Die internationale Lage (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2013)

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Die internationale Lage
Dezember 2013

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2013 verabschiedet)

Die internationalen Kräfteverhältnisse

1. Die Wirtschaftskrise drückt der inneren Lage in allen Ländern ihren Stempel auf, wie auch den internationalen Beziehungen. Dies trifft offensichtlich auf die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten zu, deren Union im Rahmen der Europäischen Union oder dem engeren Rahmen der Euro-Zone regelmäßig durch die Erschütterungen der Spekulation auf die Staatsschulden in Bedrängnis gerät, gilt aber auch für die gesamten internationalen Beziehungen, die von der Entwicklung der Krise und ihren sprunghaften Erschütterungen betroffen sind.

2. Und dies für lange Zeit. Das lange Tief der kapitalistischen Weltwirtschaft war von zahlreichen und vielfältigen politischen Entwicklungen begleitet, deren generelle Richtung reaktionär war und geprägt von der Schwäche oder gar dem Verschwinden der klassenbewussten Arbeiterbewegung als politische Kraft, die eine andere Perspektive verkörperte als den bankrotten Kapitalismus. Die Krise hat diese Entwicklungen verschlimmert.

Die Auflösung der Sowjetunion hat der stalinistischen Strömung den Gnadenstoß gegeben. Sie ist als Urphänomen der aus der proletarischen Revolution von 1917 hervorgegangenen internationalen Arbeiterbewegung als kommunistische, durch die Entartung des Sowjetstaats in ihr Gegenteil verkehrte Strömung praktisch verschwunden.

Nachdem der Stalinismus eine entscheidende Rolle bei der Liquidierung der revolutionären Traditionen des Proletariats gespielt hat, nachdem er wesentlich dazu beigetragen hat, dass da Proletariat nirgends in der Lage war, die revolutionären Chancen zu ergreifen, obwohl diese sich in nicht geringer Anzahl boten, war er gezwungen, die politische Bühne mit eingezogenem Schwanz zugunsten immer reaktionärer werdender Kräfte zu verlassen.

Der fortschrittliche und zu weiten Teilen vom Stalinismus geprägte Nationalismus der armen Länder, der die Kämpfe vieler unterdrückter Völker gegen die Kolonial- oder Halbkolonialherrschaft durchzog, ist ebenfalls zugunsten reaktionärerer Kräfte zurückgewichen. Die Parteien an der Macht in China, Nordkorea, Vietnam oder Kuba führen zwar noch ein kommunistisches Firmenschild, haben aber nicht mehr dieselbe Anziehungskraft in den Augen der unterdrückten Völker wie früher.

3. Die Machtübernahme Khomeinis im Iran 1979 war ein Meilenstein in dieser Entwicklung. In der gesamten arabisch-muslimischen Welt konnte der politische Islam in einem gewissen Maße den Platz der Dritte-Welt-Bewegung einnehmen und die Folgen des immensen Elends und des Gefühls der Unterdrückung der ärmsten Schichten der Gesellschaft zu seinen Gunsten kanalisieren. Diese hatten die Perspektiven, die in der Zeit nach der russischen Revolution vom Kommunismus und in der Zeit nach dem Zeiten Weltkrieg von den kleinbürgerlichen nationalistischen Strömungen, die die Führung im Kampf gegen die Kolonial- bzw. Halbkolonialherrschaft übernahmen, verkörpert wurden, verloren.

4. Diese beiden Entwicklungen, die der Krise der kapitalistischen Wirtschaft und die im politischen und sozialen Bereich, sind in ständiger Interaktion. Die Krise in der Wirtschaft wird von den grundlegenden Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft bestimmt und die fehlenden revolutionären und kommunistischen Perspektiven lassen der Bourgeoisie freie Hand. Das Fehlen einer anderen Perspektive für die Gesellschaft als das Fortbestehen des Kapitalismus und der Herrschaft des Imperialismus über die Welt verstärken wiederum die Orientierungslosigkeit und Richtungslosigkeit der unterdrückten Massen.

5. In den reichsten imperialistischen Ländern ist ein Anstieg der rechtsextremen Strömungen zu beobachten, von der Front National in Frankreich bis zur Tea Party in den USA, über alle Gruppierungen, die mehr oder weniger vehement rassistisches und ausländerfeindliches Gedankengut verbreiten.

In den Ländern Osteuropas und des Balkans mit ihren verschiedenen, ineinander verflochtenen Völkern hat dieser aggressive Nationalismus bereits 1991 im ehemaligen Jugoslawien zu zehn Jahren Krieg 200.000 bis 300.000 Toten und einer Million Flüchtlingen geführt.

