Von den Derivat-Produkten zur Staatsschuldenkrise: Wenn die Welt auf einem Vulkan tanzt (adaptiert aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von März 2012)

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Von den Derivat-Produkten zur Staatsschuldenkrise: Wenn die Welt auf einem Vulkan tanzt
März 2012

Ohne den Kapitalismus von gestern, und noch weniger das Bankensystem der vorhergehenden Epoche zu idealisieren, kann man nur feststellen, dass die Deregulierung, das heißt die Tatsache der Finanzwelt außerhalb jeder Regel und Kontrolle sämtliche Freiheiten zu geben, alles zu tun, was sie will, um Profit zu machen, führte zur Entstehung eines immer wahnsinnigeren Systems.

Das Problem besteht nicht darin, "die Finanzen" als solche zu brandmarken; denn in einem auf Warentausch basierendem System, spielen die Finanzen, oder genauer die Banken, eine unentbehrliche Rolle: jene, das in der Gesellschaft existierende Geld zu bündeln, und jenen in Form von Darlehen zur Verfügung zu stellen, die es brauchen, und als Gegenleistung die Abgabe eines "Zehnten", also des Zinses für die erbrachte Dienstleistung zu verlangen.

Die Tatsache, dass dort wo Geld deponiert wird, auch Banken existieren, und dass diese Banken das Geld vermittels von Krediten in den Wirtschaftskreislauf bringen, ist Teil des natürlichen Funktionierens des Kapitalismus, und man könnte dies sogar von jedem System sagen, wo Geld existiert. Die Banken sind gewissermaßen ein obligatorisches Glied zwischen Kunden, Lieferanten und Verbrauchern. Dies wird von da an sowohl schwieriger als auch gefährlicher, wenn es über die einfachen Kreditgeschäfte hinaus, möglich wird, auf Forderungen zu spekulieren, das heißt, sie zu kaufen und wieder zu verkaufen, indem man auf das Risiko der Zahlungsausfalls spielt.

Selbstverständlich hat bei Spekulationen oder sogar einfachen Handelstransaktionen immer ein "Risiko" bestanden. Abgesehen vom Fall einer im kapitalistischen Austausch praktisch inexistenten sofortigen Barzahlung, besteht immer ein Risiko von unbezahlten Rechnungen oder das Risiko von Wechselkursänderungen, das den einen oder den anderen Vertragspartner benachteiligen würde. Dieses Risiko wurde durch die Deregulierung um ein Vielfaches gesteigert: Zum Beispiel kann eine Änderung der Wechselkurse zu bedeutenden Gewinn-Schwankungen bei einem Export-Unternehmen führen. Wenn zum Beispiel der Dollar stark sinkt, kann ein zu einem bestimmtem Datum unterzeichneter Kauf- oder Verkaufsvertrag bei fallendem Kurs zwischen dem Zeitpunkt der Unterzeichnung und dem Zeitpunkt, wo das Geld kassiert wird, zu einem großen Verlust führen.

Für den Versuch, sich gegen solche Unwägbarkeiten abzusichern wurde das erfunden, was man Derivat-Produkte nennt, das heißt Verträge, die dazu dienen sollen, die Risiken zu begrenzen oder zu kompensieren. (Solche Praktiken wurden schon in der Antike von Aristoteles aus dem IV. Jahrhundert vor unserer Zeit erwähnt). Das war zum Beispiel auf dem Rohstoff-Markt der Fall. Um sich gegen die Risiken der Abweichung der Preise absichern zu können. Rohstofferzeuger, zum Beispiel von Getreide können schon weit im Voraus Verkaufs-Verträge zu einen bestimmten Preis unterzeichnen: zum Beispiel in zehn Monaten zum derzeitigen Marktpreis. Diese Operation, die man Termingeschäft nennt, ist eine Wette: Wenn inzwischen die Preise für diesen Rohstoff fallen, gewinnt der Erzeuger, denn er wird zum Termin Getreide teurer als zum Marktpreis verkauft haben. Wenn die Preise gestiegen sind, ist er Verlierer, und der Käufer hat das gute Geschäft gemacht. Es handelt sich dermaßen um eine Wette, dass in Frankreich diese Termin-Verträge bis 1885 juristisch dasselbe Statut hatten wie Geld-Glücksspiele.

Diese Operationen sind klassisch. Aber man muss noch einmal feststellen, wie es ein vom Verband der Schweizer Banken veröffentlichtes Finanzhandbuch erklärt, das durch diese Operationen, auch wenn sie das Vermögen eines Spekulanten machen können, kein Reichtum entsteht: "Es handelt sich um Null-Summen-Geschäfte, wo die Gewinne der Einen nur durch die Verluste der anderen gedeckt werden können."

