigkeit Europas von Asien anzuprangern. Der größte Hersteller kommt nicht aus China, sondern aus Taiwan. Es ist das Unternehmen TSMC, das in den letzten zwanzig Jahren zusammen mit dem koreanischen Unternehmen Samsung ein Quasi-Monopol bei der Herstellung der leistungsfähigsten Chips erlangt hat.

TSMC wurde 1987 von Morris Chang gegründet, einem Chinesen, der nach Maos Sieg 1949 in die USA emigriert war und lange Zeit als Ingenieur bei Texas Instruments arbeitete, bevor er von der taiwanesischen Regierung abgeworben wurde. TSMC verkauft seine Halbleiter in die ganze Welt. China kauft jedes Jahr für 11 Milliarden Euro bei ihm ein, da die chinesischen Halbleiterhersteller nicht in der Lage sind, Chips von gleicher Qualität zu produzieren. Die chinesischen Industriellen wären also einem Embargo, wie es 2019 gegen Huawei verhängt wurde, vollkommen ausgeliefert.

Doch TSMC bleibt trotz seiner immensen Größe und Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe ein Zulieferer, dessen Produkte vollständig in Kalifornien entworfen werden, von Apple, Qualcomm oder Nvidia. Was die Maschinen betrifft, mit denen die neuesten Halbleiter mit einer Genauigkeit von fünf Nanometern geätzt werden, so werden sie von der niederländischen Firma ASML hergestellt, die von Philips gegründet wurde. Dieses technologische Juwel wird für 120 Millionen Euro pro Stück verkauft. ASML hat eine Monopolstellung inne, seine Börsenkapitalisierung ist in den letzten zwei Jahren in die Höhe geschnellt und übertrifft sogar die von Volkswagen. Bis jetzt verbietet die niederländische Regierung ASML, seine Maschinen an chinesische Halbleiterhersteller zu verkaufen.

Dieses Beispiel verdeutlicht mehrere Aspekte der Globalisierung. Zunächst einmal, dass Produktivitätssteigerungen und technischer Fortschritt untrennbar mit der internationalen Arbeitsteilung verbunden sind. Die von so vielen Politikern gepriesene „Rückverlagerung“ der Produktion ist absurd und wäre katastrophal. Zweitens profitieren von dieser Globalisierung weiterhin in erster Linie die Kapitalisten in den alten imperialistischen Ländern, die in technologischer Hinsicht immer noch einen Vorsprung haben und den Löwenanteil des Mehrwerts für sich beanspruchen.

 

Ein neuer Imperialismus?

Das ändert jedoch nichts daran, dass in verschiedenen Bereichen große chinesische Konzerne entstanden sind, die mit dem Staat verbunden sind, wie Huawei, Cosco, Alibaba, Geely, Sinopec und einige andere.

In der Presse wird regelmäßig berichtet, dass chinesische Konzerne Anteile an westlichen Unternehmen erwerben. Die herrschenden Politiker bezeichnet diese Konzerne als Räuber, die die westlichen Industriellen und damit Arbeitsplätze bedrohen würden. So wurde das Scheitern der Fusion zwischen Alstom und Siemens im Jahr 2019 vom Wirtschaftsminister Bruno Le Maire als ein Einfallstor für den chinesischen Eisenbahnhersteller CRRC dargestellt. Bis heute wurde jedoch noch kein einziger chinesischer Hochgeschwindigkeitszug von europäischen Betreibern gekauft.

Diese Propaganda zielt darauf ab, die Reihen der Arbeiter hinter ihren Ausbeutern zu schließen. Als ob nicht die französischen, deutschen oder amerikanischen Kapitalisten die Hauptverantwortlichen für den Abbau von Arbeitsplätzen, die Schließung von Fabriken und die Angriffe auf die Existenzbedingungen der Arbeitenden wären!