Der Auftrieb dieser sich gegenüber stehenden Chauvinismen droht auch in anderen Ländern Mitteleuropas und des Balkans: in Rumänien, der Slowakei, in Ungarn. In diesem nach den Launen der Kräfteverhältnisse zwischen den imperialistischen Lagern zerteilten Flickenteppich geht heftiger Nationalismus mit Irrendentismus einher, da jeder Staat Territorien seines Nachbars begehrt oder fürchtet, Opfer solcher Begehren zu werden.

In Afrika findet der Mangel an Perspektiven für die Gesellschaft seinen Ausdruck in heftigem Ethnizismus, der nach den interethnischen Konflikten in Liberia, in Sierra Leone, in Ruanda im Kongo weiter wütet und in vielen anderen Ländern wieder auszubrechen droht, wo die von außen aufgezwungene kapitalistische Entwicklung die Ethnien nicht in einem größeren Schmelztiegel zusammengeschmolzen hat.

6. Vor diesem Hintergrund verändern sich die internationalen Beziehungen. Die Beziehungen zwischen den USA als dominante imperialistische Macht und der Sowjetunion, die in den vier Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg Dreh- und Angelpunkt der internationalen Beziehungen waren, haben mit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion viel an Relevanz verloren. Aber nicht ganz.

Die Jahre unter Jeltsin waren katastrophale Jahre für Russland, das sich nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion selbst auseinander zu brechen drohte, während die bürokratischen Clans die Wirtschaft des Landes in Einzelteile zerlegt zu verhökern suchten. Die USA wurden damit zur einzigen "Supermacht" der Welt und nutzten die Gelegenheit um zu verhindern, dass Russland wieder zu einer Macht wird, die auf der internationalen Bühne zählt.

Die NATO hat sich nicht nur auf mehrere Ostblockländer, ehemalige Volksdemokratien, ausgeweitet, sondern auch auf die Balkanländer mit der Absicht, dort weitere ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine und Georgien zu integrieren.

7. Die relative Konsolidierung des Regimes unter Putin erhielt keine Möglichkeit, aus dem russischen Staat, dem Haupterben der verblichenen Sowjetunion, wieder eine Supermacht zu machen. Sie hat Russland allerdings wieder einen Sitz im Konzert der Großmächte verschafft. Russland bleibt eine Großmacht aufgrund seiner Größe, seiner Bodenschätze, seiner Militärmacht, aber auch weil es auf diplomatischem Gebiet im Spiel der Bündnisse von Beziehungen profitiert, die aus der Zeit der Sowjetunion stammen. Es ist in der Lage, eine internationale Politik seinen eigenen Interessen entsprechend zu führen, auch wenn sie von denen der USA abweichen oder ihnen sogar entgegenstehen. Das hat sich in der Syrien-Affäre erneut gezeigt.

8. Trotz ihres regelmäßig angekündigten und ebenso regelmäßig übertriebenen Verfalls bleiben die USA auch nach dem Verschwinden der Sowjetunion als Rivalin, mit der sie sich den Planeten zu teilen hatten, die weltbeherrschende imperialistische Macht. Sie ertragen die Folgen der Krise, die sie schwächen, sie sind sogar ihr Hauptfaktor. Sie sind jedoch die einzigen, die die Konsequenzen auf den Rest der Welt abwälzen können, darunter auch in einem gewissen Maße auf die anderen imperialistischen Länder. Sie haben diese Möglichkeit weil ihr Dollar weiterhin den internationalen Handel beherrscht und vor allem weil diese Vorherrschaft des Dollars die Vorherrschaft des amerikanischen Imperialismus auf die internationale Wirtschaft widerspiegelt. Die USA beherrschen den Produktionsapparat der Welt zu weiten Teilen. Die Kontrolle ihrer Trusts über die Unternehmen im Ausland ist dreimal größer als die der britischen Trusts, die direkt nach ihnen kommen.

Die großen amerikanischen Banken beherrschen das weltweite Bankensystem. Die USA bleiben bei Forschung und neuen Technologien an der Spitze.

Ihre Kriegsflotte ist auf allen Weltmeeren präsent. Ihre Militärbasen bilden ein feinmaschiges, den ganzen Planeten umspannendes Überwachungsnetz (ganz zu schweigen von ihren Spionagenetzen und ihrer Kommunikationsüberwachung, über die sich Staatsspitzen der anderen imperialistischen Mächte so lauthals aufregen, die gerne dasselbe täten, aber dazu nicht die Mittel haben). Die USA bleiben die Chef-Gendarmen der imperialistischen Weltordnung. Sie haben noch 60.000 Soldaten in Afghanistan, doppelt so viel wie zu Beginn der Präsidentschaft von Obama. Im Irak ist das Ende der amerikanischen Besetzung eine Fiktion, die Armee wurde einfach durch Vertragspersonal ersetzt. In den Stammesgebieten in Pakistan wie im Jemen führen die USA einen Krieg, der seinen Namen nicht nennt.