Die Termingeschäfte auf dem Rohstoff-Markt haben sich nach und nach - zuerst in den Vereinigten Staaten vom Ende des XIX. Jahrhunderts an verallgemeinert. Aber erst ein Jahrhundert später, ab 1973, hat der Derivat-Produkten-Markt sich von einfachen Verhandlungen in gegenseitigem Einvernehmen heraus entwickelt und sich wirklich organisiert. Das Ende des Systems von Bretton Woods und der Beginn bedeutender Schwankungen der Währungs-Wechselkurse und der Zinssätze zwangen die Investoren, sich gegen das zu wappnen, was sie "Wechselkursrisiken", und "Zinsrisiken" nennen. Dieses berühmte "Risiko", an dem die Bewunderer des Kapitalismus sich ständig berauschen, und das in ihren Augen ihre extravaganten Einkommen rechtfertigt, ist in Wirklichkeit etwas, das sie mit allen Mitteln zu begrenzen suchen. Aber die Kehrseite der Medaille der Deregulierung besteht darin, die Risiken jeder Finanztransaktion stark erhöht zu haben. Als die Zinssätze oder Wechselkurse wenn auch wenig, so immerhin eingeschränkt waren, da stellte einen Kredit zu geben oder Geld in einer bestimmten Währung zu leihen, keine große Unsicherheit dar, da man fast sicher war, wie hoch der Zinssatz oder der Währungskurs am Fälligkeitsdatum des Darlehens wäre. Seit den achtziger Jahren ist es nicht mehr so: Jeder Kapitalist versucht also, sich gegen das Risiko abzusichern, nicht nur seinen Gläubiger zahlungsunfähig, sondern auch die Zinssätze oder die Wechselkurse in einer Weise verändert zu sehen, die benachteiligt. So sind nicht nur die Rohstoff-Termingeschäfte, sondern auch alle anderen Verträge, die von Änderungen einer Währung, eines Zinssatzes, eines Börsenkurses abhängen, - diese nennt man abgeleitete Produkte. Diese haben sich in exponentieller Weise entwickelt. Diese abgeleiteten Produkte haben begonnen, in etwa zehn, hunderten oder Tausenden Händen oder eher von Informatikterminals zu zirkulieren, und deren Wert sich in Abhängigkeit davon was jeder Spekulant von den Marktschwankungen erwartet, von einer Minute zur anderen ändert. Mit diesen Derivat-Produkten spekuliert man nicht mehr auf den Wert einer Ware, sondern auf das Risiko, diesen Wert in sich in dem einen Sinn oder anderen Sinne zu ändern. Wie es (2005) der Wirtschaftsexperte Jean-Philippe Tarte, (Professor bei HEC Montreal) schrieb, "innerhalb eines Jahrzehnts, von Mitte der siebziger Jahre bis Mitte der achtziger Jahre ist ein vollkommen neuer Finanzmarkt entstanden, dessen Zielsetzung darin bestand, nicht Aktiva zu handeln, sondern das Risiko selbst". Dieser Markt erlebte in der Tat ein unglaubliches Wachstum: Gemäß demselben Wirtschaftsexperten war 1998 der Wert dieser Produkte 60 Mal höher als im Jahre 1986, und er wurde immer mehr vom Wert "den ihm zu Grunde liegenden Werten abgekoppelt", das heißt von jenen Produkten losgelöst, auf denen diese Verträge beruhten : "Anfang 1998 betrug der Gesamtwert der Derivat-Produkte 64.000 Milliarden Dollar; sechs Monate später erreichte er 75.000 Milliarden und nochmals sechs Monate später: 80.300 Milliarden Dollar, während der zu Grunde liegende Handelswert weniger als 3.230 Milliarden Dollar betrug, das heißt 4 % der Gesamtzahl."

Die Explosion dieses Marktes und der Profite, die er erbrachte, hat die Finanzjongleure zu grenzenlosem Erfindungsgeist gedrängt. Sie begannen, in großem Maßstab (und mit Gehältern aus massivem Gold) kleine Mathematik-Genies einzustellen, die immer zerbrechlichere, immer schwierigere Spielsysteme ausgearbeitet haben, die es ihnen - wie sie glaubten - ermöglichten, die Risiken zu reduzieren.

