Russland unter Putin (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2006)

Drucken
Die internationalen Verhältnisse im Jahr 2006 - Russland unter Putin
Dezember 2006

Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2006 verabschiedet

Die internationalen Verhältnisse im Jahr 2006 (Zweiter Teil) - Russland unter Putin

In der jüngsten Entwicklung Russlands erscheinen mehrere bedeutende Tatsachen, die sehr vielsichtig sind und jedoch sich gegenseitig beeinflussen.

Was die Wirtschaft betrifft, so konnte der russische Staat aufgrund des massiven Anstiegs der Gas- und Ölpreise, und allgemeiner der Preise der Rohstoffe, die Russland aufgrund des Reichtums seines Bodens besitzt, seine Einkünfte steigern, seine Verschuldung verringern und in gewissem Maße die internationale Position Russlands stärken.

Auf politischer Ebene hat das zweite Mandat von Putin, der 2004 wieder gewählt wurde, die Machtposition seines Clans gefestigt und Putin hat seinen Autoritarismus verstärkt. Das Bild, dass die politische Führung der Bürokratie abgibt, unterscheidet sich stark von dem Bild am Ende der Amtszeit von Jeltsin, der in Alkoholismus dahindämmerte, bei internationalen Treffen stotterte und weltweit betteln ging, um sein Budget zusammen zu bekommen, während sich der Staat wortwörtlich auflöste.

Obskurer mittlerer Kader des KGB, von Jeltsin 1999 plötzlich zum Premierminister dann als Thronfolger ernannt, schuldet Putin den Beginn seiner politischen Karriere vielleicht gerade seiner Unscheinbarkeit. Nachdem er dem Clan von Jeltsin Sicherheiten geboten hatte, indem er sie durch neue Gesetze von aller Verantwortung bei der Plünderung des Landes freisprach, schien Putin vielleicht keine Gefahr für die anderen Clans. Aber er hatte immerhin auf seiner Seite die Verbindungen mit dem FSB (Ex-KGB), eins der Elemente des Staatsapparates, die die generelle Auflösung unter Jeltsin überlebt hatte.

Jetzt ist Putin in der Mitte seines zweiten Mandats angekommen und hat es geschafft, seine Macht, die damit auch die seines Clans ist, zu festigen. Er hat es geschafft, sich sogar der Zerstückelung und Auflösung der geplanten Industrie in der Ära Jeltsin zu bedienen und dabei Mega-Unternehmen zu gründen, die letztendlich mehr oder weniger staatlich geblieben sind bzw. es wieder geworden sind, und die damit Instrumente der politischen Macht sind.

Dies ist nichts Neues in der Geschichte der Bürokratie: Die Apparate der Wirtschaftsministerien waren schon immer Stützpunkte in den Rivalitäten um die nationale Macht zwischen den Clans. Einige der großen Unternehmen sind dabei die direkten Erben dieser Ministerien. Die mächtigste unter ihnen, Gazprom, ist die direkte Nachfolgerin des Gasministeriums. Ihre "Privatisierung" hat einer gewissen Anzahl Bürokraten die Möglichkeit gegeben, kolossale Einkünfte zu erhalten und nebenbei Gazprom die Möglichkeit verschafft, an der internationalen Konkurrenz teilzunehmen, weil es jetzt ein Unternehmen des privaten Rechts ist. Aber dennoch ist Gazprom deshalb nicht weniger unter der Kontrolle des Kremls, und nicht nur deswegen, weil der Staat dort die Mehrheit der Aktien hält.

Während der Ära Jeltsin haben verschiedene Cliquen individueller Bürokraten sich die verschiedenen Staatsbetriebe unter den Nagel gerissen, in erster Linie, um das Maximum an Geld daraus zu ziehen, Geld, dass sie dann in die Banken im Westen schafften. Unter Putin scheint sich die Macht der Bürokratie zu festigen, und zwar als kollektive Einheit, indem die Spitzen des Staatsapparates direkt mit der Kontrolle der großen Betriebe, die vom Staat abhängig sind, verbunden werden.

Die Gruppe der im Staatsapparat derzeit einflussreichsten Persönlichkeiten, die um Putin herum sind, ist hierfür bezeichnend. Denn sie beherrschen gleichzeitig den Staatsapparat, besetzen Ministerposten oder hohe Beamtenstellen und beherrschen gleichzeitig die wichtigsten mehr oder weniger staatlichen Betriebe.

