Die Rolle des Nationalgefühls in den sozialen Kämpfen (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Januar bis März 1968)

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Die Rolle des Nationalgefühls in den sozialen Kämpfen
März 1968

Die Rolle des Nationalgefühls in den sozialen Kämpfen

(aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Januar 1968)

Genauso wie zur Zeit des "Kommunistischen Manifestes" ist die menschliche Gesellschaft in zwei grundlegenden Klassen geteilt: Bürgertum und Proletariat. Erfolge, Siege anderer unterdrückter Klassen als das Proletariat, insbesondere Bauernarmeen mit radikaler Führung, können zu besonderen Zeiten, an besonderen Orten und unter bestimmten Umständen die brennendsten Probleme ihrer Länder zum Teil lösen. Tatsache jedoch bleibt, dass sich die Zukunft der Menschheit auf Dauer und weltweit zwischen den zwei grundlegenden Klassen der kapitalistischen Gesellschaft, das heißt unseres Zeitalters, abspielt. Dass er tief dessen bewusst ist, ist, was den proletarischen Revolutionär von dem kleinbürgerlichen Revolutionär unterscheidet.

Es ist jedoch extrem unwahrscheinlich - außer vielleicht unter sehr besonderen Umständen in den hoch industrialisierten Ländern -, dass der Aufbruch der proletarischen Revolution auf eine einzige, sozusagen "chemisch reine" Weise geschieht, und von dem einzigen Antagonismus zwischen den zwei grundlegenden Klassen in Bewegung gesetzt wird. Er wird sehr gewiss im Laufe einer sozialen Explosion stattfinden, die die Masse aller Unterdrückten und Unzufriedenen in Bewegung versetzen wird, das heißt, außer dem Proletariat, die Masse der städtischen Kleinbürger, der Bauern, der Halbproletarier, mit deren Vorurteilen, mit deren Unentschlossenheit, und deren Mangel an politischem Bewusstsein.

Wenn diese Massen, die unterschiedliche politische Interessen und Ziele haben, die aber in derselben Unzufriedenheit, im selben Willen zur Veränderung verbunden sind, daran nicht teilnehmen, ist die Revolution nicht möglich. Die Rolle des fortgeschrittenen Proletariats, und besonders der revolutionären Organisation, wird es dann sein, den objektiven Sinn dieses Kampfes zum Ausdruck zu bringen, und daher ihn zu orientieren und ihn unter der Leitung der einzigen Klasse, die historisch fähig ist, ihn bis zum Ende zu treiben, des industriellen Proletariats, zu vereinen.

Bevor er politisch vereint wird, wird der Kampf dieser Massen zuerst durch das gemeinsame Gefühl vereint, dass sie unterdrückt sind. Die Rolle solcher "vereinigenden Gefühle" war seit jeher die Haupttriebkraft, die jede revolutionäre Explosion auslöste. Das Nationalgefühl, oder dass man einer nationalen Unterdrückung oder der Gefahr nationaler Unterdrückung bewusst wird, ist eine von denen, und sogar eine von den wichtigsten. Dieses Gefühl besteht aus zahlreichen Elementen, deren vorherrschende Merkmale je nach der Klasse oder der sozialen Schicht wechseln, die zum Kampf gebracht werden. Es ist der Ausfluss eines Gefühls der sozialen Unterdrückung für einige ausgebeutete Schichten, kann aber auch den Einfluss einer chauvinistischen Ausbeuterklasse widerspiegeln. Das Nationalgefühl - ob reaktionär in einigen Aspekten oder in einem fortschrittlichen Sinn mobilisierend in anderen - kann auf jeden Fall von den Revolutionären nicht übersehen werden. In unserer Zeit bleibt es noch eines der Gefühle, die in den Volksmassen tief verankert sind, um welches sie bereit sind, sich zu mobilisieren und wofür sie zu kämpfen bereit sind.

Unter den Beispielen der Vergangenheit kennt jeder die Bedeutung des Einmarsches und der Besatzung Preußens im Ausbruch der Pariser Kommune. Dass die bürgerliche Demokratie ebenfalls während ihrer kurzen Regierungszeit unfähig war, eine befriedigende, und sogar eine Antwort überhaupt auf die brennende nationale Frage zu bringen, spielte eine gewaltige Rolle im Ausbruch der ungarischen proletarischen Revolution von 1919.

Es gibt jedoch neuere Beispiele. Eine revolutionäre Partei hätte nicht vor der mächtigen Welle des Nationalgefühls neutral bleiben können, er hätte sich ihm auch nicht wahllos widersetzen können, weil dieses Nationalgefühl alle Faktoren besonders prägte, die die ungarische Arbeiterklasse im Jahre 1956 zur Waffenergreifung führten.

Und heute in der Hochburg des Imperialismus hat ein Teil des amerikanischen Proletariats ein Radikalismus- und Bewusstseinsniveau erreicht, das man seit langem in einem westlichen Land nicht gesehen hatte. Aber der nationale und Rassenfaktor in der Radikalisierung der schwarzen Amerikaner spielt eine vorherrschende Rolle. Jedoch über den auslösenden Faktor hinaus hat diese Radikalisierung, weil sie einen Teil des Proletariats der imperialistischen Hochburg betrifft, genau eine außergewöhnliche Bedeutung und nicht nur für die Zukunft der USA.

Die Rolle und die Bedeutung des Nationalgefühls in einem Land hängen von vielen Faktoren ab. Sehr schematisch ist es allerdings möglich, drei Kategorien aufzustellen, nämlich: die unterentwickelten Länder, die ihre bürgerlich-demokratische Revolution nicht gemacht haben, die imperialistischen Länder und schließlich die Ostblockländer.

Welche sind die sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln des Nationalgefühls in diesen verschiedenen Ländergruppen, was bedeutet sein Einfluss auf die Massen, in welche Richtung kann es die sozialen Kämpfe führen, wie soll die revolutionäre Organisation vor diesem Problem reagieren? Das sind die Fragen, die wir in verschiedenen folgenden Artikeln der nächsten Nummern von Lutte de Classe behandeln werden.

Zuerst, wie soll diese Frage in den unterentwickelten Ländern gestellt werden? Diese Länder haben in ihrer überwältigenden Mehrheit das Problem ihrer nationalen Befreiung noch nicht gelöst, auch wenn sie formal unabhängig sind. In diesen Ländern hat die Forderung der nationalen Befreiung das tiefste Echo in den Massen, und deshalb hätte in diesen Ländern die Unkenntnis der nationalen Frage besonders schädliche Folgen.

Welche sind die wirklichen, materiellen Wurzeln des Nationalgefühls in den kolonialen oder halbkolonialen Ländern?

In erster Linie liegen sie in der nationalen Unterdrückung, die mit mehr oder weniger Intensität alle Schichten der einheimischen Gesellschaft trifft.

Was ihre Form und ihre Bedeutung betrifft, hängt diese Unterdrückung davon ab, inwiefern das unterentwickelte Land abhängig vom Imperialismus ist. In den kolonisierten Ländern, wo jemand Privilegien hat, nur, weil er aus dem kolonisierenden Land stammt, - Privilegien, die ein Einheimischer nie haben könnte - ist diese Unterdrückung klar, täglich und institutionalisiert. Sie ist manchmal heimtückischer, aber genauso abstoßend, wie in Madagaskar oder in China vor 1948, wo die nationale Unabhängigkeit nur eine rechtliche Fiktion ist. In diesen Ländern spiegelt das Nationalgefühl etwas Allgemeineres wider: ein Streben nach der elementarsten menschlichen Würde, das Verlangen, nicht tägliche Demütigungen im eigenen Land zu ertragen, einfach, weil man ein Einheimischer dieses Landes ist. In einem Wort spiegelt es das Streben nach den elementarsten demokratischen Rechten wider.