Um sich gegen die Risiken von Zahlungsausfall ihrer Kredite zu wappnen, lernten sie zum Beispiel die gefährlichsten und unsichersten Forderungen zu verbergen, indem sie sie in Mitten anderer sichererer Forderungen verpackt verkauften, auf dieselbe Art und Weise wie ein Obst-Verkäufer seine verfaulten Äpfel mit einer Reihe frischer Äpfel bedeckt. Dieses "Verbriefung von Forderungen" genannte System, besteht darin, eine "Verpackung" von Forderungen zu schaffen, die einige sichere und auch extrem riskante Forderungen enthält, und es zu schaffen, diese trotz der Risiken zu verkaufen. Dieses System ist dermaßen undurchsichtig, dass niemand in der Lage ist zu wissen, welche der Forderungen, bezahlt werden, und welche es nicht sein werden. Denn die "Aktiva-Portefeuilles", die heute auf den Finanzplätzen ausgetauscht werden, enthalten gewöhnlich vierzig oder fünfzig tausend Titel! Die kleinen Finanz -Genies, die dieses System erfunden haben, und denen es nicht an Humor mangelte, wenn sie mit dem Geld Anderer spielen, nannten dieses Verbriefungssystem "Schredder-Spüle" nach dem Namen eines in den USA sehr beliebten Apparates, der alles Mögliche gleichzeitig ansaugt, zerquetscht und vermischt.

Erinnern wir uns daran, dass die Subprimes-Krise durch die endlose Vervielfältigung solcher Finanztitel verursacht wurde, dank der Erfindung die die Bankiers CDO (collaterized debt obligation) nennen, zu Deutsch: forderungsbesicherte Wertpapiere. Die Bankiers hatten Immobilienkredite an insolvente Haushalte verkauft, Tausende dieser faulen Kredite "verbrieft", indem sie sie mit gesünderen Aktiva vermischt haben und sie dann an andere Banken und Finanzinstitute oder Investmentfonds weiterverkauften, und ihnen so das Risiko unbezahlbarer Kredite übertrugen... bis sie damit endeten, sie selber in Unkenntnis der verborgenen Risiken zurück zu kaufen, da sie so versteckt in anderen kaschierten Finanztiteln, von ihnen selbst nicht mehr erkannt wurden.

Ein Beispiel: die CDS

Die CDS (Credit Default Swap, auf Deutsch "Kredit-Ausfall-Versicherungen" oder auch "Deckung bei Zahlungsausfall") sind ein besonders erstaunliches Derivat-Produkt und gerade sehr aktuell, über die seit 2008 sehr viel in der Wirtschafts-Presse geschrieben wird.

Es handelt sich um Versicherungsverträge für Kredite. Anfangs wurden die CDS von den Bankiers als die Wunderlösung betrachtet, die es ihnen erlaubt, in jedem Fall zu gewinnen, das heißt, sich gegen jedes Risiko von Zahlungsausfall zu wappnen. Sie wurden im Jahre 1994 von der jungen in Finanzen und Mathematik diplomierten Frau, Blythe Masters erfunden, die bei der amerikanische Bank JP Morgan angestellt war. Das System ist scheinbar ziemlich einfach. Die CDS gehen von drei Beteiligten aus: einem Bankier, der ausleiht, einem Vertragspartner, der einen Kredit aufnimmt, und einem Dritten, der das Darlehen gegen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsausfall des Anleihenehmers versichert. Wie bei jeder Versicherung wird dafür eine Prämie gezahlt. Es ist also, wenn auch in ganz anderer Größenordnung das gleiche System wie bei einer Hausratversicherung: Man zahlt jedes Jahr eine Prämie für die Versicherung. Wenn es nie einen Schaden gibt, hat man umsonst gezahlt, und die Versicherung hat gut verdient. Aber im Schadensfall übernimmt es die Versicherung, für die Schäden zu zahlen.

Das ganze System beruht auf der Überzeugung beider Seiten, dass man selbst gewinnen wird: Wenn es keinen Zahlungsausfall gibt, hat "der Versicherer" (der eine Bank, eine Versicherung, ein Pensionsfonds oder irgendein Spekulant sein kann) gewonnen. Er erhält während der ganzen Darlehensdauer seine Prämie, also eine Art Rente, ohne einen einzigen Cent Kapital auszugeben. Andererseits wird er sich bei Zahlungsausfall gezwungen sehen, den Betrag des Darlehens zu bezahlen, und es ist die verleihende Bank, die gewinnt, da der Versicherer zahlt.

Dieses System hatte einen Erfolg, der alle Erwartungen seiner Erfinder übertraf: Die CDS decken heute Beträge von Schulden, die sich auf Zehn Tausend Milliarden Dollar beziffern. Warum? Zuerst, weil sie, wie gesagt, erlauben, sich gegen das Risiko eines Zahlungsausfalls abzusichern. Aber auch, weil sie, erlaubt haben, das was von den Regeln des amerikanischen Finanzsystem übrig geblieben war zu umgehen, besonders die Tatsache, dass eine Bank gehalten war, ausreichende Reserven zu haben, um einen Teil der auf Zahlungsausfall beruhenden Verluste, abdecken zu können.