Dimitri Medvedev - der für einen der Nachfolger von Putin gilt -, derzeitiger erster Vizepremierminister, ist gleichzeitig der Generaldirektor von Gazprom, wirtschaftliches Instrument der Macht. Ivanov, der andere mögliche Nachfolger, ist Verteidigungsminister und hat gleichzeitig das Sagen über den militärisch-industriellen Komplex. Setschin, stellverstretender Generalsekretär der Präsidentschaft, ist gleichzeitig der Präsident von Rosneft, die zweigrößte russische Ölgesellschaft. Zhukov, Vizepremierminister, ist ebenfalls der Präsident der russischen Eisenbahn. Khristenko, Industrie- und Energieminister, ist der Präsident von Transneft, ein Unternehmen, dass das Monopol der Pipelines hat und 93% des russischen Erdöls transportiert. Kudrin, Finanzminister, ist der Präsident von Alrosa, die das Monopol der Diamantenproduktion hat und ein Viertel des Weltmarktes dieses teuren Steins kontrolliert.

Man könnte die Liste noch weiterführen und hinzufügen, dass die Mehrheit von ihnen aus dem KGB stammt und schon seit der Zeit mit Putin verbunden wird. Die Financial Times schreibt hierzu: "Die Verwalter der (großen) Unternehmen sind alle Teil eines Netzwerkes, das Putin nahe steht. Ohne Lärm zu machen, haben sie die öffentlichen Betriebe in ihre Hände genommen und besetzen häufig gleichzeitig die Ministerien oder andere verantwortliche Posten im Kreml. Zusammen bilden sie den geheimen Aufsichtsrat des ,Betriebs Russland', der alle rentablen Aktivitäten des Landes nicht nur beim Öl, beim Gas, sondern auch in der Kernenergie, den Diamanten, den Metallen, der Waffenindustrie, der Flugzeugindustrie und dem Transport angehören."

Die französische Zeitung Les Échos beschreibt in einem Artikel mit dem Titel "Die Kremlinisierung der russischen Wirtschaft", dass "ein bürokratischer Kapitalismus in einer schwindelerregenden Undurchsichtigkeit entsteht. Durch Enteignungen, steuerliche Einschüchterungen, sogar physische Einschüchterungen, Fusionen, Kapitalerhöhungen usw. sind die wichtigsten Betriebe des Landes, d.h. in den Bereichen wie Energie, Bergwerke, Metalle und Waffen dabei sich zu ,konsolidieren'. Und dies unter der Führung einer sehr besonderen Klasse von Unternehmern, den "Komiss-Oligarchen des Staates", die aus dem KGB kommen."

Während der ganzen Zeit 2005-2006 hat der Kreml damit weitergemacht, die rentabelsten Sektoren der russischen Wirtschaft unter seine Kontrolle zu bringen. Manchmal durch einen Akt der Autorität - wie bei Yukos, dessen Ex-Präsident Khodorkovski, damals der reichste Mann Russlands, noch immer in Sibirien im Gefängnis sitzt. Manchmal auch durch Aufkauf. Gleichzeitig ist ein Gesetz in der Vorbereitung, das ausländischen Firmen den Zugang zu strategischen Sektoren begrenzt. Mehrere dieser ausländischen Firmen, darunter Total, haben in letzter Zeit ihre Rechtstitel auf Erschließung und Ausbeutung (z.. von Erdölgebieten) entzogen bekommen, die ihnen in der vorangegangen Periode gegeben worden waren, oder ihre Verträge werden neu verhandelt. Sie könnten dann einen Teil der Profite bekommen, aber die Verträge sollen so werden, dass die politische Führung des Landes die Kontrolle über die Goliath-Betriebe, die wichtigste Einnahmequelle und Instrument der politischen Machtausübung, behält.

So hat zum Beispiel Gazprom, wodurch der Staat (der den Konzern zu 50,1% besitzt) die Mehrheit der Gasförderung und des Gastransports Russland (das Land besitzt die größten Erdgasfelder der Welt) in der Hand hält, dem herrschenden Clan dazu gedient, alle großen Medien in die Hände zu bekommen.