9. Heute nicht mehr als früher, sind die imperialistischen Mächte zweiten Ranges, insbesondere die in Europa, nicht in der Lage, den USA ihren Platz des vorherrschenden Imperialismus streitig zu machen.

Die Krise allgemein und die spekulativen Schübe im Besonderen haben die Grenzen dieser europäischen Union gezeigt, deren Befürworter behaupteten, dass sie mit ihrem Grundgebiet, der Anzahl ihrer Einwohner, ihrer industriellen Macht in der Lage sei, mit den USA zu rivalisieren oder ihnen sogar ihre Führungsrolle in der imperialistischen Welt streitig zu machen. Aber das kapitalistische Europa hat eben nur eine Scheinvereinigung zustande gebracht. Da er nicht in der Lage ist, sich einen vereinten Staat, eine vereinte Bourgeoisie zu geben, ist und bleibt der europäische Kapitalismus eine Aneinanderreihung von Kapitalismen mit Bourgeoisien, die zwar ihr Schicksal teilweise miteinander verknüpft haben, aber dennoch Rivalen bleiben. Jedenfalls die wichtigsten imperialistischen Mächte: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und in geringerem Maße die anderen Imperialismen Westeuropas.

10. Was die Länder im Osten Europas und auf dem Balkan betrifft, ob sie nun schon zur Europäischen Union gehören oder erst Anwärter sind, so sind sie zu einem Dasein als untergeordnete Regionen verurteilt, die den Gesetzen der Trusts der westeuropäischen Imperialismen unterstellt sind.

11. Innerhalb der so schlecht und so wenig vereinten Europäischen Union spielt jeder Imperialismus sein eigenes Spiel. Eine Offenkundigkeit für Großbritannien, das dazu steht und sogar eine Teilnahme an der Eurozone verweigert. Seine Politik ist von der Öffnung auf sein ehemaliges Kolonialreich und seinen privilegierten Beziehungen zum amerikanischen Imperialismus geprägt. Deutschland profitiert wiederum vom Ende des ehemaligen Ostblocks um seine Expansionspolitik gen Osten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union wieder aufzunehmen.

12. Frankreich bleibt eine zweitrangige imperialistische Macht, nicht nur in Bezug auf die USA sondern auch in Bezug auf seinen Partner und Rivalen Deutschland. Die französischen Großunternehmen und insbesondere die französischen Banken, Hotelgewerbe und Automobilhersteller haben jedoch an der Seite des deutschen Imperialismus einen großen Anteil an der Schröpfung der osteuropäischen Länder, einschließlich Griechenland.

Das kriegstreiberische Getue von Hollande zugunsten einer bewaffneten Intervention in Syrien solange dies die Absicht der amerikanischen Entscheidungsträger zu sein schien, dem dann ein jämmerlicher Rückzug folgte, sobald die USA sich für den Kompromiss entschieden hatten, der Assad gerettet hat, haben die Ambitionen des französischen Imperialismus gezeigt aber zugleich und mehr noch, dass er für seine Ansprüche nicht die Mittel hat.

13. Frankreich spielt hauptsächlich gegenüber seinem ehemaligen Kolonialreich die Großmacht und den Gendarmen der imperialistischen Ordnung. Unter der sozialistischen Regierung nimmt die imperialistische Politik Frankreichs besonders rachsüchtige Formen an, die in diesem Jahr durch die Intervention in Mali veranschaulicht wurde.

Die französische Armee greift sehr wahrscheinlich auch direkt oder über den Umweg von Truppen aus dem Tschad in Zentralafrikanischen Republik ein, wo der Fall von Bozizé und die Machtübernahme durch gewaffnete Banden zur vollständigen Zersplitterung des Staates geführt haben.

Im Übrigen hat die sozialistische Regierung trotz der zunehmenden Staatsverschuldung Frankreichs die imperialistische Politik aller ihrer Vorgänger übernommen. Dies trifft auf die Unterstützung von Alassane Ouattara in Elfenbeinküste zu, der mithilfe einer Intervention der französischen Truppen gegen Laurent Gbagbo an die Macht gekommen ist, obwohl sich Letzterer auf die "Sozialistische Internationale" berief!

Und das gilt ebenfalls für die Beibehaltung französischer Militärstützpunkte in einer Vielzahl afrikanischer Länder, die dort mehr oder weniger autoritäre und korrupte, aber dem französischen Imperialismus untergebene Regimes unterstützten. Das von der Sozialistischen Partei, als diese in der Opposition war, angeprangerte "Françafrique" (ein Begriff, der die neokolonialistische Politik von Frankreich gegenüber seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien beschreibt) hat noch schöne Tage vor sich!