Mit den CDS verschwindet diese Verpflichtung, da in der Theorie dieses Risiko verschwindet! Als Anekdote sei erwähnt, dass es Monate intensiven Lobbyismus der Wallstreet-Bankiers gedauert hat, um die Regulierungsbehörden des amerikanischen Staates dafür zu gewinnen, dieses System zu akzeptieren, denn sie waren anfangs recht zurückhaltend und reserviert angesichts dieser Konstruktion, wie ganz allgemein angesichts der Explosion der Derivat-Produkte.

Man muss feststellen, dass die endgültige Genehmigung ohne den geringsten Zwang (und ohne jede Regulierung) mit den Derivat-Produkten zu spielen, insbesondere den CDS, von der Administration des demokratischen Präsidenten Bill Clinton kam. Obwohl dieser 1992 einen Teil seiner Wahlkampagne auf der Notwendigkeit aufgebaut hatte, die Finanzen zu regulieren und den Gebrauch der abgeleiteten Produkte zu begrenzen. Doch vergaß er, an die Regierung gekommen, selbstverständlich seine Versprechen. "Noch ehe der Mann aus Arkansas (Clinton) inthronisiert war, erzählte der Journalist der Financial Times, Gillian Tett, war es offensichtlich, dass die Strategen des Finanzsektors den Übergang von der Bush- zur Clinton-Administration geschafft haben. Die demokratischen Finanziers lösten die republikanischen ab. Die anklagende Wahlkampf-Rhetorik trocknete aus." Und zwei Jahre später erklärte Finanzminister Lloyd Bentsen vor Finanzleuten: "Derivat-Produkte, das ist kein großes Wort. (Der Staat) muss vorsichtig bleiben, sich allzu ungeschickt in die Märkte ein zu mischen." Ende der neunziger Jahre arbeiteten die Bankiers weiter daran, dass der Markt der Derivat-Produkte gänzlich liberalisiert wird. Im Jahr 2000 endete der demokratische Senator Phil Gramm damit, ein sogenanntes Modernisierungsgesetz der "Terminmärkte" annehmen zu lassen, das ganz einfach die Regulierung der Derivat-Produkte verbot. Vermerken wir nur, dass Phil Gramm zweifellos als Dank für diese schönen Gesten im Jahr 2002 den Senat verließ, um Vizepräsident des Bankriesen UBS zu werden.

Die Explosion der CDS war voller Gefahren, die einige Jahre später, 2007/2008 bei der Subprimes-Krise grell ans Tageslicht traten. Denn genauso wie eine Naturkatastrophe, ein Erdbeben oder Tsunami kann eine Finanzkatastrophe mit einer Kette von Zahlungsausfällen die Vertragspartner der CDS ruinieren. Und das Problem wurde mit der Tatsache vervielfältigt, dass diese Finanztitel durch tausende von Händen gingen, nachdem sie einmal abgeschlossen worden sind, da sie selbst zu Gegenständen der Spekulation wurden! Ein Versicherungsvertrag für Darlehen, der es erlaubt, eine Rente von einigen Millionen einzustreichen, ohne einen Pfennig auszugeben, allein für das Versprechen, einen hypothetischen Zahlungsausfall zu decken, welcher Spekulant würde sich nicht darauf stürzen?

Schlimmer noch, die CDS sind in Wirklichkeit eine Ermutigung dazu, auf Zahlungsausfälle zu spekulieren: Sobald der Eigentümer einer CDS, im Besitz dieses Vertrags ist, der ihm verspricht, bei Schuldnerkonkurs das große Los zu gewinnen, hat er jedes Interesse daran, alles zu tun, um diesen Konkurs zu beschleunigen, wie man es später im Fall der griechischen Schulden sehen wird.

Das Verblüffendste in dieser Angelegenheit ist, dass es sehr oft dieselben Banken sind, dieselben Finanzgesellschaften, die risikoreiche Kredite aufnehmen, sie durch CDS versichern lassen und damit gleichzeitig auch wiederum andere durch von ihren Filialen übernommene CDS versichern: nach einem vom französischen Finanzministerium im Jahre 2009 veröffentlichten Dokument über den CDS-Markt, stellen die Banken 59 % der Käufer und 44 % der Verkäufer dar!

Um ein einfacheres Bild zu nehmen: Dieses Verhalten ist dasselbe wie das eines Autoherstellers, der zuerst eine Million Kraftfahrzeuge verkaufen würde, von denen er genau weiß, dass das Bremssystem fehlerhaft und gefährlich ist, und Tausende Unfälle verursachen wird, und der gleichzeitig in Krankenhäuser, Umschulungszentren für Opfer des Straßenverkehrs und eine Fabrik zur Rollstuhlproduktion investieren würde.