Zur Zeit von Breschnew, Andropow oder Tschernjenko konnten Medien, die die Macht und ihre Politik anfechten, einfach nicht bestehen. Die große Entwicklung nach der "Demokratie" besteht darin, dass sie heute nur so lange erscheinen können - wenn sie der Macht unbequem werden - bis ein von dem Kreml kontrollierten Großunternehmen einen Vorschlag, "den nicht zu verweigern ist", macht und sie zurückkauft. Heute besitzt Gazprom neben dem Gas und der größten Bank des Landes zwei große Fernsehsender sowie mehrere Radiosender, Tageszeitungen - einschließlich die Iswestija, deren Gründung auf die Zeit von Lenin zurückgeht, und Echo Moskaus, der einzige ein bisschen kritischer (auch in vom Regime tolerierten Grenzen) Radiosender.

Die Kontrolle der Medien, und besonders der einzigen beiden Fernsehsender, die überall in Russland empfangbar sind, gibt Putin ein wichtiges Machtmittel, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen (und die Mafia-Bürokraten haben radikalere Mittel, die wenigen unliebsamen Journalisten loszuwerden).

Die Westmächte wollen in Putins Russland so gerne eine Demokratie sehen. Aber die Institutionen, die ihre Demokratie ausmachen, existieren höchstens noch als hohle Fassade. Wie sogar Le Monde (15-16 Oktober) schreibt: "Das Paradox ist, dass Vladimir Putin, der sagte, er wolle den Staat wiederherstellen, alle seine Institutionen zerstört hat: Es gibt kein Parlament mehr, kein Verfassungsgericht, die dieses Namens wert sind, die Regierung wird durch die Verwaltung des Präsidenten umgangen, die Richter hängen von den politischen Machthabern ab, sobald eine Affäre delikat wird."

Nach der bürokratischen Anarchie der Jeltsin-Jahre, die durch die allgemeine Plünderung und das Auflösen des Staatsapparates gekennzeichnet waren, hat sich Putin dafür stark gemacht, das wiederherzustellen, was er die "Machtvertikale" nennt. Es ist allerdings nicht sicher, dass er es wirklich geschafft hat. Es ist bezeichnend, dass zum Beispiel die Spitzen des Staates derzeit nur die Finanzmittel haben, um ihre Politik durchzuführen, nicht weil sie wieder in der Lage wären, die Steuern einzutreiben, sondern einfach weil die Einkünfte durch die Rohstoffe sich massiv vermehrt haben.

Und die Konsolidierung der Macht von Putin hat deswegen den teilweise blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans der Bürokratie kein Ende gesetzt. Die jüngste Ermordung der Nummer Zwei des russischen Banksystems, der dort ein wenig Ordnung reinbringen wollte, erinnert daran, wie relativ und instabil diese Ordnung von Putin ist (es scheint sogar so, dass die Zahl der Morde und Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans unter Putin höher als unter Jeltsin geworden ist).

Aber es ist nicht diese Art von Unsicherheit, die für mögliche ausländische Investoren aus dem Westen die wichtigsten Probleme stellt - auch wenn die Tatsache, dass es nicht gerade zur Stabilität eines Geschäfts beiträgt, wenn der Direktor eines Betriebs ermordet wird und man nur die Sicherheit seiner Firma und seiner hohen Angestellten garantieren kann, indem man bewaffnete Wachen engagiert, was die Ausgaben empfindlich erhöht. Trotz der Möglichkeiten, die Russland seit dem Wirtschaftsaufschwung nach dem Finanzkrach von 1998 bietet, trotz des Klimas aufblühender Geschäfte, das zumindest in den großen Städten existiert, bleiben die Investitionen aus dem Westen erstaunlich niedrig.

Und dies im Vergleich mit China, obwohl dieses Land viel weniger entwickelt ist als die ehemalige Sowjetunion, und mit den ehemaligen Ostblockstaaten, die wesentlich weniger bevölkert und weniger wirtschaftlich stark sind als die ehemalige Sowjetunion. Hinzu kommt, dass die direkten Auslandsinvestitionen in Russland weiterhin, selbst wenn man großzügig rechnet, 5-12 mal niedriger sind als das Kapitalvolumen, das aus der Plünderung des Landes durch die "neuen Reichen" rausgeschafft und im Westen in Sicherheit gebracht wird.

Obwohl schon seit 15 Jahren die aufeinander folgenden russischen Machthaber nur auf die Marktwirtschaft schwören und obwohl Russland die außergewöhnlichsten, oder besser skandalösesten Beispiele von Bereicherung aufzuweisen hat (von den 793 Dollarmilliardären auf der Welt hat Russland 36, 7 mehr als letztes Jahr), bleibt es weiterhin riskant, in Russland zu investieren.