Dieses Nationalgefühl ist jedoch auch für die armen Schichten insbesondere für das Proletariat die erste Ausdrucksform, die erste Stufe zum Bewusstsein für die soziale Ausbeutung. In der großen Mehrheit der rückständigen Länder steht das nationale Proletariat in direktem Konflikt mit den ausländischen Imperialisten. In einem Land wie China vor der Ergreifung der Macht durch Mao arbeitete mehr als die Hälfte des industriellen Proletariats in ausländischen Unternehmen, die von ausländischen Ingenieuren, Technikern, Vorarbeitern geführt wurden. Und aus dieser Sicht war China nicht in der schlechtesten Position.

In seinem ersten, wie in seinem zweiten Aspekt ist das Nationalgefühl für die Volksmassen der unterentwickelten Länder die elementarste Ausdrucksform eines unbestimmten anti-imperialistischen Gefühls. Soweit es sich durch eine Mobilisierung verwirklicht, und durch einen Wunsch, für die nationale Befreiung, für die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen, ist seine Bedeutung unumstritten fortschrittlich. Der Kampf für die nationale Unabhängigkeit bleibt in seinen Zielen auf dem Gebiet der bürgerlichen demokratischen Revolution. Als solches jedoch, und unabhängig von der Dynamik, die sie in sich enthält und die die Grenzen der bürgerlichen Revolution überschreiten kann, wird sie von den proletarischen Revolutionären unterstützt, wie jeder Aufstand gegen den Imperialismus unterstützt wird, jeder Kampf, der die Volksmassen für die Eroberung ihrer demokratischen Rechte den vom Imperialismus unterstützten reaktionären Klassen oder Kasten entgegensetzt.

"Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen", also, dass der Kampf der Völker für ihre nationale Befreiung als legitim und fortschrittlich anerkannt sei, bleibt heute noch ein Schlagwort der bürgerlich-demokratischen Revolution, das einem tiefen Gefühl in den Volksmassen der kolonialen oder halbkolonialen Länder am meisten entspricht.

Die Rolle des Proletariats ist jedoch nicht nur, dem Kampf der Volksmassen für ihre nationale Befreiung ihre Unterstützung oder ihren moralischen Segen zu gewähren. Es soll nicht nur als Partner an diesem Kampf teilnehmen, es hat eine besondere Rolle, eine leitende Rolle.

Wegen des kombinierten Charakters der Wirtschaftsentwicklung der rückständigen Länder, die der Beherrschung des Imperialismus unterworfen sind, wird die Nationalbourgeoisie dieser Länder zu einer von dem Imperialismus wirtschaftlich zerstörten Klasse, die aber gleichzeitig in hohem Maße abhängig von ihm ist. Die Politik dieser schwachen kraftlosen Nationalbourgeoisie ist das Abbild ihrer wirtschaftlichen Position, es zeichnet sich durch ihr nüchternes, zögerliches Auftreten aus, selbst wenn es sich um die Verwirklichung ihrer eigenen historischen Aufgaben handelt. Nur unter sehr außergewöhnlichen Bedingungen, wie zum Beispiel in China (Interferenz einer nationalen mit einer sozialen Krise, die Millionen von Bauern in den Kampf stürzte, Existenz eines politischen Personals, das auf dem Gebiet des Bürgertums steht aber der unabhängig der reaktionären Kasten ist, extreme Verrottung des alten Regimes), nur in solchen Originalfällen kann es sein, dass die Nationalbourgeoisie dazu gebracht wird, wenn nicht die entscheidende Führung des nationalen Befreiungskampfes entschlossen zu übernehmen, dann zumindest die Eroberungen davon zu akzeptieren.

Unter diesen Bedingungen besteht die Rolle des fortgeschrittenen Proletariats nicht nur darin, den nationalen Befreiungskampf zu unterstützen, sondern die Führungsrolle in diesem Kampf entschlossen zu übernehmen. Indem er die Ausflüchte, die Zugeständnisse selbst von den radikalsten Flügeln des politischen Personals des Nationalbürgertums - anprangert, muss es zeigen, dass es die wirksamste Klasse in diesem Kampf ist, denn es hat keine Verbindung, kein gemeinsames Interesse mit dem Imperialismus.

Das Proletariat muss zeigen, dass es nicht nur die wirksamste Klasse in der Leitung der nationalen Befreiung, sondern auch, dass es die Einzige ist, die sie befestigen kann. Diese Befestigung bedeutet in der Tat, dass der Staat, der im Kampf gebaut wurde, täglich und wirksam kontrolliert wird, und dass das Proletariat die einzige Volksklasse, die aufgrund ihrer Konzentration in den wirtschaftlichen und politischen Zentren des Landes fähig ist, diese Kontrolle durchzuführen.

Aber die Rolle des Proletariats ist nicht nur, die Führung der anderen Volksschichten zu übernehmen, um entschlossen und radikal die nationale Befreiung zu verwirklichen, die noch einmal das Gebiet der bürgerlichen demokratischen Revolution nicht verlässt. Das Proletariat eines unterentwickelten Landes gehört unbedingt zum weltweiten Proletariat, und als solches gehen seine Aufgaben, seine historische Rolle über den nationalen Rahmen hinaus.

Auch hier kann das Nationalgefühl der erste Schritt des sozialistischen Bewusstseins sein.

Gerade, weil sich die soziale und die nationale Unterdrückung in den rückständigen Ländern überschneiden, gerade, weil die geringste Forderung die Arbeitenden dieser Länder ausländischen Imperialisten entgegensetzt, gerade aus diesen Gründen ist eine revolutionäre Organisation fähig, durch den Kampf für die nationale Unabhängigkeit ihre Klasseninteressen und die Rolle der Arbeiterklasse in der sozialistischen Umwandlung der Welt den Arbeitenden beizubringen.

Zwei Gefahren erwarten die proletarische revolutionäre Organisation, die mit dem tiefen Nationalgefühl der Volksmassen, einschließlich der Arbeitenden, der kolonialen oder halbkolonialen Länder konfrontiert wird.

Die erste wäre eine linksradikale Schwätzerei oder Verhalten, wodurch sie sich - aus Angst davor, vor dem Nationalismus abzudanken -, weigern würde, in Betracht zu ziehen, wie tief das Nationalgefühl ist, oder das sie sogar dazu treiben würde, sich dem zu widersetzen. Sicherlich gibt es zu viele Beispiele von unterentwickelten Ländern, wo das Nationalgefühl sich in Form von Nationalismus äußert, man könnte sogar sagen, dass es nur solche Beispiele gibt. Die Begeisterung der Volksmassen für den Nationalismus drückt kein notwendiges und unausweichliches Phänomen in den rückständigen Ländern aus. Sie drückt besonders die Tatsache aus, dass mangels einer proletarischen Führung, die fähig ist, eine richtige Haltung einzunehmen und eine wirksame Politik zu dieser Frage zu führen, der Volkszorn und dessen Unzufriedenheit von Politikern der Nationalbourgeoisie kanalisiert werden.

Wer ablehnte, das Nationalgefühl zu berücksichtigen, würde Wasser in die Mühle dieser bürgerlichen Politiker bringen, deren Erfolg gerade darin liegt, dass dieses Gefühl tiefe Wurzeln in den Volksmassen hat. Es abzulehnen, würde gleichzeitig bedeuten, sich selbst zur Untätigkeit zu verurteilen und in der Tat auf die sozialistische Revolution zu verzichten.

Keine revolutionäre Organisation kann sich in einem kolonialen oder halbkolonialen Staat niederlassen, und den Kampf für die sozialistische Revolution übernehmen, ohne sich an die Spitze des Kampfes für die nationale Befreiung entschlossen zu stellen. Es nicht tun, würde bedeuten, die revolutionäre Theorie in ein Geschwätz zu verwandeln, dessen "Klassenreinheit" nur Ineffizienz übertrifft.