Zum Zeitpunkt, wo 2007 die Subprimes-Krise ausbrach, als die Wohnungs-Preise brutal einstürzten, und wo es offensichtlich geworden ist, dass die Millionen von Immobilienkrediten, die armen Haushalten angedreht worden waren, nie zurückgezahlt werden, fanden sich Tausende von Finanzinstituten mit Schuldscheinen in ihren Tresoren wieder, die nichts mehr wert waren. Und Tausende Anderer - oder in Wirklichkeit dieselben, da jeder sowohl Versicherer als auch Darlehensgeber war - sind gezwungen worden, die CDS-Verträge bedienen zu müssen: Es handelte sich nicht mehr darum, eine angenehme regelmäßige Versicherungsprämie zu kassieren, sondern darum, die Kosten für die Schäden zu begleichen. Außer dass die betreffenden Banken oder Versicherer wie das Amerikanische AIG, die auf einen Schlag etwa 67 Milliarden Dollar für versicherte Darlehen zahlen musste, nicht das dazu notwendige Geld in den Tresoren hatten. Sie hatten nur eine einzige Lösung, nämlich, den Staat aufzufordern, das heißt die amerikanischen Steuerzahler, für das zerbrochene Porzellan zu zahlen. Man könnte sagen, das System der CDS funktioniert nur, solange alles gut geht: Dann erlaubt es, gewaltige Gewinne zu machen. Aber, wenn alles zusammenbricht, ist es für die Versicherer unmöglich, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Aber welche Bedeutung hat dies in einer Situation, die dem Zusammenbruch des ganzen Systems entspricht? Wie es im letzten Herbst ein Leitartikler der Wirtschaftstageszeitung La Tribune in einem eloquenten Artikel feststellte, "sind die CDS ein völlig unnötiger Schutz": "Wenn alles zusammenbricht zahlt niemand eine Versicherung. Es ist, wie eine Versicherung gegen den Atomkrieg abzuschließen. Man ist versichert, aber tot."

Die Staatsschulden-Krise

Nach dem Finanzkrach von 2008, der trotz aller Absichtserklärungen absolut nichts an der Funktionsweise der Finanzwelt geändert hat, hat schnell eine neue Krise begonnen, in der wir uns heute befinden: die Staatsschulden-Krise. Kaum von den Staaten mit hunderten von Milliarden rekapitalisiert, haben sie sich mit noch mehr Raffgier als zuvor auf die Spekulation mit den Schulden dieser Staaten gestürzt, und besonders die Zerbrechlichsten unter ihnen. Es handelt sich dabei um eine infernalisch-höllische Spirale, die dem gesunden Menschenverstand spottet: Die riesigen Schulden der Staaten sind zum großen Teil eine Folge davon, dass sie den Banken Geld ohne Aufsicht auf Rückzahlung gegeben haben. Dadurch hatten die Staaten nicht mehr das Geld, die laufenden Ausgaben zu bezahlen und mussten sich nun ihrerseits... bei eben denselben Banken verschulden, an deren Rettung sie sich ruiniert hatten!

Die Staatsschulden wurden rasch zu einem extrem lukrativen Spekulationsobjekt für die Finanzwelt; wie das Anbieten von Immobilien-Krediten an zahlungsunfähige Haushalte (Subprimes) sehr gewinnträchtig war, so ist das Kreditgeben an zahlungsunfähige Staaten nicht weniger gewinnbringend. In diesem gigantischen Kasino, welches das weltweite Finanzsystem darstellt ist es so, dass man umso mehr gewinnt je mehr man riskiert... bis zum Krach. Und das CDS-System hat den waghalsigsten Wettern erlaubt Versicherungsverträge für immer riskantere Schulden ab zuschließen. Dabei sind die Wettenden umso mehr geneigt Risiko-Schulden zu versichern, da die Gewinnprämien in Abhängigkeit vom Risiko ansteigen.

Ein Beispiel: Eine Schuld des schweizerischen Staates von 10 Millionen Dollar für fünf Jahre über CDS abzusichern erbrachte am 13 Februar 2012 (all dies ändert sich von einem Tag zum anderen) eine Gewinn-Prämie von 54.780 Dollar. Dagegen werden mit Griechenland die Sachen für die Versicherer deutlich interessanter. Die Gewinnprämie für ein Jahr liegt - immer für einen 10 Millionen Dollar Betrag - nicht bei 54.780 Dollar, sondern bei 6,5 Millionen für nur ein Jahr, nachdem sie in der unsichersten Phase sogar 9,4 Millionen Dollar betragen hatte. Der Besitz eines CDS-Vertrages auf die griechische Staatsschuld garantiert seinem Halter also eine großartige Gewinnprämie.