Jenseits der Propaganda gibt es aber eine reale Entwicklung. Wie alle Kapitalisten auf der Welt versuchen auch die chinesischen Kapitalisten, ihren Konkurrenten Marktanteile abzujagen und wenn möglich die Kontrolle über sie zu erlangen. Zu den chinesischen Konzernen, die die große weite Welt erobern wollen, gehört auch Huawei, der 1987 von einem ehemaligen Oberst der chinesischen Armee gegründet wurde, um Hardware und Netze für Telefongesellschaften zu produzieren. Huawei wurde eine Zeit lang zum zweitgrößten Mobiltelefon-Hersteller der Welt, hinter Samsung, aber vor Apple. Sein Vorsprung im Bereich der Netze und der 5G-Technologie hat Huawei zu einem bedrohlichen Konkurrenten gemacht.

2010 kaufte der Geely-Konzern die Autosparte von Volvo und 2013 dann die Londoner Taxis. Seit 2018 hält er fast 10% der Aktien von Daimler. Cosco Shipping, Chinas größte und weltweit die drittgrößte Reederei, machte auf sich aufmerksam, als sie 2016 den Hafen von Piräus in der Nähe von Athen aufkaufte. Sie besitzt Hafenanlagen in Afrika. Bis Dezember letzten Jahres wurde Cosco als einer der Kandidaten für die Übernahme der Hafenanlagen von Bolloré in Afrika genannt. Einige zogen daraus den Schluss, dass China Frankreich in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien ersetzen würde, bis Bolloré bekannt gab, dass er seine Logistiktochter an den italienisch-schweizerischen Konzern MSC weiterverkaufen würde.

Chinas wirtschaftliche Präsenz in Afrika verstärkt die Vorstellung, dass das Land zu einer imperialistischen Macht geworden sei. China schließt immer mehr Handelsverträge in Afrika ab: Es kauft Kupfer- und Kobaltminen in der Republik Kongo, die lange Zeit von Amerikanern oder Kanadiern betrieben wurden, fördert Öl durch Sinopec im Sudan, in Gabun oder Angola, kauft Agrarland oder Wälder von Mosambik bis Kamerun und seine Baukonzerne realisieren Großprojekte in diversen Ländern. Laut der senegalesischen Zeitung Le Soleil erreichte der chinesisch-afrikanische Handel von Januar bis September 2021 ein Volumen von 164 Milliarden Euro und machte China damit zum größten Handelspartner Afrikas.

Mit einem Anteil von 62% an den direkten Krediten von Staat zu Staat im Jahr 2020 finanziert China Straßen, Krankenhäuser und vieles mehr. Kenia hat sich 3,5 Milliarden US-Dollar von China geliehen, um die neue Eisenbahnlinie Nairobi-Mombasa zu realisieren, die von der chinesischen Firma CRBC gebaut und betrieben wird. Da diese Kredite häufig an die Rohstoffpreise gekoppelt sind, können viele Staaten ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen, selbst wenn sie ihre Bevölkerung ausquetschen. Sie müssen dann, wie Angola und Kenia, China um ein Moratorium bitten.

In dieser Hinsicht verhält sich China in Afrika trotz aller Reden über die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und trotz seiner anti-imperialistischen Posen wie die alten Kolonialmächte. Es unterhält dieselben ungleichen Handelsbeziehungen. Diese Feststellung gab Macrons Außenminister Le Drian die Gelegenheit, China zu verurteilen, das „die Länder bevormundet, nachdem es Investitionen getätigt und zur Verschuldung gedrängt hat.“[2]. Da spricht ein Experte! Denn was Bevormundung und ungleiche Entwicklung angeht, spielt China nicht in derselben Liga wie die USA, Großbritannien oder Frankreich. China besitzt nur 7,5% der gesamten afrikanischen Schulden. Die Wirtschaftsbereiche, in die chinesische Unternehmen investieren, sind solche, die der Imperialismus vernachlässigt hat.

Die imperialistischen Mächte verteidigen mit Klauen und Zähnen ihre Vorrechte: die Bergwerke, Ölförderanlagen und Bodenschatz-Reserven, die ihnen wichtig sind. Um sie zu verteidigen, stürzen Frankreich oder die USA Regime und führen ständig Kriege, wie den schmutzigen Krieg in der Sahel-Zone. China ist nur der fünftgrößte Waffenlieferant in Afrika, weit hinter Frankreich.