14. Der erstarkte "Drang nach Osten" des Imperialismus, des deutschen natürlich, aber auch des französischen, verschärfen die konfliktgeladenen Beziehungen zwischen Europa. Russland, das versucht, separate Beziehungen mit dem, wie man es dort nennt "nahen Ausland", d. h. den aus dem Fall der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten, aufrecht zu erhalten, befindet sich in einem gedämpften Konflikt mit der Europäischen Union, mit der sie um den Einfluss auf die Länder am Rande Europas rangelt: Moldau und vor allem Ukraine sowie Georgien, Armenien, Aserbaidschan.

Die USA nach der Wiederwahl Obamas

15. Obama wurde also im November 2012 für weitere vier Jahre ins Amt des Präsidenten der USA wiedergewählt. Seine Wiederwahl erfolgte bei den Wählern ohne die Illusionen von 2008. Sie ist mehr der Arroganz der Republikaner, ihrer Verachtung für die "Bezieher von Unterstützung" (die Arbeitenden), ihrer Dienstbeflissenheit gegenüber der Großbourgeoisie - wenn sie nicht gerade selbst dazugehören - zu verdanken als Obamas Politik. Die Nichtwähler sind auf 48% der Wahlberechtigten gestiegen, um einiges mehr noch in den unteren Volksschichten und Obama hat vier Millionen Wähler verloren. Im Grunde unterscheidet sich seine Politik nicht von der der Republikaner: Kriege nach außen, milliardenschwere Rettungen von Banken und Großunternehmen, die er der arbeitenden Bevölkerung durch Einsparungen in den öffentlichen Diensten, Entlassungen sowie Kürzungen bei Löhnen und Sozialleistungen aufgedrückt hat.

16. Dass die Republikaner weder die Präsidentschaftswahlen noch die Senatswahlen gewonnen haben, liegt daran, dass ihre extrem reaktionäre Wahlkampagne einem Teil der Wähler Angst eingejagt hat der extrem-rechte Flügel der Partei, die "Tea Party", lastete auf der Kampagne und auf der Auswahl der Kandidaten, aber die meisten Kandidaten dieses Flügels für die Senatswahl wurden überstimmt. In der Abgeordnetenkammer haben die Republikaner weniger Stimmen erhalten als die Demokraten aber mehr Sitze, dank der ausgeklügelten Abgrenzungen der Wahlbezirke, die die Republikaner in den 26 Staaten in ihrer Hand vorgenommen haben.

17. Die Verschuldung des Föderalstaats erreicht nunmehr rund 17.000 Milliarden Dollar, mehr als die Verschuldung aller anderen Staaten der Welt zusammen. Dieses Schuldenloch wurde von den Tausenden Milliarden Dollars gegraben, die seit 2007 in die Wirtschaft gepumpt wurden, insbesondere, um die großen Finanzhäuser flott zu halten. Republikaner und Demokraten haben sich rund um diese kolossale Verschuldung mehrmals spektakulären Politikerstreits hingegeben, die dazu bestimmt waren, die Bevölkerung auf neue Opfer einzustimmen. Denn darin sind sie sich einig, dass sie mehr verlangen werden. Die Republikaner verlangen systematisch Einsparungen in den öffentlichen Diensten und Sozilausgaben, aber die Demokraten folgen ihnen darin in den allermeisten Fällen. Gemeinsam haben sie die Steuer erhöht und gleichzeitig Einsparungen in tausenden Gesundheitsprogrammen- und Diensten, im Bildungswesen, bei öffentlichen Aufträgen, im Umweltschutz, Arbeitsschutz, Lebensmittelsicherheit, Arzneimittelsicherheit usw. vornehmen. Zu den letzten Einschnitten gehören Kürzungen des Arbeitslosengeldes von Langzeitarbeitslosen und die Streichung der Stellen von zehntausenden Lehrern und öffentlichen Angestellten. Sie haben die Gehälter von hunderttausenden bundesstaatlichen Angestellten verringert, indem sie ihnen Kurzarbeit ohne Lohnausgleich aufgedrückt haben. Sie wollen die föderalen Programme für Rentner kürzen, ihre Gesundheitsversicherung wie ihre Rentenversicherung.