Denn die Investoren beklagen weiterhin "den Mangel an Durchsichtigkeit in Bezug auf die Eigentumsrechte", wie das Institut Coface, welches in Frankreich die Aufgabe hat, den internationalen Handelsaustauch zu fördern, erklärt.

Die Anerkennung eines Eigentumstitels bleibt weiterhin sehr stark davon abhängig, ob der Clan, der gerade an der Macht ist, ihn anerkennt. Und was eine örtliche oder regionale Macht anerkannt hat, das kann die Zentralmacht auch wieder in Frage stellen. Genauso wie diese einmal vergebene Eigentumstitel wieder in Frage stellen kann, wenn sie etwas Besseres findet oder ihre politischen Interessen dies so wollen.

Das Regime von Putin erscheint wie eine Art Bonapartismus, der auf diesen Widersprüchen der russischen Gesellschaft reitet, einer Gesellschaft, die immer noch im Übergang ist zwischen einer Gesellschaft, die von der Bürokratie dominiert wird und einer stabilen Wirtschaft auf kapitalistischer Grundlage.

In den Augen des imperialistischen Westens erscheint Putin als der Mann, der in der Lage ist, die Stabilität des Landes wiederherzustellen, zum Nutzen der zukünftigen Perspektiven der großen kapitalistischen Gruppen. In den Augen der Mehrheit der Bevölkerung erscheint Putin als der Mann, der das Auflösen des Staates gebremst, wenn nicht gar gestoppt hat und der dem erniedrigten, verschmähten Russland unter Jeltsin wieder einen Platz unter den großen Mächten erobert hat.

In den Augen der Bürokraten, die sich unter Jeltsin bereichert haben, erscheint er als der Garant ihres schlecht erworbenen Reichtums, solange sie nicht seine Macht infrage stellen. Und in den Augen der einfachen Bevölkerung, die durch das Verscherbeln der Staatsbetriebe zum Nutzen einiger hoher Bürokraten schockiert ist, erscheint er als der Mann, der es geschafft hat, sich den Oligarchen zu widersetzen.

Die Autorität von Putin hat dieselbe aufsteigende Kurve wie die des Gaspreises. Die Zukunft wird sagen, was aus seiner Autorität wird, wenn die Rohstoffpreise sinken werden und damit auch die Staatseinnahmen.

Aber nach den Umfragen, über dessen Bedeutung man streiten kann, zu urteilen, scheint Putin bei 70% der Bevölkerung eher wohlwollend gesehen zu werden. Man kann diese Beleibtheit nicht nur mit der Kontrolle der großen Medien erklären, obwohl diese Kontrolle ihm erlaubt, fast jeden Tag in den Fernsehkanälen zu erscheinen überall in Russland. Aber diese aufdringliche Propaganda kann nur aufgrund der politischen Position von Putin wirksam sein, der sich im schwankenden Schwerpunkt der widersprüchlichen Ziele der verschiedenen Klassen der russischen Gesellschaft steht.

Das Bruttosozialprodukt von Russland, der von 1991 bis 1998 um 40 % geschrumpft ist - nach einer Senkung von 20 % des Bruttosozialprodukts der Sowjetunion zur Zeit von Gorbatschow von 1989 bis 1991, steigt wieder. Diese Steigerung kommt sowohl durch die Verteuerung der Rohstoffe als auch durch die Abwertung des Rubels in Folge des Finanzkrachs von 1998 zustande, die auch die Taschen des Teils des Kleinbürgertums geleert haben, der glaubte, sich unter Jeltsin bereichert zu haben, und die Lebensbedingungen der Arbeitenden dramatisch verschlechtert haben. Aber die Verteuerung der Importprodukte, die die Folge der Währungsabwertung war, hat die industrielle Produktion des Landes gefördert. Zumindest, was die Herstellung von Massenkonsumgütern betrifft, denn die Wirtschaftliche Infrastruktur des Landes ist immer mehr zurück: 80% der Infrastrukturen sind 30 Jahre alt oder älter.

Die Industrieproduktion hat allerdings immer noch nicht das Niveau wieder erreicht, dass es vor der Auflösung der Sowjetunion hatte.

Der kleine Wirtschaftsaufschwung und das Geschäftemacher-Klima, das er zumindest in den großen Städten anheizt, haben die sozialen Ungleichheiten noch verschärft.