Erinnern wir daran, dass dabei nicht unbedingt Kapital für den Kredit selbst nötig ist, sondern einfach nur für den Kauf der Schuldversicherung.

Das Vabanque-Spiel besteht hier für den Versicherer also darin, die Gewinnprämie zu kassieren, und den Vertrag schellst möglich weiterzuverkaufen bevor Griechenland pleite macht, und somit nicht für die Kosten dieser Pleite aufkommen zu müssen.

Aber die CDS für Staatsschulden erlaubt es, sich auch in anderer Weise zu bereichern: einfach indem man sie kauft und wieder verkauft. Ihr Wert ändert sich mit dem Risiko des Zahlungsausfalls: Wer eine CDS zu einem niedrigeren Preis kaufte, als das Risiko geringer war, kann sie dann wenn das Risiko steigt viel teurer verkaufen. Es genügt also, wenn der Spekulant ein wenig nachhilft, das Risiko zu vergrößern, um saftige Gewinne zu machen. Der Journalist Jean Quatremer erklärt dieses System so: "Im Fall Griechenlands haben die Spekulanten, also die Bank Goldman Sachs und mehrere Investitionsfonds, die CDS-Märkte leergekauft), um deren Kurs hochschnellen zu lassen. Dieser Höhenflug der CDS-Kurse hat auf dem Markt der griechischen Staatsanleihen eine Panik ausgelöst, er galt als Zeichen, dass gewisse Geldanleger an der Zahlungsfähigkeit Griechenlands zweifelten. Da haben die Geldinvestoren begonnen, sich der griechischen Staatsanleihen zu entledigen. Je mehr die Angst zunahm, umso mehr fielen die Kurse, aber umso mehr stieg der Wert der CDS (Kreditausfallversicherungen). Die Spekulanten spielten auch gegen die griechischen Staatsschulden und wetteten auf deren Baisse. Dies waren Wetten ohne Risiko, da sie selbst es ja waren, die die Panik ausgelöst hatten. Zur gleichen Zeit zögerten sie nicht, dem griechischen Staat kurzfristige Kredite zu natürlich sehr hohen Zinsätzen zu gewähren. Auf diese Art verdienten sie auf zwei Ebenen."

Man weiß es, dass diese wahnsinnigen Finanzspiele einerseits zu einer schnellen Bereicherung der Spekulanten führen, welche aber von den betroffenen Völkern mit einem sehr hohen Preis bezahlt werden. Die griechische Bevölkerung hat schon für den Wunsch seiner Führer, den Konkurs zu vermeiden, einen sehr hohen Preis in Form ihm aufgezwungener Sparpläne gezahlt. Doch am Tag wo der Konkurs trotzdem stattfinden wird, könnte eine im Vergleich zu der von 2008 unvergleichbar schwerere Katastrophe eintreten. Denn die Undurchsichtigkeit der Märkte für Derivat-Produkte ist so groß, dass heute niemand weiß, wer wirklich die CDS-Verträge der griechischen Schulden besitzt, ebenso wenig, wie derer für die italienischen und französischen Schulden, und auch nicht wie viele. Die CDS sind in der Tat Finanzoperationen "außerhalb der Bilanzen": Sie erscheinen nicht in der offiziellen Buchführung der Banken, und werden von Offshore-Filialen, d.h. in den Steuerparadiesen, durchgeführt. Es ist sicher, dass alle Banken fett an diesen CDS der Staatsschulden verdienen... doch am Tag, wo sie tatsächlich die Konsequenzen der Zahlungsausfälle übernehmen müssen, wird erneut eine totale Lähmung des Bankensystems so gut wie sicher sein. Denn keine einzige dieser Banken besitzt solche Reserven, die es erlauben würden, für diesen Zahlungsausfall aufzukommen.

Und dieses Mal, wird man nicht auf die Feuerwehr der Staatshilfen hoffen können, um das Feuer zu löschen, da die Staaten selbst es sind, die dem Feuer zum Opfer fallen.