Imperialismus bedeutet die Mobilisierung von Streitkräften, Diplomatie und Geheimdiensten, um die wirtschaftlichen Interessen der nationalen Großkonzerne zu verteidigen. In Afrika unterhält Frankreich vier ständige Militärstützpunkte und hat Truppen in fünf weiteren Ländern. Die USA haben 14 permanente Stützpunkte und 20 temporäre. China hingegen hat nur einen einzigen Militärstützpunkt in Dschibuti. Dem Wall Street Journal zufolge führt es Gespräche mit Äquatorialguinea, um einen zweiten zu eröffnen, was die Feindseligkeit und das Veto der USA hervorruft. Der Vergleich spricht für sich.

 

Der „chinesische Traum“ Xi Jinpings

Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 hat Xi Jinping seine Entschlossenheit gezeigt, Chinas Größe wiederherzustellen. Mit dem Programm der sogenannten „neuen Seidenstraßen“ fördert er die Finanzierung von Infrastruktur, die chinesische Exporte erleichtern soll, und die Beteiligung an westlichen Unternehmen. Parallel dazu hat er die Rüstungsausgaben vervielfacht. Der chinesische Militärhaushalt, der weit unter dem der USA liegt (250 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 gegenüber 750 Milliarden US-Dollar), ist mittlerweile der zweitgrößte der Welt.

Diese systematische Intervention des chinesischen Staates, die westliche Politiker aufschreien lässt, ist nichts Originelles. Es ist die Haltung aller Staaten seit der Geburt des Kapitalismus. Um ihren jeweiligen Bourgeoisien zu dienen, haben Großbritannien und Frankreich im 19. Jahrhundert drei Viertel der Welt unter ihre Kontrolle gebracht, darunter auch China. Auch ohne soweit zurückzugehen: Wenn Macron am Persischen Golf einen Staatsbesuch macht, tut er dies, um die Rafale-Kampfjets des französischen Konzerns Dassaults zu verkaufen.

Die chinesische Bourgeoisie entwickelte sich ein Jahrhundert nach ihrem Pendant im Westen, aus einer Position der Schwäche heraus in einer Wirtschaft, die bereits von den imperialistischen Mächten beherrscht wurde. In jeder Phase konnte sie dies nur unter dem Schutz des chinesischen Staates tun. Nach dem „Jahrhundert der Schande" (der Beherrschung und Ausplünderung durch die europäischen kapitalistischen Mächte) vertrieben die Armee und die Partei unter Führung von Mao Tse-tung die prowestlichen Kriegsherren. Diese Partei, die keine kommunistische, sondern eine nationalistische Partei war, stützte sich hierfür auf eine Bauernrevolution. Nach der Vertreibung der westlichen Kriegsherren annullierten sie die ungleichen Verträge und bauten wieder einen zentralisierten und autoritären Staatsapparat auf. Aufgrund der von den USA erzwungenen wirtschaftlichen Isolation, der Rückständigkeit des Landes sowie der Schwäche und des parasitären Charakters der chinesischen Bourgeoisie führte der Staat bis in die 1970er Jahre eine Planwirtschaft ein, mit deren Hilfe er die Grundstoffindustrien und einige Infrastrukturen zu entwickeln versuchte.

Als die amerikanische Führung unter Nixon einwilligte, die Schlinge um Chinas Hals zu lockern, um von seinen Arbeitskräften zu profitieren, sorgte Deng Xiaoping – der „Architekt“ dieser Wiedereingliederung in die kapitalistische Wirtschaft – dafür, dass diese kontrolliert stattfand und dass westliche Investitionen in China mit Technologietransfer einhergingen. Um der chinesischen Bourgeoisie eine gnadenlose Bereicherung zu ermöglichen, machte Deng Schluss mit der „eisernen Reisschüssel" für chinesische Arbeiter, privatisierte Staatsbetriebe und drängte Millionen von Bauern dazu, sich in den neuen, modernen Industrie-Arbeitslagern anheuern zu lassen. In den letzten 40 Jahren fand diese Bereicherung im Schatten und unter der Aufsicht des Staates statt, der dafür sorgte, dass die Wiedereingliederung Chinas in den Weltmarkt nicht in eine erneute, vollständige Versklavung umschlug.