Die zweite entgegengesetzte (aber in ihren Ergebnissen ähnliche) Gefahr wäre, vor dem Nationalismus abzudanken, das heißt - denn die Ideen decken Klassenverhältnisse - vor der Nationalbourgeoisie und vor ihren radikalen politischen Vertretern abzudanken.

Es ist gerade der "vereinigende" Charakter des Nationalgefühls, der die breitesten Volksmassen im selben anti-imperialistischen Hass vereint, es ist dieser Charakter, der ein revolutionärer Faktor erstrangiger Bedeutung sein kann, der auch eine tödliche Gefahr für das revolutionäre Proletariat verbirgt, indem er die Unterschiede, die Klassenoppositionen verschleiert.

Genau deswegen muss der Kampf des Proletariats für die nationale Befreiung parallel zu dem kontinuierlichen unerbittlichen politischen Kampf gegen die kleinbürgerlichen Organisationen geführt werden, die diese Forderung zu ihrer eigenen machen.

Die Rolle der revolutionären Organisation ist gewiss, das Nationalgefühl der Massen auszudrücken, aber indem man seinen Klasseninhalt hervorhebt. Dies kann nur stattfinden, wenn die proletarische Avantgarde ihre politische Unabhängigkeit und ihre organisatorische Unabhängigkeit bewahrt.

Das Nationalgefühl kann zunächst der Motor eines proletarischen revolutionären Vorgangs sein, aber nie das Lenkrad davon. Wenn der Kampf für die nationale Befreiung, soweit sie gegen den Imperialismus geführt wird, in jedem Fall unterstützt werden muss, kann es zum Aufbruch einer proletarischen Revolution nur führen, wenn das Proletariat in seinen eigenen Organisationen organisiert wird, wenn es für seine eigenen Ziele kämpft. Andernfalls wird kein automatischer Mechanismus von einem nationalen Befreiungskrieg eine sozialistische Revolution machen. Es zu glauben oder es glauben zu lassen, ist der schlechteste Dienst, der nicht nur als letztes Mittel für die sozialistische Revolution, sondern auch in letzter Instanz für die Interessen einer konsequenten nationalen Befreiung erbracht werden kann. Gerade diesen Fehler haben manche trotzkistischen Organisationen zur Zeit des Algerienkrieges begangen, die eine gegenüber der Nationalen Befreiungsfront FLN, die andere gegenüber der Algerischen Nationalbewegung MNA.

Es ist derselbe Fehler, den sie gegenüber dem Vietnamkrieg begehen, wenn sie diesem Krieg die Dynamik einer sozialistischen Revolution verleihen und wenn sie der FNL Tugenden verleihen, die nur eine proletarische revolutionäre Organisation haben könnte. Wenn der Kampf des vietnamesischen Volkes nicht nur die Sympathie, sondern auch die völlige Unterstützung jedes proletarischen Revolutionärs haben muss, haben wir die Pflicht zu sagen, dass er unter seiner derzeitigen nationalistischen kleinbürgerlichen Leitung bestenfalls zu einem Staat nach chinesischem, jugoslawischem oder algerischem Muster führen kann, aber dass er unter keinen Umständen die erste Etappe eines proletarischen revolutionären Prozesses sein könnte.

Das Nationalgefühl und die revolutionäre Bewegung in den imperialistischen Ländern

(aus Lutte de Classe von Februar 1968)

Unsere Zeit hat seit Jahrzehnten schon die proletarische Revolution auf die Tagesordnung gestellt. Wie kann diese Revolution entstehen, sich entwickeln und siegen? Durch welche Scharmützel, welche Ebbe und Flut, welche Siege und Teilsiege eine unwiderstehliche Gesamtbewegung entstehen wird, kann niemand sagen. Die Kraftlinien der kommenden Revolution werden in letzter Instanz von zwei im Grunde entgegengesetzten Polen ausgehen: der weltweite Imperialismus und das internationale Proletariat. Aber sie werden sich in einer Gesellschaft durchsetzen, in der andere Klassen, Schichten, soziale Gruppen leben, kämpfen und ihre unterschiedlichen Interessen verteidigen. Um zu siegen, muss das Proletariat um sich, um seine Aktion, um seine Ziele breite Volksmassen polarisieren.

Die Erfahrung der vergangenen Revolutionen, sowohl besiegte oder siegreiche, zeigt, dass das Proletariat nur fähig ist, seine historische Aufgabe zu bewältigen, das heißt, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen für immer zu beenden, wenn seine eigene Aktion sich innerhalb einer Volksmobilisierung entwickelt. Mit anderen Worten, wenn breite Volksschichten, die sich in einer Sackgasse fühlen, eine Lösung ihrer Probleme nur durch eine gewalttätige Änderung der alten Verhältnisse sehen, und wenn, um diese Änderung zu erreichen, sie entschlossen sind, direkt in den Lauf der Dinge einzugreifen.

Damit eine Volksmobilisierung geschieht, ist es notwendig, dass die Gefühle der verschiedenen in irgendeiner Form unterdrückten oder ausgebeuteten Schichten einen gemeinsamen Nenner finden, und dieses gemeinsame Hassgefühl wird das Feld, auf dem die Volksbewegung entsteht. Die Volksbewegung selbst wird revolutionär von dem Moment ab, in dem sie sich die Frage der Macht stellt, von dem Moment ab, in dem sie daran denkt, nicht nur den alten unerträglich gewordenen Zustand der Dinge anzugreifen, sondern auch den Staat selbst, der sein Garant und ultimatives Bollwerk ist.

Dieses Bewusstwerden breiter Massen kann in vielen Etappen erfolgen und vielen Rhythmen folgen. Außer dem subjektiven Element, das durch die Rolle und die Aktivität einer revolutionären Organisation gebildet wird, hängt der Rhythmus zum großen Teil von der Form der Staatsmacht selbst ab. Je mehr die Macht allgegenwärtig und allmächtig ist, je mehr sie in alle Bereiche des sozialen Lebens eingreift, desto schneller erfahren die agierenden Massen, dass, um zu besiegen, sie zerstört werden muss. Je mehr diese Macht von einem Mann oder von einem eingeschränkten Team verkörpert wird, desto mehr steht sie im Mittelpunkt des Volkshasses.

Obwohl sie viele Nachteile für die Bourgeoisie hat, hat die Demokratie unter anderem den Vorteil, dass sie die Wirklichkeit der Macht vor den Massen verwässert, dass sie den Unterdrückungsmechanismus hinter dem Kreuzfeuer der vorbeiziehenden und sich nachfolgenden Regierungen verbirgt. Die offene und erklärte Diktatur, die Autokratie, der Bonapartismus, verleihen der Macht ein konkretes Aussehen, in Fleisch und Blut, das für die tägliche Erfahrung der Massen erreichbar ist. Aus tiefen historischen Gründen, wie der kombinierten Entwicklung Russlands, fiel im Jahre 1917 die Bauernbewegung mit dem proletarischen Aufstand zusammen. Aber es ist, indem sie "Nieder mit dem Zaren" schrien, dass der Soldat - der zugleich ein Bauer war - und der Arbeiter sich im Februar konkret begegneten. Der Hass der Autokratie war ein mächtiger revolutionärer Hebel, um welchen die Massen sich mobilisiert haben, gerade weil er der gemeinsame Nenner der Gefühle der unterdrückten Klassen war.

Das Nationalgefühl ist eigentlich eines der mächtigsten "vereinigenden Gefühle", um welches, auch in unserer Zeit, breite Volksschichten sich wiederfinden und wofür sie bereit sind, zu kämpfen. In der letzten Nummer von Lutte de Classe hatten wir von seiner Rolle und seiner Bedeutung in den unterentwickelten Ländern gesprochen, wo seine Wurzeln in der nationalen Unterdrückung zu suchen sind, die fast die gesamte Bevölkerung belastet. In diesen Ländern wird der offen diktatorische Charakter der Macht mit der Tatsache kombiniert, dass sie von und zum Nutzen der unterdrückenden Nation ausgeübt wird, was eine besonders explosive Kombination ist.