Der explodierenden Bereicherung der Bürokraten-Milliardäre steht die Verarmung eines großen Teils der Arbeiterklasse gegenüber, des Teils, der außerhalb der Regionen lebt, in der der Wiederaufschwung der Produktion zumindest regelmäßig bezahlte Löhne sichert, und auch der Rentner, Behinderte und alle die, für die die in Naturalien gegebenen Vorteile von früher sehr wichtig waren. Der fieberhaften Aktivität der großen Städte (die schon sehr unterschiedlich ist, je nachdem, ob man im Finanzsektor, in der Industrie oder im öffentlichen Dienst arbeitet), steht die Misere in den Regionen gegenüber, die dabei außen vor geblieben sind.

Das derzeitige Geschäftsklima nutzt der kleinen und mittleren Bourgeoisie, die in den Zwischenräumen der Staatswirtschaft gewachsen ist schon lange vor dem Niedergang der Sowjetunion und der Planwirtschaft. In den letzten 15 Jahren ist diese Bourgeoisie zahlenmäßig stärker geworden. Sie ist vor allem sichtbar in den beiden Hauptstädten, Moskau und Sankt Petersburg. Aber die Gesamtheit dieses immensen Landes ist weit davon entfernt, derselben Entwicklung zu folgen. Und vor allem ist der Weg des Erfolgs und des Reichtums dieser Klasse von Händlern, Unternehmern und Immobilienspekulanten, von denen einige reich genug sind, Urlaub an der französischen Riviera oder in den Alpen zu machen, in weiten Teilen weiterhin abhängig von ihren Beziehungen mit der politischen Macht.

Die russische Bourgeoisie ist zahlreich genug, um ein interessanter Absatzmarkt zu sein für schicke westliche Autos und Luxusprodukte, die dort noch teurer sind als hier.

Aber trotz der Entwicklung einer bürgerlichen Klasse bleibt die soziale Gruppe, die die Gesellschaft beherrscht, weiterhin die Bürokratie. Wir haben daher keinen Grund, unsere Charakterisierung der russischen Gesellschaft zu ändern, denn genug Besonderheiten bleiben an seine Vergangenheit geknüpft, an das Entstehen eines Arbeiterstaates, seine Bürokratisierung und seine Auflösung unter den internen Rivalitäten der Bürokratie.

Die Konsolidierung der Position des Putin-Clans an der Spitze des Staates erneuert auch die Versuche des Kremls, die Verbindungen zwischen den Staaten der ehemaligen Sowjetunion um Russland herum wieder enger zu ziehen. In vielen dieser Staaten ist die russische Armee immer präsent geblieben, auch wenn in einigen von ihnen außerdem die amerikanische Armee präsent ist.

Die Konflikte mit der Ukraine zu Beginn dieses Jahres und letztlich mit Georgien zeigen, dass Moskau nicht seine Ambitionen aufgegeben hat, die Rolle der Hegemonialmacht gegenüber diesen Staaten zu spielen. Auch hier gibt Gazprom Putin wichtige Machtmittel gegenüber diesen Staaten an die Hand, die nämlich von der Versorgung mit Energie durch Russland abhängen. In Anbetracht der Entrüstung im Westen darüber, dass Moskau als Druckmittel auf die ukrainische und georgische Regierung die Gaspreise erhöht hat, muss man doch daran erinnern, dass diese Preise deutlich unter den Preisen des Weltmarktes liegen. Und wenn der Chef der russischen Bürokratie natürlich seine Verachtung gegenüber der Bevölkerung zum Ausdruck bringt, indem er damit droht, ihnen die Energie, und damit die Heizung abzustellen, um Druck auf ihre politischen Führer auszuüben, so kann er das nur machen, weil diese Staaten eben auf dem Weltmarkt kein Gas finden würden, dass billiger ist als das, was der Kreml ihnen liefert. Aber umgekehrt ist der Westen nie entrüstet, wenn die Preissteigerung durch die "Gesetze des Marktes" (d.h. die Entscheidungen der Konzerne) entstehen, das findet die bürgerliche Meinung ganz normal, und sie entrüstet sich nur, wenn diese aufgrund der politischen Entscheidungen der Bürokratie entstehen.

Diese Versuche der Beeinflussung gehen übrigens über die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion hinaus, bis hin zu den ehemaligen Volksrepubliken (z.B. wird die Slowakei zu 80%, Ungarn zu 72% durch russisches Gas versorgt).