Xi Jinping kam nach der Krise von 2008 an die Macht, in einer Zeit, in der der Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalisten an Schärfe gewann. In jedem Land haben die Regierungen auf alle erdenkliche Arten zugunsten ihrer Bourgeoisie in die Wirtschaft eingegriffen. Um in diesem Kontext weiterhin die Interessen der chinesischen Bourgeoisie zu verteidigen, muss Xi Jinping seine Muskeln spielen lassen. Doch die Aggressivität kommt nicht von der chinesischen Seite.

 

Wirtschaftskrieg: wachsende Aggressivität von Seiten der USA

Im Dschungel des Kapitalismus ist die Vorherrschaft nie dauerhaft gesichert. Sie muss fortwährend verteidigt werden. Das erklärt die protektionistischen Maßnahmen und das militärische Säbelrasseln – nicht von China, sondern von den USA.

Vor fünf Jahren beschleunigte Trumps Amtsantritt mit seinem Auftreten und seinen brutalen Äußerungen die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. In Wirklichkeit war die Haltung der USA gegenüber China schon unter Obama (2009-2017) eine Mischung aus Offenheit und Härte: Offenheit für die amerikanischen Interessen in China und Härte gegenüber den chinesischen Konkurrenten außerhalb Chinas. Mit der Unterzeichnung der „Transpazifischen Partnerschaft" hatte Obama die Beziehungen zu Japan, Vietnam und Indien gestärkt mit dem Ziel, das von diesem Vertrag ausgeschlossene China einzukreisen.

Im Jahr 2018 ordnete Trump eine Reihe protektionistischer Maßnahmen in verschiedenen Bereichen an: Stahl, Aluminium, Haushaltsgeräte, gefolgt von Technologie- und Telekommunikationsprodukten. Die spektakulärste Entscheidung war, dass der Huawai-Konzern auf die schwarze Liste gesetzt wurde. Dem Konzern wurden jegliche Exporte in die USA und in der Folge auch in mit den USA verbündete Länder wie Australien oder Großbritannien verboten. Ihm wurde der Zugang zu seinen unverzichtbaren Lieferanten verwehrt, angefangen bei den Halbleitern, die vom taiwanesischen TSMC-Konzern hergestellt werden.

Trumps Nachfolger Joe Biden hat zwar den Stil geändert. Doch seine Regierung verfolgt in den Beziehungen zu China die gleiche Politik. So erneuerte und erweiterte Biden am 3. Juni ein Dekret, mit dem der „Bedrohung durch den militärisch-industriellen Komplex der Volksrepublik China" begegnet werden sollte. Das Dekret kriminalisiert Personen und Unternehmen, die mit diesem Komplex in Verbindung stehen. Das Weiße Haus hat sechs Wirtschaftssektoren ins Auge gefasst, die es chinesischen Importen entziehen will.

 

Die Provokationen des Westens

In allen Berichten wird China als bedrohlich dargestellt. Es bereite angeblich eine Invasion Taiwans vor und wolle das Südchinesische Meer unter seine Kontrolle bringen, was den Interessen der Anrainerstaaten Vietnam, Malaysia und den Philippinen schade. Die Realität sieht anders aus!

Im Südchinesischen Meer beansprucht China verschiedene unbewohnte Inselchen, um seine Hoheitsgewässer auszuweiten. Es hat dort Landebahnen eingerichtet und lässt Fischerboote und Kriegsschiffe in unmittelbarer Nähe kreuzen. Um dem entgegenzuwirken, entsenden die USA und ihre Verbündeten Marinepatrouillen, die vorgeben, im Namen der Einhaltung des Völkerrechts zu überprüfen, dass die Schifffahrtsroute frei und für alle offen ist. Bei diesen Operationen fahren Kriegsschiffe gezielt in die 12-Seemeilen-Zone der künstlichen Inseln in chinesischer Hand, um zu demonstrieren, dass man diese als internationale Gewässer betrachtet.