Nach ihnen das Chaos

Die kapitalistische Gesellschaft scheint gerade im Begriff zu sein, in ihrem eigenen Fett zu ersticken, unfähig ihre eigenen Widersprüche in den Griff zu bekommen, unfähig die Kapitalisten daran zu hindern weitere Schäden anzurichten, und Tag für Tag weiter mit dem Feuer zu spielen. Die Staaten sind machtlos wieder eine Regulierung der Finanzmärkte zu installieren, die sie selbst beseitigt haben. Was die Kapitalisten und Spekulanten selbst betrifft, so wissen sie zweifellos genau welche Risiken sie der Menschheit aufbürden, doch sie fahren fort, in derselben Weise zu handeln, so lange damit Geld zu machen ist - und nach mir die Sintflut! Man kommt nicht umhin hier an die berühmte Szene aus dem Film "Der Hass" zu denken, wo eine der Personen sich von einem hohen Turm in die Tiefe stürzt, und sich im gesamten Verlauf des Sturzfluges sagt: "Bisher läuft alles gut". Es ist genau das gleiche Denken, mit dem der Vorstandsvorsitzende einer großen Wall Street Investitions-Bank auf die immer beängstigerenden Warnungen einiger Ökonomen vor dem Krach von 2008 antwortete: "Man muss tanzen, solange die Musik ertönt." An dem Tag, wo die Musik aufhört, werden es nicht diese Bankiers sein, die die Rechnung bezahlen, sondern es werden die Völker sein, die zur Kasse gebeten, und sich in eine noch nie dagewesene tiefe Rezession gestürzt sehen werden, deren Folge unabsehbar sind.

All jene unter den Wirtschaftswissenschaftlern oder Politikern, die vorgeben, Lösungen zu haben, sind entweder naiv oder Lügner. Zu glauben, man könnte zum klassischen industriellen Kapitalismus zurückkehren, so als ob nicht gerade die Industriekapitalisten eine entscheidende Rolle bei all dem gespielt haben, was zur gegenwärtigen Situation führte, ist einfach lächerlich. Ganz genauso, wie vorzugeben, es würde genügen, das Bankensystem wieder zu trennen, wie es nach der Krise von 1929 getan wurde.

Solche Entscheidungen werden vielleicht in den kommenden Monaten getroffen. Doch wer sollte die Finanziers dazu zwingen, sie auch zu respektieren, und wie sollte das geschehen? Die soziale Verantwortungslosigkeit dieser Männer ist so groß, dass die einzige Art sie daran zu hindern weiter der Gesellschaft zu schaden, darin besteht, sie sofort zu enteignen, ihnen jede Möglichkeit zu nehmen die geringste Entscheidung zu treffen, und sie ganz nebenbei dafür ins Gefängnis zu werfen, dass sie ihres Profites wegen die ganze Gesellschaft ruiniert haben. Doch eine solche Entscheidung wird von den Politikern, die heute an der Macht sind oder nach ihr streben, niemals getroffen werden.

Sie kann nur aus einer sozialen Revolution hervorgehen und von ihr zu Ende geführt werden, in deren Verlauf die Ausgebeuteten der ganzen Welt bewusst entscheiden werden, mit einem System Schluss zu machen, das nur allzu viele Schäden verursacht hat.

15.2.2012

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In erster Linie sind die Industriekapitalisten verantwortlich

Im Milieu der Globalisierungskritiker und KPF-Anhänger ist es heute üblich zu sagen, dass man zu einem Kapitalismus zurückkommen müsste, der mehr auf die Industrie orientiert ist und weniger auf die Finanz. Als ob es eine Unterscheidung zwischen den "guten Kapitalisten" gäbe, den Industriellen und den "schlechten", den Finanzleuten und Bankiers. Eine solche Behauptung ist im besten Falle Zeichen großer Naivität und im schlechteren Falle reiner Betrug.

Zu aller erst, weil das Industriekapital und das Bankkapital seit Beginn des XX. Jahrhunderts auf das Engste verbunden sind, so dass man heute große Schwierigkeiten hätte, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Es ist ein Phänomen, das bereits Lenin zu seiner Zeit betonte, indem er von der "Fusion des industriellen und des Bankkapitals" zu einem einzigen, dem "Finanzkapital" gesprochen hat. Nach den Worten des französischen Wirtschaftsexperten Chesnais, erscheint es heute richtiger, statt von Industrieunternehmen vielmehr von "Finanzunternehmen mit überwiegend industrieller Ausrichtung" zu sprechen, bei denen es "keine Trennwand zwischen der Nutzung des Kapitals in der industriellen Produktion und jenen Operationen gibt, die Profit im rein finanziellen Bereich suchen".

Schließlich darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Industrieunternehmen die ersten Beteiligten an der Finanzialisierung der Wirtschaft waren, und dass die Banken nichts anderes taten, als ihnen ihre Instrumente anzubieten, selbst wenn sie sich dabei außergewöhnlich bereichert haben.

Die Industrieunternehmen haben immer bedeutende Mengen liquiden Kapitals in ihren Kassen, und man kann sich leicht vorstellen, dass sie diese nicht unter der Matratze "schlafen lassen". Wenn ein Unternehmen, wie Peugeot kürzlich behauptete, über elf Milliarden Euro Cash-Flow zu verfügen, das heißt "flüssiges Kapital", dann heißt das nicht, dass es in einem Safe wartet: Offensichtlich wird dieses Geld sofort auf den Kapitalmärkten angelegt, um mehr Geld zu erbringen.