18. Zugleich verteilen sie Steuergeschenke noch und nöcher an die Reichen und die großen Unternehmen. Die großen Unternehmen (Amazon, Google, Apple, usw.) bezahlen aufgrund der "Steueroptimierung", will heißen Geschäftssitze in Steuerparadiesen überall auf der Welt... oder den USA selbst wie den Staaten Delaware, Nevada oder New Jersey, in denen mehr Firmen sitzen als Einwohner leben, lächerliche oder gar keine Steuerbeträge. Viele Großunternehmen und Banken zahlen heute kaum oder gar keine Steuer auf Bundesebene und manche erhalten sogar Milliarden Dollar Steuerrückzahlungen.

19. Und letztlich hat die Regierung tausende Milliarden Dollar in zwei lange Kriege - Irak und Afghanistan - sowie in all die Kriege gesteckt, die sie auf allen Kontinenten zugunsten der Ölkonzerne, Waffenkonzerne und Banken unterhält.

20. In der Presse ist regelmäßig vom "Aufschwung" in den USA zu hören. Dabei ist die offizielle Arbeitslosenquote leicht gesunken (7,5% gegen 12% in Europa), aber es scheint, dass dies vor allem darauf zurückzuführen ist, dass viele Arbeitslose die Arbeitsuche aufgeben und so aus den Statistiken verschwinden. Ein Zeichen dafür ist die Teilnahmequote am Arbeitsmarkt (die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung), die mit 63,5% auf die niedrigste Quote seit Ende der 70er Jahre gesunken ist. Die Bundesregierung vertut sich da nicht: Trotz der kolossalen Verschuldung pumpt sie weiter jeden Monat 85 Milliarden Dollar in das Finanzsystem. In Wirklichkeit weiß die Bundesregierung auch nicht besser als jeder andere, ob es einen Aufschwung geben wird.

21. Das Großbürgertum häuft weiterhin Vermögen an. Die Großbanken machen Rekordprofite; die Automobilherstellung nähert sich historischen Rekordzahlen und die Automobilhersteller, von denen 2009 einige Konkurs angemeldet hatten, machen wieder Profite, die sie mittels einer übermäßigen Ausbeutung der Arbeitenden erzielen: Millionen mehr Autos wurden mit hunderttausenden Arbeitern weniger und halbierten Löhnen und Sozialleistungen hergestellt.

22. Der Bankrott der Stadt von Detroit ist ein Beispiel für den Krieg, den das Großkapital im ganzen Land gegen die Arbeitenden und die Ärmsten führt. Die einst blühende Stadt wurde von ihren eigenen Ausgaben zur Unterstützung der großen Unternehmen (Grundstücke, Infrastruktur, Geschenke an die Bauträger) ruiniert, sowie von den Kapitalisten der Autoindustrie, die Kahlschläge in die Belegschaften geschlagen haben, um ihre Profite zu erhalten bzw. zu erhöhen. Der vom Gouverneur eingesetzte Bevollmächtigte soll im Prinzip die Finanzen der Stadt sanieren, aber es geht vor allem darum, sicherzustellen, dass die Schulde an die Banken und großen Gläubiger zurückgezahlt werden, und wenn die Bevölkerung dafür ausgeblutet und alle öffentlichen Dienste verkauft werden müssen oder die Stadt ihre Angestellten um ihre Rente und ihre Krankenversicherung bringt. Von den 18 Milliarden Dollar Schulden der Stadt werden 9 der Rentenkasse der Stadtangestellten und der Krankenversicherung der Stadtangestellten im Ruhestand geschuldet; genau diese Schulden würde die Bourgeoisie gerne nicht zurückzahlen.

23. Mit dem Fall Detroit - der größten Stadt, die je pleite gemacht hat - nehmen die reichen Klassen alle amerikanischen Arbeitenden. Viele Städte sind aus denselben Gründen verschuldet, und überall pressen die Stadtverwaltungen ihren Angestellten Opfer ab - Entlassungen, Lohnsenkungen, unbezahlte Kurzarbeit, Einschnitte in ihre Krankenversicherungen und/oder Renten - und beschließen Kürzungen in allen öffentlichen Diensten. Das Verhalten der Stadtverwaltung von New York, als die Stadt vom Zyklon Sandy getroffen wurde, war bezeichnend: die Einwohner des am meisten von dem Zyklon getroffenen Teils der Stadt wurden sich selbst überlassen, und blieben mehrere Tage abgeschnitten, während die Behörden sich beeilten, die Börse wieder in Gang zu bringen.

24. Überall pumpen die Gier und der Parasitismus der Bourgeoisie die öffentlichen Kassen leer und sähen Verwüstung und Ruinen. Die reichsten 20% reißen 84% des Nationalreichtums an sich, während sich die ärmsten 40% nur 0,5% dieses Reichtums teilen. Die Immobilienkrise, die ganze Stadtviertel zerstört hat, ist noch nicht zu Ende. Familien werden aus ihren Wohnungen geräumt und die Banken, die sich jede Menge enteignete Häuser unter den Nagel gerissen haben, verkaufen sie nicht, bevor die Preise wieder steigen, so dass es noch immer genauso schwierig ist, eine Wohnung zu finden.