Die Chinesen reagieren auf diese Provokationen, indem sie ihrerseits Flugzeuge und Kriegsschiffe entsenden oder Raketen abfeuern. Bisher waren die Manöver auf beiden Seiten genau bemessen, um jegliche Entgleisung zu vermeiden. Doch regelmäßig nähern sich die chinesischen Zerstörer den amerikanischen Schiffen bis auf wenige Meter, sodass eine Entgleisung möglich ist. Ohne hier über die Legitimität der chinesischen Ansprüche auf dieses Meer zu diskutieren, muss man sich vorstellen, wie die Reaktion der USA aussehen würde, wenn chinesische Kriegsschiffe in Patrouillenformation nur wenige Kilometer von den Küsten Floridas oder Kaliforniens entfernt patrouillieren würden!

Xi Jinping veranstaltet regelmäßig Militärübungen, deren Ziel die US-Marine ist. Doch damit tut der chinesische Staat nichts anderes, als sein Territorium zu markieren und dem Druck des Westens stand zu halten.

Taiwan, eine Insel mit 23 Millionen Einwohnern, die in Sprache und Kultur chinesisch sind, war bis zu dessen Niederlage im Jahr 1945 von Japan besetzt. Chiang Kai-Shek hatte sich 1949 mit den Trümmern seiner Armee und fast zwei Millionen antikommunistischen chinesischen Flüchtlingen auf die Insel geflüchtet. Fast 40 Jahre lang übte die Kuomintang eine grausame Diktatur über Taiwan aus und forderten außerdem die Herrschaft über das chinesische Festland, also über ganz China. Erst 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben. Bis zur Wiederherstellung der Beziehungen zwischen dem maoistischen China und den USA betrachteten die USA Taiwan als den einzigen chinesischen Staat! Sie, die heute behaupten, die taiwanesische „Demokratie" zu schützen, haben sich nie an der Diktatur Chiang Kai-sheks und seiner Erben gestört.

In den Augen Pekings ist Taiwan eine chinesische Provinz. Chinesische Flugzeuge fliegen regelmäßig kurz in dessen Luftraum. Sie fliegen nicht über Taiwan selber, sondern am Rande von dessen Hoheitsgewässern. Für die USA hingegen ist Taiwan ein wirtschaftlicher und militärischer Brückenkopf, der nur wenige hundert Kilometer von China entfernt liegt. Die amerikanische Führung verbreitet das Bild eines kriegslüsternen Chinas. Sie prangern, wie Joe Biden im November, „den anhaltenden militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der Volksrepublik China auf Taiwan" an. Zahlreiche Autoren verbreiten das Szenario einer chinesischen Invasion Taiwans. Doch bislang ist eine solche Invasion reine Gedankenspielerei und die chinesischen Forderungen bleiben rhetorisch.

 

Krieg – eine immer näher rückende Bedrohung

Die USA und ihre Verbündeten hingegen erhöhen Monat für Monat den militärischen Druck auf China. Die französische Naval Group bekam dies im September letzten Jahres zu spüren, als sie den Vertrag über die an Australien verkauften U-Boote abrupt verlor. Unter dem Namen Aukus haben die USA, Großbritannien und Australien eine neue Militärallianz gegen China aufgebaut. Australien wird atomgetriebene, leistungsstärkere U-Boote kaufen. Die australische Regierung hat für die nächsten zehn Jahre Militärausgaben in Höhe von 354 Milliarden Euro geplant.