Für die unterentwickelten Länder stellt sich das nationale Problem - und dessen Ausdruck in den Gefühlen der Volksmassen - in so akuter Form, dass eine revolutionäre Organisation sich selbst verurteilen würde, wenn sie es ignorieren würde.

Stellt es sich auch für die imperialistischen Länder und wenn ja, in welcher Form? Mit anderen Worten kann sich die revolutionäre Organisation in Gegenwart eines tiefen Nationalgefühls im Volk befinden, das durch eine nationale Unterdrückung oder die Furcht vor einer nationalen Unterdrückung ausgelöst wäre?

Das Problem stellt sich offenbar heute nicht. Vor 25 Jahren jedoch war Frankreich besetzt, und diese Besatzung hat das Nationalgefühl in der Bevölkerung neu belebt. Im Übrigen wurde dieses Gefühl durch die chauvinistische Propaganda der Kommunistischen Partei ab 1941 beträchtlich verstärkt. Wenn der gegen die Besatzungstruppen bewaffnete Widerstand viel begrenzter war, als das, was die Stalinisten behaupten, hat sie zweifellos von der Sympathie breiter Schichten der Bevölkerung profitiert. Die trotzkistische Bewegung musste damals ihre Einstellung zu der "Résistance" bestimmen und zu den Problemen, die durch die Besatzung aufgeworfen waren, Stellung nehmen. Genauer gesagt, stellte sie sich die Frage, ob eine breite Mobilisierung gegen die Besatzungsmacht in sich eine Dynamik trug, die zur sozialen Revolution führen konnte.

Die Probleme, die im Zusammenhang mit einer ausländischen Besetzung in einem imperialistischen Land entstanden sind, in Frankreich insbesondere, sind nicht überholt. Die proletarische Revolution wird vielleicht aus den Wellen eines Dritten Weltkrieges auftauchen, dessen Wechselfälle zu aufeinander folgenden unterschiedlichen Besetzungen führen könnten. Der französische Bürgerstaat wird vielleicht mit einer russischen Besatzungsarmee konfrontiert. Aber es lohnt sich, diesen Fall getrennt zu prüfen.

Es ist zwar ausgeschlossen, dass der kommende Krieg zwei imperialistische Lager wie während des Zweiten Weltkrieges entgegensetzt. Frankreich kann jedoch von einem anderen imperialistischen Land, nämlich den USA, als "Verbündeter" besetzt werden - wie Italien, das 1943 nach dem Staatsstreich von Badoglio von der deutschen Armee besetzt wurde. Diese Besatzung, soweit sie zum Ziel hat, Frankreich in einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion zu führen, auch wenn sie als "Verbündeter" erfolgt, kann ähnliche Volksreaktionen auslösen, wie die von 40-45. Es ist deshalb nicht unnötig, von jener Zeit zu sprechen denn, wenn der Krieg und die Besatzung 25 Jahre hinter uns sind, sind sie vielleicht nicht so weit vor uns.

Es ist sicher, dass eine revolutionäre Organisation gegen die deutsche Besatzungsarmee hätte kämpfen müssen, und dies aus zwei Gründen. In erster Linie, weil unter den damaligen Bedingungen, der Kampf gegen die Staatsmacht notwendigerweise ein Kampf gegen die Besatzungsarmee war, die ihr Hauptpfeiler war. An zweiter Stelle, weil jede revolutionäre Organisation die Aufgabe hatte, die UdSSR einschließlich mit militärischen Mitteln zu verteidigen: Sabotagen des deutschen Kriegsapparats, bewaffnete Handgriffe usw. Dadurch hätte sicher die revolutionäre Organisation unumstritten vom Nationalgefühl profitiert, und es in gewissem Maße um ihre Aktion kristallisiert. Aber, wenn es in diesem Gefühl, um den Ausdruck von Trotski wiederaufzunehmen, "Elemente gab, die einerseits den Hass gegen den zerstörenden Krieg und andererseits das Festhalten an das widerspiegelten, was sie für ihr Eigentum halten", es war besonders die bürgerliche Ideologie in den Massen, die sich so ausdrückte. Und es ist genau, weil ihre Aktion notwendigerweise für diese Nationalgefühle ein Ventil bietet, dass die revolutionäre Organisation dazu verpflichtet war, ihre Position angesichts der nationalen Frage klar zu definieren und sich unzweideutig zu organisieren.

In dieser Hinsicht ist das erste theoretische Problem - und die damalige trotzkistische Bewegung hat es sich tatsächlich gestellt - zu wissen, ob die ausländische Besatzung die nationale Frage, bestimmt in neuen Worten, wiederauftauchen lässt. Ein Teil der trotzkistischen Bewegung antwortete positiv auf diese Frage und behauptete, Frankreich sei jetzt ein halbkolonialer Vasallenstaat geworden. Politisch habe sich die Nationalbourgeoisie an der Macht nur als Gehilfin der mächtigsten Bourgeoisie gehalten. Fast wie die einheimischen führenden Klassen in einigen Kolonien vom Imperialismus an der Macht aufrechterhalten worden sind, behauptete ein politisches Bulletin aus dieser Zeit. Die Befürworter dieser These behaupteten zwar, dass im Gegensatz zu den früher kolonisierten Ländern das Bürgertum unfähig war, für die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen und dass diese nur von den Massen, und von ihnen allein ohne das Bürgertum, erhalten werden konnte.

In Wirklichkeit waren die subtilen theoretischen Unterscheidungen zwischen der alten und der neuen nationalen Frage nur Haarspalterei, da es wichtig ist, die nationale Frage selbst anzuerkennen und somit die Legitimität des Kampfes für die nationale Unabhängigkeit.

Diese Anerkennung war jedoch an der Wurzel falsch. Die wirtschaftliche Basis der nationalen Frage in den unterentwickelten Ländern gilt nur, weil die imperialistische Macht nur deshalb erhalten bleibt, weil sie sich auf die herrschenden Schichten, auf die rückständigsten sozialen Strukturen stützt, und sie die Befreiung und die Entwicklung des Kapitalismus im nationalen Rahmen verhindert. Der Kampf der Nationalbourgeoisie ist also bis zu einem gewissen Grad fortschrittlich und anti-imperialistisch.

Ganz im Gegenteil drückt die Besetzung dieses oder jenes imperialistischen Landes durch ein anderes nicht nur die Tatsache aus, dass die Eroberung des Binnenmarkts für den Kapitalismus dieses Landes seit langem verwirklicht ist, sondern auch, dass sich dieser Markt seit langem als zu eng erwiesen hat; und es ist gerade im Kampf für die Eroberung von Auslandsmärkten, dass dieser Imperialismus auf einen Gegner gestoßen ist, der sich zumindest für eine Zeit als der stärkste erwiesen hat. Die "nationale Unterdrückung", die das besiegte imperialistische Land erträgt, erscheint dann nicht als eine zu überschreitende Etappe in der Aufwärtsbewegung der Nationalbourgeoisie, sondern als eine Phase des Krieges, den die imperialistischen Kräfte gegeneinander führen, als eine Episode in der Fluktuation der jeweiligen Machtverhältnisse. Für die "nationale Unabhängigkeit" oder für die "Befreiung" oder sogar "die nationale Befreiung" unter diesen Bedingungen zu kämpfen, bedeutet sich für seinen Imperialismus einzusetzen.