Eben weil die großen Betriebe wie Gazprom nicht nur dem einzigen Gesetz des Profits gehorchen, deshalb können sie als politisches Instrument in den Händen der Führung der Bürokratie dienen. Aus genau diesem Grund knüpfen die imperialistischen Großmächte den Eintritt Russlands in die WTO, der dieses Jahr erneut von mehreren Großmächten abgelehnt wurde, an die Bedingung, dass Russland willens ist, sich einzuordnen und alle Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft zu respektieren. Bislang scheint die politische Führung Russlands diesem "freundschaftlichen" Druck nicht nachgeben zu wollen. Entsprechend ist Russland immer noch nicht in der WTO, obwohl China drin ist.

Das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist immer noch nicht stabilisiert. In Russland selbst geht der besonders grausame Krieg in Tschetschenien weiter, der aus dieser unglücklichen Region ein Feld von Ruinen macht. Die Zahl der Opfer scheint mittlerweile ein Viertel der gesamten Bevölkerung zu sein.

Die Grenzen der Staaten, die bei dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion entstanden, waren zu Zeiten der Sowjetunion einfache Verwaltungsgrenzen. Ihre Umwandlung in Staatsgrenzen hat diverse Minderheiten in den jeweiligen Staaten entstehen lassen, die die Ursache oder auch nur der Vorwand für die zahlreichen Konflikte in Kaukasus und Transnistrien sind.

Diese Konflikte kommen noch zu dem wirtschaftlichen Rückgang hinzu, der durch das Verschwinden der für den Maßstab der gesamten Sowjetunion geplanten Wirtschaft entstanden ist.

In Zentralasien und im Kaukasus sind den bürokratischen Diktaturen, die sich kommunistisch nannten, Diktaturen unter anderen Etiketten gefolgt, aber meist unter der Macht des gleichen Mannes, der gleichen Familie (so der Vater dann der Sohn Alijew in Aserbaidschan) oder desgleichen Clans, wie in der düsteren und gleichzeitig absurden Diktatur Turkmenistans.

Die Konflikte zwischen den aus der ehemaligen Sowjetunion entstandenen Staaten oder in deren Inneren werden noch verschärft durch die Rivalität zwischen Russland, das versucht, seinen Einfluss zu behalten, und den USA, die versuchen, dort Einfluss zu gewinnen.

Die Frage, die den bürokratischen Clan um Putin zu beschäftigen scheint, und indirekt auch die Westmächte, ist die nächste Präsidentschaftswahl 2008, zu der Putin eigentlich nicht antreten kann, da die Verfassung nicht mehr als zwei hintereinander folgende Amtsperioden erlaubt.

Die persönlichen Ambitionen von Putin, weiterhin zu regieren, treffen dabei mit den Interessen seines Clans zusammen, ihre Macht aufrecht zu erhalten. Werden sie es schaffen? Wenn ja, wie? Indem sie die Verfassung durch ein gehorsames Parlament ändern lassen? Oder indem sie eine Wahlperiode lang die Macht an einen Strohmann abgeben, um sich dann 2012 wieder zur Wahl stellen zu lassen? Aber wer kann garantieren, dass der Strohmann nicht auf den Geschmack kommt und daraus eine neue Machtkrise entsteht, auf die die Bürokratie ein Abo hat.

Es gibt auch doch die Möglichkeit einer Wiedervereinigung von Russland und Weißrussland, und der Schaffung eines neuen Staates, was Putin die legale Möglichkeit geben würde, an die Spitze dieses Staates gewählt zu werden. Aber auch wenn Lukaschenko, der in Weißrussland herrscht, einer der wenigen Verbündeten aus der Zeit von Stalin und Breschnew ist, ist nicht gesagt, dass er bereit ist, seinen Vorhof aufzugeben, um den zweiten Platz in einer russisch-weißrussischen Gemeinschaft einzunehmen.

Es bedürfte einer wesentlich genaueren Kenntnis des Kräfteverhältnisses als wir sie haben, um zu versuchen, vorherzusagen, ob Putin es schaffen wird, seine Machtzeit zu verlängern und so die Krisen durch die Kämpfe um die höchste Macht zu beenden. Das ist es sicher, was sein Clan hofft, und vielleicht ist es auch der Wunsch der imperialistischen Welt.

3. November 2006