Die Unternehmen verfügen über vielfältige Mittel, um zu spekulieren und insbesondere die multinationalen Konzerne, die die Möglichkeit haben, Geld-Fonds sehr schnell von einer Filiale auf die andere, und so von einer Währung in eine andere zu transferieren, und sich dabei auf die interessantesten Kurse stützen. Zum Beispiel waren es wirklich Devisen-Spekulationen der großen multinationalen Unternehmen, die zur Finanzkrise von 1992-1993 geführt haben.

Die Industrieunternehmen haben auch nicht darauf verzichtet, auf dem Markt der Derivat-Produkte zu intervenieren, von denen im Übrigen einige durch die Banken auf besonderen Wunsch der Industrie-Unternehmer entstanden sind. Der aller erste "SWAP"(ein Derivat-Produkt, das darin besteht, zwei Unternehmen zu erlauben, Zinserträge auf Anleihen auszutauschen) ist so im Jahre 1981 auf Antrag von IBM entstanden. IBM wollte, seine Reserven in Dollar erhöhen und sich einer zu großen Menge Schweizer Franken entledigen. Später war die Rentabilität solcher Operationen so groß, dass es kein großes multinationales Unternehmen gibt, das heute nicht in riskante spekulative Operationen involviert ist.

Dies ist so klar, dass heute die Mehrzahl der großen Industriekonzerne ihre eigene Bank hat, um nach eigenem Belieben mit den Finanz-Produkten spielen und spekulieren zu können. Und das aus einem einfachen Grund: von dem Zeitpunkt, wo Kredite benötigt werden, damit die Produktion laufen kann, fragten sie sich, ob sie diese Kreditvergabe mit den sich daraus ergebenden Profiten, anderen Bankiers überlassen sollten? Seit den achtziger Jahren ist es also für Industriekonzerne üblich geworden, entweder eigene Banken einzurichten, wie die Peugeot-Bank, die Renault-Bank , oder sie durch Fusion-Akquisition zu erwerben. Einige Beispiele: Péchiney hat 1982 die Bank Chemie-Kredit gegründet, der Elektronikriese Thomson gründete 1984 die Bank TCI, der Baustoffe- und Glaskonzern Saint-Gobain gründet 1989 seine Bank, Lafargue erwarb 1989 die Trans-Bank und der Bau- und Telekommunikations-Riese Bouygues erwarb ebenfalls 1989 seine eigene Bank. All diese Banken, die der breiten Öffentlichkeit nicht sehr bekannt sind, sind auf den Kapitalmärkten sehr aktiv.

Es gibt keine guten und schlechten Kapitalisten. Es gibt nur einen Kapitalismus, dessen Kapital sich ständig mit der Geschwindigkeit der Computer-Transaktionen von einem Bereich zum anderen verschiebt. Es ist dieser Kapitalismus insgesamt, den man enteignen muss.

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Das "Algo-Trading" oder: Wenn die Finanzjongleure jede Vernunft verlieren

Um die Absurdität eines Systems zu messen, wo die verblüffendsten Mittel der modernen Technik in den Dienst der Spekulation gestellt werden, kann man das Beispiel des "Algo-Trading" zitieren, ein System, das an allen Börsen der Welt entwickelt wurde, in dem die Transaktionen automatisch durch Computer in einigen Tausendsteln einer Sekunde ausgeführt werden.

Sie funktionieren wie folgt: Ultrahochentwickelte Computerprogramme lauern auf die Kauf- oder Verkaufsbefehle, die sie im Internet finden. Wenn ein Händler zum Beispiel eine Kauforder für 5 000 Aktien sendet, ereignet sich dies in einer Frist, die auf 30 Tausendstel einer Sekunde geschätzt wird, die zwischen dem Zeitpunkt wo die Kauforder im Internet gesendet wird und jenem, wo sie auf einem Finanzplatz ankommt. Während dieser Frist von dreißig Millisekunden kann ein Computerprogramm die Kauforder "auffangen", sie analysieren und daraus folgern, dass der betreffende Aktienkurs steigen wird, und daher so viel wie möglich von diesen Aktien zu kaufen. Wenn der Startbefehl an sein Ziel gelangt und der Kauf wirksam wird, steigt in der Tat der Preis dieser Aktie, und das Computerprogramm hat die Aufgabe, diese Aktien sofort zu einem leicht höheren Preis wieder zu verkaufen. Alles in weniger als eine Sekunde!

Diese Art von Operationen ereignen sich mehrere Millionen Mal pro Tag auf allen Märkten und erzeugen Profite, die am Ende des Jahres in die Milliarden gehen.