Deshalb ist es Unsinn, "die alte nationale Frage" der kolonisierten Länder von "der neuen nationalen Frage" zu unterscheiden, die anlässlich der Besetzung eines imperialistischen Landes durch ein anderes aufgetaucht ist, unter dem Vorwand, dass im ersten Fall die Bourgeoisie noch fähig ist, für die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen, während sie im zweiten Fall dazu nicht mehr fähig ist. Nicht der mehr oder weniger große Radikalismus der Bourgeoisie im Kampf für die nationale Unabhängigkeit soll entscheiden, wie die Revolutionäre zu ihr stehen sollen. Es ist im Gegenteil, weil die Marxisten die Rechtmäßigkeit des Kampfes für die nationale Unabhängigkeit in den unterentwickelten Ländern anerkennen, dass sie diesen Kampf unterstützen, auch wenn er unter einer bürgerlichen Leitung geführt wird. Und genau, weil der Kampf für die nationale Unabhängigkeit die Politik eines Imperialismus verdeckt, der vorübergehend im Krieg um die Aufteilung des Weltmarkts besiegt wurde, sind die Marxisten heftig dagegen.

Die Besetzung Frankreichs durch Deutschland hat den ersten nicht zu einem Halbkolonie-Staat gemacht, und zwar aus dem guten Grund, dass sie das geschichtliche Werk des Kapitalismus und die inter-kapitalistischen Beziehungen nur durch Kraft nicht streichen konnte und nicht hätte streichen können. Selbst wenn es besetzt war, blieb Frankreich ein imperialistisches Land, das ein breites Kolonialreich besaß. Und sein Sieg oder genauer gesagt, der seiner Verbündeten, bedeutete nicht, dass es seine nationale Unabhängigkeit zurückerobern musste, sondern hauptsächlich, dass es seinen Einfluss über seine Kolonien wieder festigen musste, es bedeutete auch die Aufteilung Deutschlands, das jetzt als ein besetztes Land erscheint.

Es ist aber klar, dass die Revolutionäre, wenn sie den Lockvogel des Kampfes für die nationale Unabhängigkeit ablehnen, die Besatzung auch nicht rechtfertigen. Ebenso wie die Bolschewiki und später die Kommunistische Internationale, nachdem sie jede "Verteidigung des Vaterlandes" in Deutschland abgelehnt hatten, den Vertrag von Versailles, der die deutsche Niederlage abschloss, nicht gerechtfertigt haben; im Gegenteil haben sie entschlossen gegen diese neue Teilung Europas und der Welt gekämpft.

Aber der Kampf gegen den Versailler Vertrag konnte nicht in Frankreich, das der Hauptbegünstigte davon war, und in Deutschland, das dessen Opfer war, auf gleiche Weise geführt werden.

In Frankreich gegen die Zerstückelung Deutschlands, gegen die Besetzung des linken Ufers des Rheins oder des Ruhrgebiets, gegen die harten Bedingungen, die den Besiegten auferlegt wurden, zu kämpfen, hatte eine tiefe anti-imperialistische Bedeutung. Es war unmöglich, dass dieser Kampf das Proletariat nicht gegen sein Bürgertum entgegensetzt, welches durch die im Vertrag verankerten Plünderungen bereichert wurde.

In Deutschland konnte die Kommunistische Partei hingegen diese Frage nur unendlich vorsichtig ansprechen, so sehr die Forderung "Nieder mit dem Frieden von Versailles" die nationale Einheit hinter dem deutschen Imperialismus wieder festigen konnte, der seine Armee in Europa einmarschieren lassen wird, genau um diesen Vertrag zu streichen.

Hier ist gerade der Schlüssel der Frage. Ein großer Teil des politischen Personals der französischen Bourgeoisie war nach der Niederlage für die Alliierten. Sie haben das nationale Gefühl der Volksmassen kanalisiert und haben es gleichzeitig bis zum Chauvinismus gestärkt, um die Massen um dieses Gefühl zu mobilisieren; und dabei wurden sie von den Stalinisten großartig unterstützt.

Die "Résistance" war der konkrete Ausdruck der politischen und organisatorischen Herrschaft der Bourgeoisie über die Volksmassen, die im Gefolge von "ihrem" Imperialismus wieder einmal mitgerissen wurden. Wenn das Gefühl der nationalen Unterdrückung ein Mobilisierungsfaktor für die Massen war, wenn die Staatsmacht unverhohlen zu Tage trat, weil er von einer ausländischen Armee ausgeübt wurde, wenn also in diesem Sinn der revolutionäre Kampf vereinfacht sein konnte, hat sich dieses Nationalgefühl schließlich als eine mächtige Kette enthüllt, mit der die Stalinisten das Schicksal der Massen an jenes ihres Imperialismus gefesselt haben.

Gerade deswegen, gerade um ihrerseits keine zusätzlichen Kettenringe hinzuzufügen, muss die revolutionäre Organisation dafür sorgen, dass ihr Kampf gegen den deutschen Militärapparat, im Geist der Massen, keine Verwirrung stiften kann, von der die Bourgeoisie profitieren könnte.

Auch während des Krieges musste das Proletariat seinen Krieg führen, der nichts Gemeinsames mit jenem seines Imperialismus hatte. Aber eine unabhängige Politik erforderte eine unabhängige Organisation, eine Klassenorganisation. Das revolutionäre Proletariat musste jede gemeinsame Organisation mit dem Bürgertum oder mit seinen politischen Vertretern ablehnen. Deshalb durften die Revolutionäre keinen Platz in der Bewegung der Résistance einnehmen, im Gegenteil mussten sie für die Bildung unabhängiger proletarischer Kampforganisationen kämpfen.

Die große Mehrheit der trotzkistischen Bewegung in Frankreich erklärte, dass sie an der nationalen Bewegung teilnahm, weil sie dachte, dass die Klassenbewegung daraus hervorgehen würde. Die revolutionäre Bewegung konnte nämlich aus dem imperialistischen Gerangel entstehen, aber nur unter der Voraussetzung, dass das Proletariat weiß, seine unabhängige Politik, seine unabhängige Organisation zu bewahren. Dies war damals unmöglich, ohne ständig gegen den Geist der Résistance zu kämpfen, der für das Proletariat genau den Verzicht auf seine sowohl politische als auch organisatorische Unabhängigkeit bedeutete. Anstatt der Nährboden für einen revolutionären Prozess zu sein, war die Résistance das Haupthindernis.

Indem sie gegen den deutschen Militärapparat kämpfte, musste die revolutionäre Organisation eine intensive Arbeit unter den Soldaten der Besatzungsarmee machen, die Verbrüderung begünstigen usw. Sie musste jeden Aufruf "zum Kampf gegen den Angreifer" im Namen der "nationalen Unabhängigkeit" ablehnen. Die revolutionäre Organisation kämpfte gegen den deutschen Militärapparat nicht im Namen von der "nationalen Unabhängigkeit" sondern für die Interessen des gesamten internationalen Proletariats, das die Verteidigung der UdSSR erforderte. Dass im Namen und im Interesse des gesamten Proletariats gehandelt wurde, hatte Folgen, einschließlich in der Form der Militärischen Aktion (dass man Attentate gegen isolierte Soldaten oder Sabotage von Zügen von beurlaubten Soldaten ablehnt, usw.) Indem man gegen den deutschen Militärapparat kämpfte, musste man daran denken, den deutschen Soldaten zu gewinnen und nicht ihn zu töten.

Diese militärische Aktion müsste auf jeden Fall weder die einzige Aktivität der revolutionären Organisation noch die wichtigste sein. Zugunsten der Waffen hatte die deutsche Armee für eine Zeit für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Frankreich zu bürgen und deshalb musste unter anderem die revolutionäre Organisation gegen sie kämpfen. Aber die kapitalistischen Verhältnisse in sich waren eindeutig französische. Wenn der Besatzer für die Beschlagnahmen, für den Pflichtarbeitsdienst verantwortlich war, war der französische Kapitalismus für die niedrigen Löhne, die Arbeitslosigkeit verantwortlich.