25. Was die große Reform von Obama betrifft, die der Krankenversicherung, so handelt es sich in erster Linie um ein Geschenk an die Versicherungen, denen Millionen neue Kunden zuströmen werden. Aber die Rückzieher Obamas, der die Pflicht der Unternehmen, ihre Arbeitnehmer zu versichern verschoben hat und die Staaten in der Hand der Republikaner, die die Umsetzung der Reform verweigern, gewähren lässt, führen dazu, dass rund 30 Millionen Menschen noch immer keine Krankenversicherung haben. Die Übrigen haben die Möglichkeit niedriger Versicherungsbeiträge, aber ihr Versicherungsschutz ist dann minimal und sie müssen dennoch so hohe Kosten tragen, dass einige trotz Versicherung immer noch auf ärztliche Behandlung verzichten werden, denn die Versicherung wird Pflicht und Geldstrafen unterstellt.

26. Vor diesen Offensiven der Bourgeoisie wollen sich die Gewerkschaftszentralen, sehr weit davon entfernt, den Arbeitenden zu helfen, sich zu wehren, vor allem zeigen, dass sie loyale Partner der Wirtschaftsbosse sind und bemühen sich, die Arbeitenden zu überzeugen, die Opfer zu akzeptieren. Diese Politik schwächt sie natürlich, umso mehr als in einer Reihe von Staaten in der Hand der Republikaner die Gouverneure zum Angriff übergangen sind, um Gesetze verabschieden zu lassen, die der automatischen Einbehaltung der Gewerkschaftsbeiträge durch die Arbeitgeber ein Ende setzen.

Die Europäische Union im Wahljahr

27. Was Europa betrifft, so werde die Europawahlen das politische Ereignis des Jahres sein. Das ist das marktschreierischste Teil des Demokratischen Dekorums rund um den europäischen Aufbau.

Die Wähler aller Länder der Europäischen Union werden zur gleichen Zeit aufgefordert sein, dieses europäische Parlament zu wählen, das einer Wortfabrik gleicht und ebenso wenig Macht hat wie die nationalen Parlamente der bürgerlichen Demokratie.

Wir betrachten die Europawahlen als Teil derselben Wahlsituation wie die Gemeindewahlen, in denen wir mit denselben Schwerpunkten auftreten werden, um "dem Lager der Arbeitenden" eine Stimme zu verleihen, aber wir werden natürlich auch zur Europäischen Union Stellung nehmen.

28. Wir werden unsere Opposition nicht gegen die Union und auch nicht gegen Europa ausdrücken, sondern gegen die Tatsache, dass die von den Bourgeoisien einer Reihe von Ländern geschaffenen Institutionen weder eine Union noch Europa sind. Der Grund für Bestehen dieser Union ist der Kapital- und Warenverkehr. Das Schicksal der Roma zeigt, wie weit es mit der Freizügigkeit der Personen her ist. Von Europa zu sprechen, ist Betrug, da über die Hälfte des Gebiets Europas und ein Drittel der Bevölkerung nicht zur Europäischen Union gehören.

Die Union ist gefälscht und bleibt eine Gruppierung von Staaten, von denen bestimmte, imperialistische Staaten die Oberhand über andere haben und deren widerstreitigen Interessen nicht verschwunden sind. Europa hat heute mehr Grenzen als vor rund sechzig Jahren, als die Grundsteine der Europäischen Union gelegt wurden. Und die Vermehrung dieser Grenzen hat die Probleme der nationalen Minderheiten nicht behoben sondern im Gegenteil verschlimmert.

29. Wir werden in diesen Wahlen wie bei den letzten Wahlen wiederholen, dass die Vereinigung Europas auch auf kapitalistischer Basis ein Fortschritt gewesen wäre. Dass aber die Bourgeoise eben in keinem Bereich mehr zu einer fortschrittlichen Politik fähig ist.

Wir werden erneut sagen, dass wir gegen die nationalen Grenzen und die protektionistischen Barrieren sind, die Europa und seine Wirtschaft zersplittern.

Gegen alle Formen chauvinistischer Demagogie, ob offen oder verdeckt, gegen den Protektionismus, der nur die kapitalistischen Interessen schützt, nicht die der Ausgebeuteten, werden wir die Überzeugung äußern, dass "Proletarier kein Vaterland haben"

Wir werden sagen, dass der Sinn dieses Kampfes für den Kommunismus die Enteignung des Großkapitals ist und dass die Zukunft eines Europas ohne Diktatur des Kapitals die Abschaffung der Grenzen, ein vereintes Europa aber ohne Stacheldrahtzäune rundherum und offen für die Welt, bedeutet. Wir werden sagen, dass Kommunist zu sein bedeutet, Internationalist zu sein, da die Gesellschaft der Zukunft ohne Privateigentum und Ausbeutung nur im internationalen Maßstab zu verwirklichen ist.