Japan, ein weiteres Nachbarland Chinas, wird von den USA dazu gedrängt, seinen Militärhaushalt zu erhöhen. In der japanischen Verfassung von 1947 heißt es jedoch, dass Japan „auf den Krieg verzichtet". Seit 1976 sind die Militärausgaben des Landes auf 1 % des BIP begrenzt. Im Mai dieses Jahres erklärte der Verteidigungsminister: „Wir müssen unsere Kapazitäten in einem radikal anderen Tempo als in der Vergangenheit ausbauen"[3] Ende November beschloss der Premierminister unter Berufung auf „die ernste Sicherheitslage um Japan herum"[4] eine Aufstockung des Haushalts für 2021 um 6 Milliarden Euro auf 47,2 Milliarden Euro, so viel wie Frankreich ... das dem Krieg nicht entsagt hat. Es plant, diesen Militärhaushalt in den nächsten Jahren zu verdoppeln. Ganz klar: Japan schafft sich die Mittel, Krieg zu führen. Der Druck der USA und ihrer Verbündeten auf China nimmt viele andere Formen an, eine Mischung aus wirtschaftlichen, zollpolitischen, diplomatischen und militärischen Maßnahmen.

Trotz dieses Drucks und der Spannungen vertiefen sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und dem Rest der Welt weiter. Es gibt keine Entkopplung zwischen der chinesischen und der US-amerikanischen Wirtschaft, sondern im Gegenteil eine Kopplung, eine immer tiefere und unausweichlichere gegenseitige Abhängigkeit. Diese wirtschaftliche Verflechtung findet jedoch im Rahmen des kapitalistischen Marktes statt. Sie wird nicht auf rationale und planmäßige Weise betrieben, sondern durch brutale Machtverhältnisse, durch einen Kampf auf Leben und Tod zwischen konkurrierenden kapitalistischen Konzerne. In diesem Wettbewerb können sowohl die westlichen als auch die chinesischen Kapitalisten auf die bedingungslose Unterstützung ihrer jeweiligen Staaten zählen, die bereit sind, hier alle ihre Mittel zu mobilisieren, einschließlich der militärischen.

In diesem Krieg, der heute noch hauptsächlich ein Handelskrieg ist, aber bald zu einem echten Krieg werden kann, sind China und die imperialistischen Mächte nicht gleichberechtigt. China ist in der Defensive, während die USA in die Offensive gehen, um die Vormachtstellung ihrer Kapitalisten zu erhalten und das Aufkommen allzu mächtiger Konkurrenten zu verhindern.

Bisher ist noch kein bestimmter Mechanismus für einen Krieg in Gang gesetzt worden, aber jede Macht bereitet sich akribisch darauf vor, indem sie militärisch aufrüstet und ihre Bündnisse vorbereitet. Dieser Krieg, der vorbereitet wird, ist nicht der Krieg der Arbeiter. Es ist der Krieg derjenigen, die sie überall auf der Welt, in Frankreich wie in China, in den USA wie in Afrika ausbeuten, um auf Kosten ihrer Konkurrenten den größten Teil der Profite an sich zu reißen. In dem Maße, in dem sich die Spannungen verschärfen, wird auch die Propaganda zunehmen, die darauf abzielt, die chinesische Führung als Kriegstreiber und gefährliche Diktatoren darzustellen, die daran gehindert werden müssen, Schaden anzurichten. Und sie wird von allen Parteien kommen. Für die einen wird es im Namen der Wettbewerbsfähigkeit geschehen, für die anderen im Namen der Beschäftigung, im Namen des Kampfes gegen den Klimawandel oder im Namen der Verteidigung der Uiguren. All dies ist nur Verkleidung und Heuchelei, denn obwohl das chinesische Regime unbestreitbar eine grausame Diktatur ist, die sich vor allem gegen die chinesischen Arbeiter richtet, ist es nicht das, was Macron, Biden oder Johnson stört.

Vergessen wir nicht die Losung, die der deutsche Revolutionär Karl Liebknecht mitten im Ersten Weltkrieg verkündete: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“

 

9. Januar 2022




[1] November-Ausgabe 2022 von Le Monde Diplomatique

[2] Interview des Außenministers Le Drian, Le Monde, 19. November 2021

[3] Le Monde, 26. November 2022

[4] Le Monde, 26. November 2022