Der Militärkampf gegen den deutschen Kriegsapparat hatte einen Wert nur, wenn sie von einem aktiven, täglichen Kampf gegen die französische Bourgeoisie begleitet war, auch gegen deren Teil, der für die Alliierten war. Keine Besatzung, egal wie dauerhaft, ändert diese Konstante der bolschewistischen Politik: Der Hauptfeind steht in unserem Land. Die Grundaufgabe der revolutionären Organisation besteht darin, das Proletariat gegen ihren eigenen Imperialismus zu mobilisieren.

Deshalb kann man keinen Militärkampf gegen einen ausländischen Besatzer führen, ohne gleichzeitig für die politische und organisatorische Unabhängigkeit des Proletariats zu kämpfen. Außerhalb dieses Wegs gibt es keinen Internationalismus. Alle trotzkistischen Organisationen waren während des Krieges für die "Verbrüderung" und einige haben aktiv und wirksam dafür gekämpft. Aber eine solche Politik verliert jede revolutionäre internationalistische Bedeutung, wenn man sich gleichzeitig in die "Résistance" integriert (und umso mehr, wenn man sich stolz erklärt, zu den ersten Widerstandskämpfern zu gehören), denn sich in die Résistance zu integrieren bedeutet, sich unterzuordnen und dabei zu helfen, die Arbeitenden der Bourgeoisie, die chauvinistisch ist, unterzuordnen.

Wir denken, dass das Proletariat, selbst in Kriegszeiten, trotz der vielen Veränderungen, die es in seinen nationalen Teilen je nach den militärischen Fluktuationen erfährt, ein Ganzes ist. Die Zukunft der menschlichen Gesellschaft hängt von seiner Kraft und von seinem Bewusstsein ab. Die revolutionäre Organisation muss dieses proletarische Bewusstsein gegen die ideologischen Einflüsse der feindlichen Klasse, also hauptsächlich gegen den Chauvinismus, verteidigen.

Das Nationalgefühl und die revolutionäre Bewegung in den Ländern des sowjetischen Blocks

aaus Lutte de Classe von März 1968)

Sowohl die besiegte Revolution in Ungarn als auch die abgebrochene Revolution in Polen haben jede auf ihre eigene Weise gezeigt, welche Rolle das nationale Gefühl bei der Auslösung des revolutionären Prozesses, der Mitteleuropa 1956 erschüttert hat, spielte.

Im Laufe des Kampfes für die nationale Unabhängigkeit und für die demokratischen Freiheiten hat das Proletariat, das die Triebkraft davon war, seine eigenen Machtorgane, die Arbeiterräte in Ungarn gebildet. Aber auch, indem er sich als Verfechter der Unabhängigkeit ausgab, gelang es Gomulka, die nationale Einheit in seinem eigenen Namen zu kanalisieren, um seine Macht zu stärken, die sich schnell gegen das polnische Proletariat wandte.

Das nationale Problem wäre im Jahre 1956 in Polen wie in Ungarn einer der Ecksteine der Politik einer revolutionären Organisation gewesen. Es zu übersehen, hätte dazu geführt, sich für immer von den mobilisierten Massen abzuschneiden. Ihre negativen Aspekte nicht zu verstehen, hätte sie dazu geführt, das Trugbild der nationalen Einheit zu verfechten und sich letztendlich hinter Gomulka oder Nagy einzureihen.

Der Nährboden des mächtigen Nationalgefühls, das die Mobilisierung des polnischen und ungarischen Proletariats prägte, war hauptsächlich die Abhängigkeit der mitteleuropäischen Staaten von der sowjetischen Bürokratie, aber auch eine lange historische Tradition.

Weil es ein Volksmosaik an der Kreuzung der Einflüsse der Großmächte war, ist Mitteleuropa eine der Regionen der Welt, die die unterschiedlichsten Formen der nationalen Unterdrückung und ihre Begleiterscheinungen erlebt hat: die häufigsten, wildesten Unabhängigkeitskämpfe, und auch die brutalsten chauvinistischen Zusammenstöße.

Die Geschichte dieser Völker ist nur eine lange Reihe von Kämpfen für die nationale Unabhängigkeit, die sie nie wirklich völlig erobern konnten. Nach langen Jahrhunderten aufeinanderfolgender oder gleichzeitiger österreichischen, türkischen, deutschen oder russischen Herrschaft, die durch kurze Zeiten von nationalen Ausbrüchen unter der Leitung eines Kosciusko, eines Kossuth oder eines Balcesco unterbrochen wurden, schienen die mitteleuropäischen Völker in der modernen Zeit, und für einige von ihnen infolge des ersten Weltkrieges zur Unabhängigkeit aufzutauchen.

Aber diese moderne Zeit war jene des Imperialismus, der die nationalen Fragen in Mitteleuropa auf seine Art und gemäß den Kraftverhältnissen zwischen Imperialisten "gelöst" hat. Die Verträge von Versailles, von Trianon und von Saint-Germain haben sicherlich den Übergang zur Unabhängigkeit Polens, der Tschechoslowakei, die Einigung Rumäniens oder der Südslawen, das Loswerden Ungarns von der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bestätigt. Aber, wenn sie den führenden Klassen der neu entstandenen oder umgestalteten Staaten freie Hand gelassen haben, um "ihre" nationale Minderheiten besonders brutal zu unterdrücken, haben sie gleichzeitig die Abhängigkeit dieser selben Staaten von den imperialistischen Einflussbereichen bestätigt. Der blutige Chauvinismus der leitenden Schichten in den mitteleuropäischen Ländern den Minderheiten und ihren Nachbarn gegenüber ging zusammen mit ihrer totalen Unterwerfung, die für die einen dem deutschen, oder für die anderen dem englischen oder dem französischen Imperialismus galt.

Indem es die formelle Unabhängigkeit gewährt hat, hat das imperialistische System die nationale Frage nicht gelöst, es ersetzte nur eine von der feudalen Zeit geerbte Art von Abhängigkeit durch feste Verbindungen wirtschaftlicher Unterwerfung und politischen Vasallentums.

Deutschlands Drang nach Osten, der durch den Vertrag von München und den Wiener Schiedsspruch gekennzeichnet wurde, erlegte den Grenzen, die sich mehr denn je bewegen, neue Kurven und neue Zickzacklinien auf.

Wenn die neuen Grenzen manchmal die Rollen in den Beziehungen zwischen den mitteleuropäischen Nationen getauscht haben, und eine unterdrückte Minderheit des Vortages in die unterdrückende Mehrheit des Tages verwandelt haben, verankerten sie besonders eine Änderung im inter-imperialistischen Kräfteverhältnis zugunsten Deutschlands, das zum Meister in dieser Region Europas wurde.

Das Abkommen von Jalta berücksichtigte ebenso wenig das Recht dieser Völker auf Selbstbestimmung, wie jene von Versailles oder von München. Nach der deutschen Niederlage haben sich die Grenzpfähle wieder in Bewegung gesetzt. Das Problem der nationalen Minderheiten wurde in seiner Form aber nicht in seinem Bestehen wiederum geändert. Dieses Problem der Minderheiten, wenn auch nicht unbedeutend, verblasste vor einer neuen Unterdrückung, die alle mitteleuropäischen Nationen ohne Unterscheidung betraf.

In der Tat, indem sie als Weltpolizei eines neuen imperialistischen Gleichgewichts handelte, hat die russische Armee nicht nur jede revolutionäre Aufbruchsmöglichkeit in diesen Regionen zerstört. Sie hat auch gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die ganze leninistische Politik in diesem Bereich, sowie jede Hoffnung auf eine wirkliche nationale Unabhängigkeit dieser Länder mit Füßen getreten.

Die nationalen Schicksale der Völker in Mitteleuropa - die nur Figuren auf dem Schachbrett der Nachkriegszeit waren - werden Teil der sich ständig verändernden Beziehungen zwischen dem Imperialismus und der russischen Bürokratie sein.