Was die gesamten Forderungen im Rahmen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft betrifft, so bevorzugen wir solche, die die Kämpfe der Arbeiterklasse vereinen und lehnen solche ab, die sie entzweien, und ganz bestimmt solche, die eine Hierarchie zwischen den Völkern aufstellen.

Russland

30. Seit 2007-2008, haben die jüngsten Geschehnisse der Weltwirtschaftskrise wieder auf die Tagesordnung gesetzt, was aus der ehemaligen Sowjetwirtschaft geworden ist. Von einer Schar von Parasiten geplündert und verwüstet, verrottet sie weiter. Ohne dass, über zwanzig Jahre nach dem Verschwinden der UdSSR, des Staatseigentums und der Planwirtschaft, irgendetwas die Wirtschaft im Maßstab dieses riesigen Landes hätte ankurbeln können- und ganz bestimmt nicht die "Privatinitiative", ein anderes Wort für die kapitalistische Profitgier.

31. Die privaten produktiven Investitionen sind am Nullpunkt: Großprojekte, die von der öffentlichen Hand, die dazu gar nicht in der Lage ist, getragen werden, aber altersschwache Fabriken, deren Produktionskosten mittlerweile so hoch sind, dass die Waren, die sie produzieren, teurer sind als ihre im Ausland produzierten Gegenstücke. Dabei sind diese Fabriken die Motoren der russischen Wirtschaft.

32. Wird die Regierung also wieder ankündigen, da gemäß Medwedev "die Zeit der einfachen Entscheidungen vorbei ist", sie mit diesen "Strukturreformen" beginnen werden, die ihr der FMI oder die Weltbank noch kürzlich vorgeworfen hat, verschoben zu haben.

33. Die Entscheidung ist nicht so "einfach", wenn das Kapital nicht mitzieht. Denn, die Zypernpleite hat mit Nachdruck daran erinnert, dass die reichen Russen, Bürokraten und Bürger aller Arten zusammen, weiterhin einen Großteil dessen, was sie in diesem Land abschöpfen, in Steuerparadiese verfrachten.

34. Zu entscheiden, die als so genannten unrentablen Fabriken zu schließen, ist auch nicht einfach, auch wenn es in Russland dafür nicht an Vorbildern mangelt. Da ganze Städte - diese hunderten "Monostädte", eigentlich Monoindustrien, die das Grundmuster der industriellen Entwicklung in de Sowjetzeit waren - von ihnen leben, drohen bei Schließungen soziale Explosionen. Und man darf nicht vergessen, dass diese Industriestandorte, so altersschwach wie sie sind, in vielen Fällen eine der Haupteinnahmequellen für eine Schar lokaler Bürokraten sind und vor allem für gesellschaftliches und politisches Gewicht bürgen.

35. Der Kreml, der mit den Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise zu kämpfen hat, und vorsichtig versucht, Einsparungen zu erzielen, fängt an, Sparmaßnahmen zu treffen und Haushaltskürzungen vorzunehmen. Eingefrorene Gehälter für 1,5 Millionen Beamte, während die Inflation (rund 7%) weiter steigt; höhere Preise für öffentliche Dienstleistungen; Einführung eines Quotensystems für den Strom- bzw. Wasserverbrauch, was Privatisierungen und höhere Rechnungen für die Bevölkerung nach sich zieht...

36. Seitdem Putin an der Macht ist (Anfang 2000), beruft sich das Regime offen auf den Nationalismus, auf die Manen des zaristischen Großrusslands oder die Erinnerung an die sowjetische Großmacht zur Zeit Stalins, um zugleich sein Prestige aufzupolieren und die Bevölkerung vergessen zu machen, dass der Zusammenbruch der UdSSR nur 10% der Bevölkerung etwas eingebracht hat (Schätzung der Akademie der Wissenschaften, Russland).

37. Das Pogrom von Birjuljowo (Moskau) zeigt, nach anderen ähnlicher Art, welche konkreten Formen die fremdenfeindliche offizielle Propaganda annimmt und wie es den Behörden in den Kram passt, die Wut der Bevölkerung auf "ausländische" Sündenböcke zu richten, aus Angst, sie könnte sich gegen die Machthaber und Reihen wenden, hochgestellte Bürokraten oder Bourgeois.