Solange die durch Jalta bestätigte Heilige Allianz zwischen den Imperialisten und der Bürokratie dauerte, bestand das Hauptziel der Besatzungsarmeen darin, die nationalen Staatapparate zu sichern, die die Hauptbürgen (mit den Besatzungstruppen selbst) der Aufrechterhaltung "der Ordnung", der bürgerlichen Ordnung waren. Diese nationalen Staatsapparate, die mit der Unterstützung der nationalen, manchmal reaktionärsten Kräfte entstanden wurden, erschienen damals als die geeignetsten Unterdrückungsmittel, um das mitteleuropäische Proletariat daran zu hindern, den Weg von 1919-1920 wieder zunehmen. In jedem Fall gehörte es weder den Wünschen noch den Möglichkeiten der Bürokratie, die Grenzen, die der Imperialismus ihrem Handeln gesetzt hatte, zu überschreiten, indem sie - wie die baltischen Länder - die mitteleuropäischen Länder ganz oder teilweise annektiert hätte.

Aber diese Staaten waren in der Tat kaum gestärkt worden, dass der Antagonismus zwischen der Bürokratie und dem Imperialismus, mit der zurückgehenden Gefahr einer revolutionären Krise, von neuem die Oberhand gewann. Auf die Gefahr hin, dass sich um die UdSSR herum ein Gürtel feindseliger Staaten bildete, bestanden die Kremlmeister darauf, das zu kontrollieren, was sie für ihr Glacis hielten. Sie schafften es momentan infolge eines langen und harten Kampfes, dank der Anwesenheit ihrer Armee und ihrer politischen Polizei, dank auch der Schwäche der nationalen Bourgeoisien, die die natürlichen Verbündeten des Imperialismus waren. Sie schafften das, indem sie alle Rädchen der nationalen Staatsapparate unterwanderten, indem sie durch Polizeiterror alle mehr oder weniger offen pro-westliche Kräfte systematisch beseitigten. Im harten Kampf für die Kontrolle des Ostglacis hat die Bürokratie schließlich aber momentan, gewonnen. Aber die Bedeutung des Wortes "Kontrolle" ist klar. Die polnischen, tschechischen, ungarischen usw. Nationalstaaten waren keine lokalen Anhängsel des Staates der russischen Bürokratie, sondern Einheiten, die von Natur aus autonom waren, die sogar durch ihre eigene Existenz getrennt und dem Staat der Bürokratie entgegensetzt waren und mächtigen Zentrifugalkräften unterworfen waren. Nur durch einen ständigen und erbitterten Kampf gegen diese Zentrifugalkräfte selbst auf den höchsten Ebenen des Staatsapparats, gelang es der Bürokratie einige Zeit Regimes aufrechtzuerhalten, die ihr völlig ergeben waren. Es reichte ihr nicht aus, die pro-westlichen Parteien zu beseitigen und das stalinistische Einheitsparteiensystem einzuführen, denn es ist eben innerhalb der kommunistischen Parteien, dass die Zentrifugalkräfte zum Ausdruck kamen.

Um diese Staaten zu kontrollieren, war es notwendig, dass sichere Kerne in ihnen bestehen, die Moskau treu und nur von ihm abhängig waren; auch ein blutiger Terror war notwendig, nicht nur gegen die Bevölkerung, sondern auch gegen die höchsten Würdenträger des Staatsapparates selbst. Indem sie wegen Nationalismus, Trotzkismus und Faschismus angeklagt wurden, wurde der beeindruckendste Teil der höchsten stalinistischen Führungskräfte in die Keller der politischen Polizei gesteckt.

Hier liegt eine der tiefsten Wurzeln des Nationalgefühls. Es wurde zwar durch die Anwesenheit einer Besatzungsarmee, durch die sklavische Nachahmung der russischen Gewohnheiten und Bräuche, bis in die kleinsten Bereiche des kulturellen und sogar täglichen Lebens, genährt. Aber, auch wenn solche "Einzelheiten" nicht unbedeutend sind, weil sie sofort von den Massen wahrgenommen werden, gab es viel mehr.

Es stimmt, dass die meisten mitteleuropäischen Länder Demokratie nie gekannt haben, auch nicht in ihrer bürgerlichen Form. Der bonapartistische Charakter der Volksdemokratien fand schließlich seine wichtigste Daseinsberechtigung in der Unterentwicklung dieser Länder und nicht in der Macht der russischen Bürokratie. (Albanien, das seine Verbindungen zum Kreml aufgelöst hat, und Rumänien, das gerade dabei ist, es zu machen, sind heute nicht "demokratischer" als zuvor). Aber die sowjetische Herrschaft hat der Unterdrückung eine nationale Färbung gegeben. Für die Massen waren die Rakosi oder die Rokossovsky nicht nur für eine blutige Diktatur verantwortlich, sondern noch Männer, die im Dienst eines ausländischen Staates die Macht ausübten. Umgekehrt erschien die Besatzungsarmee während einer Zeit als die wichtigste, wenn nicht die einzige Unterstützung eines gehassten Regimes; und sie war es tatsächlich. Solange die Kontrolle der sowjetischen Bürokratie über die nationalen Staatsapparate dauerte, bedeutete der Kampf für den geringsten Anspruch gegen das Regime zu kämpfen und gegen das Regime kämpfen bedeutete, gegen die Besatzungsarmee kämpfen. Aus dieser Perspektive drückte das Nationalgefühl nur in elementarer Form eine ebenso elementare politische Schlussfolgerung aus: Der Abzug der russischen Truppen, die nationale Unabhängigkeit sind die ersten Voraussetzungen, um die akutesten Probleme zu lösen und um sie sogar zu stellen.

So kam es in Ungarn vor, dass die Arbeitenden, die für die einen nur die Senkung der Arbeitsnormen und für die anderen schon die Kontrolle der Fabriken forderten, die Bauern, die das Ende der Zwangskollektivierung forderten, die Intellektuellen, die die Redefreiheit forderten, dass alle sich im gemeinsamen Hassgefühl gegen ein gehasstes Regime zusammenfanden mit seiner logischen Folge: die Forderung des sofortigen Abzugs der sowjetischen Truppen. Dieses gemeinsame Gefühl, unterdrückt zu sein und für dieselben Ziele, die Freiheit und die nationale Unabhängigkeit, zu kämpfen, schmiedete diese nationale Einstimmigkeit, die die erste Phase der ungarischen Revolution kennzeichnete. Ohne dieses Gefühl wäre der Erfolg der ersten Phase der Revolution, der Zusammenbruch des Regimes trotz einer ersten russischen Intervention, nicht so schnell und so leicht gewesen. Die Revolution war wirklich populär, sie hat die Massen aller Unterdrückten und Unzufriedenen in Bewegung gesetzt, einschließlich eines Teils der Anhänger des nationalen Staatsapparates.

Aber, wenn die Notwendigkeit, vor allem die Interventionstruppen und deren einheimische Söldner zu bekämpfen, eine gewisse nationale Einstimmigkeit geschaffen hat, verdeckte diese Einstimmigkeit nur die sozialen Gegensätze und schaffte sie nicht ab. Die Revolution schien zuerst, die Kämpfenden in zwei Lager zu teilen, einerseits die russischen und ungarischen Truppen der Bürokratie und andererseits die große Mehrheit des für die Freiheit kämpfenden ungarischen Volkes. Aus vollkommen verständlichen Gründen hat die westliche Presse in Form von diesem Klischee die Dinge vorgestellt. Aber in dieser Hinsicht hatten die revolutionären ungarischen Intellektuellen selbst keine klare Vorstellung der Ereignisse. Die Unterschiede, die sie im revolutionären Lager erkannten, waren quantitativ und nicht qualitativ. Mit anderen Worten wäre der Unterschied zwischen Nagy und seiner Umgebung, und den sich bildenden Arbeiterräten, die ihn unterstützten, ein einfacher Unterschied im Radikalismus gewesen. Aber die Schüchternheit der Politik von Nagy, sein Zögern, seine zweideutige Haltung gegenüber den Arbeiterräten kamen nicht nur von dem Charakter des Menschen. Die Arbeiterräte und die Regierung von Nagy vertraten zwei unterschiedliche soziale Kräfte. Die ersten vertraten eine Arbeiterklasse, die, indem sie das radikalste, entschlossenste Element im Kampf für die nationale Unabhängigkeit und für die Freiheit war, begann, ihre eigenen Forderungen zu stellen und vor allem ihre eigenen Machtorgane aufzubauen. Für sie war die Revolution tatsächlich erst am Anfang. Die zweite vertrat die Anhänger des nationalen Staatsapparats, die wie Gomulka den Volksaufstand kanalisieren wollten, um sich nur von der Bevormundung von Moskau zu befreien, und für welche das, was gemacht wurde, bereits zu viel war.

Innerhalb des sogenannten einheitlichen Lagers "des ungarischen Volkes" gab es bereits eine de facto doppelte Macht in Vorbereitung. Nur de facto, denn mangels einer proletarischen revolutionären Organisation, die eine klare Vorstellung der Etappen der Revolution und der Aufgaben des Proletariats hat, stellten sich die Arbeiterräte freiwillig oder unfreiwillig hinter Nagy, dem Symbol einer nationalen Einheit, die damals als der einzige Garant der Revolution zu sein schien.

Das gemeinsame Gefühl der nationalen Unterdrückung, das am Anfang eine Hauptfeder der Revolution ist, wird zu einem großen Hindernis, da es den Antagonismus zwischen den sozialen Kräften überdeckt, die im Kampf gegen die russische Intervention vereint sind.

Als die blutige Intervention der Bürokratie jede Möglichkeit einer revolutionären Weiterentwicklung beendete, kam die Revolution zum Stillstand. Das Proletariat, das durch einen sicheren Klasseninstinkt geführt ist, hat das höchste Bewusstseinsniveau erreicht, das er spontan erreichen konnte. Obwohl es die Triebkraft des Kampfes aller unterdrückten Schichten, gegen die russische Bürokratie und ihre ungarischen Handlanger war, hat es sich von diesen anderen Schichten unterschieden, indem es seine spezifischen Organe aufgebaut hat. Aber, damit es daran dachte, seine Räte als das einzige Machtorgan durchzusetzen, hätte es eine revolutionäre Klassenorganisation gebraucht. In der Tat, wenn das Proletariat das beste von sich selbst gegeben hat, haben die revolutionären Intellektuellen versagt, die der Arbeiterbewegung hätten bringen können, was ihr fehlte, das heißt die bolschewistische Wissenschaft der Revolution. Während sie die Bedeutung der Räte betonten, bemühten sich die fortgeschrittensten von ihnen, sie an Nagy, also an die von ihm vertretenen Kräfte, zu binden.

Eine proletarische revolutionäre Organisation hätte das Nationalgefühl nicht ignorieren können und sie hätte den Kampf für den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen ganz oben auf ihre Tagesordnung setzen sollen. Ein solcher Kampf war im Grunde revolutionär. Aber sie hätte gleichzeitig für die politische und organisatorische Differenzierung des Proletariats und gegen den Mythos "der nationalen Einheit" gekämpft. Sie hätte unermüdlich dem Proletariat, aber auch den anderen unterdrückten Schichten erklärt, dass die nationale Unabhängigkeit selbst nur unter der Führung des Proletariats eine Chance hatte, gerettet zu werden.

Sicherlich mag die Begeisterung eines ersten vorläufigen Sieges für einige Zeit den Realitätssinn der Massen überrascht haben, aber die zweite russische Intervention hat die Befürchtung der bewusstesten Elemente bestätigt: Ungarn allein war der sowjetischen Kraft nicht gewachsen. Isoliert war sie hoffnungslos. Es brauchte Verbündete. Aber die Welt ist in Klassen geteilt. Nur das Proletariat hatte über die Grenzen hinaus selbstlose potenzielle Verbündete: das kämpfende Proletariat von Polen, das Proletariat der benachbarten Volksdemokratien, das westliche Proletariat und vielleicht in erster Linie das russische Proletariat. Den Kampf auf einer nationalen Basis, im nationalen Rahmen zu führen, bedeutete sich zur Isolierung zu verurteilen, also zur Niederlage. Die Ausflüchte, das Zögern von Nagy, waren wie die Sackgasse, in die ein auf den nationalen Rahmen begrenzter Kampf führte. Die Anhänger des nationalen Staatsapparats hatten die Wahl nur zwischen drei Möglichkeiten, in der Tat zwischen zwei.

Die ehrlichsten unter ihnen, wie Nagy selbst, versuchten, der zwingenden Wirklichkeit einer Welt, die zwischen dem Imperialismus und der Bürokratie geteilt war, zu entkommen, indem sie die utopische und irreführende Lösung "der Neutralität" vorantrieben. Aber die Verkündung dieser Neutralität hat die Intervention der sowjetischen Truppen nicht verhindert. Sie wiegte höchstens einige naive Menschen in einer vergeblichen Hoffnung. Die anderen schauten nach Westen und hofften auf die Unterstützung des Imperialismus gegen die Bürokratie. Außer der Tatsache, dass der Imperialismus wirklich zufrieden war, dass die Bürokratie das Schicksal des ungarischen Proletariats selbst regelte, hätte das bedeutet, sich vor Cholera zu schützen, indem man sich mit der Pest infiziert. Der Imperialismus zeigt im Moment in Vietnam, wie er die nationale Unabhängigkeit versteht.

Schließlich haben andere, beginnend mit Kadar, die dritte Möglichkeit gewählt, die sich für die Anhänger des nationalen Staatsapparats öffnete, indem sie sich in die Arme der russischen Bürokratie selbst stürzten. In der damaligen Situation, aus der Sicht des nationalen Staatsapparates, war es aber die Lösung von Kadar, die die "sozialistischste" war. Das ungarische Proletariat hat jedoch mit Tausenden von Opfern und neuen Ketten diesem Sozialismus seinen Tribut gezahlt.

Abgesehen von der Lösung der Neutralität, die keine ist, kommen die beiden anderen langfristig zusammen. Trotz ihrer verschiedenen Vorgeschichte zeigen die Regimes von Gomulka, von Kadar oder von Ceausescu in ihren Beziehungen zu der UdSSR erstaunliche Analogien. Am Ende brechen die nationalen Staaten ihre Nabelschnur mit der sowjetischen Bürokratie und nehmen ihren eigenen Weg wieder auf, der in ihrer bürgerlichen Natur eingeschrieben ist. Sogar in Ungarn hat die Bürokratie die absolute Kontrolle des Ostglacis nicht mehr.

Die nationalen Probleme werden eine scheinbare Lösung gefunden haben. Aber diese "Lösung" bedeutet keine echte Unabhängigkeit für die mitteleuropäischen Völker, denn in einer vom Imperialismus beherrschten Welt gibt es keine wirkliche nationale Unabhängigkeit und auch kein Selbstbestimmungsrecht der Völker. Tito zeigt Gomulka den Weg, wie dieser Nagy den Weg zeigt. Der Bruch des ungarischen nationalen Staatsapparats mit der Bürokratie führt, früher oder später, zur Heimkehr zum imperialistischen Markt, was für unterentwickelte Länder wie die von Mitteleuropa neue Unterwerfungsverhältnisse bedeutet. Deshalb, wenn die Revolutionäre wissen, dass der Abzug der sowjetischen Truppen aus den mitteleuropäischen Ländern eine notwendige aber keineswegs ausreichende Bedingung für jede revolutionäre Entwicklung in dieser Region ist, wenn sie den Kampf der Massen gegen die russischen oder einheimischen Handlanger der Bürokratie unterstützen, um die Besatzungstruppen zu jagen, führen sie gleichzeitig einen heftigen Kampf gegen die Ceausescu oder die Gomulka, deren nationalistische Politik neue Ketten für ihr Volk vorbereitet.