38. Putin scheint es gelungen zu sein, die Proteste gegen den Kreml, die 2011-2012 eine massive aber passive Unterstützung bei der kleinen oder mittleren städtischen Bourgeoisie gefunden hat. Er konnte sich den Luxus leisten, Nawalny freizulassen, Galionsfigur der Demonstrationen in 2011-2012, der sich so für die Gemeindewahlen in Moskau aufstellen kann, die im September 2013 stattgefunden haben. Er wurde breit, und scheinbar ohne allzu viel Geschummel vom amtshabenden Bürgermeister, geschlagen, dem Kandidaten der Regierung. Der Protest der Kleinbürger der Hauptstadt hat keinen starken Ausdruck in den Urnen gefunden.

39. Die Reaktivierung des Drangs der Europäischen Union, und der imperialistischen Mächte allgemein in Richtung bestimmter, aus der UdSSR hervorgegangener Staaten (Ukraine, Armenien, Georgien...) konnte Putin in seiner Pose des Verteidigers der von allen Seiten bedrohten russischen Gemeinschaft nur stärken.

40. Das Tauziehen zwischen Moskau und Kiew, wo man versucht war, eine Bündnisvereinbarung mit der Europäischen Union zu unterzeichnen, während der Kreml die Ukraine mit in ihre Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan eintreten sehen wollte, erinnert daran, dass die "Blockpolitik" in der UdSSR nicht der Vergangenheit angehört.

41. Der Kreml, der keinerlei Schwierigkeiten hat, zu zeigen, dass die imperialistischen Staaten die Hauptverantwortlichen für diese Spannungen sind, benutzt das, um seine eigene Stellung im Innern zu stärken. Das hat dazu beigetragen, einen Teil der rechten und kleinbürgerlichen Opposition zum Schweigen zu bringen. Mit den Auswirkungen, auch den indirekten, der Weltwirtschaftskrise ist es wahrscheinlich, dass dies auch die Verfassung der Arbeiterklasse drückt, die weniger Arbeitskämpfe führt als in den vergangenen Jahren.

China

42. Die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft hat sich 2013 bestätigt. Während das BIP seit 1990 um 10% pro Jahr anstieg, hat sich dieses Wachstum jetzt auf 7,5% verlangsamt. Das ist insbesondere auf die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die chinesischen Exporte zurückzuführen, die 2007 36% darstellten (26% in 2009). Aber selbst diese Zahlen sind wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs aus versteckten Schulden, anfälligen Banken und Immobilienspekulationen.

43. Die Kreditblase ist weiter gewachsen. Seit 2007, haben sich die Kreditbestände der Banken mehr als verdoppelt. Zwar bleibt die Verschuldung des Zentralstaats (14% des BIP) im Vergleich zu der Verschuldung der westlichen Länder gering, aber diese Zahl ist eine Täuschung. Seit 2008 hat der Staat beachtliche Summen in die Wirtschaft gepumpt. Es ist seit langem bekannt, dass er weder die Kreditaufnahmen der lokalen Gebietskörperschaften noch die von manchmal schwer verschuldeten Behörden (wie z. B. das Eisenbahnministerium) mitrechnet, was eine Gesamtverschuldung von 45% ergäbe. Darüber hinaus haben die Gebietskörperschaften undurchsichtige Finanzierungsstrukturen geschaffen, die "Finanzierungsplattformen der lokalen Regierungen", von denen die Zentralregierung sagt, dass sie unmöglich aufzudröseln seien, womit sie zugibt, dass sie nicht in der Lage ist, diese versteckten Schulden zu beziffern.

44. Die Immobilienspekulation ist seit Jahren hoch. Dass das Land beinahe 60% des weltweit erzeugten Zements verbraucht und 43% der Baustoffe, so nicht nur aufgrund der anwachsenden städtischen Bevölkerung.

Die Presse berichtet über die Vermehrung von "Geisterstädten" wie Kangbashi, ein Stadtviertel der Stadt Ordos, in der Inneren Mongolei, die für eine Million Einwohner gebaut wurde, aber nur 30.000 Einwohner zählt. Rund 70 Millionen Wohnungen seien unbewohnt, Autobahnen und Flughäfen unterbenutzt. Der Bauboom geht trotzdem weiter, genau wie zuvor in den USA oder in Spanien. Wie ein Spezialist erklärte: "der Immobiliensektor muss wohl oder übel weiterfinanziert werden, und dafür müssen Investoren angelockt werden, indem man ihnen Anlagemöglichkeiten mit überdurchschnittlichen Zinsen anbietet". Die Frage ist nicht so sehr, ob diese Blase platzen wird, sondern vielmehr wann, und welche Folgen das haben wird.

45. Sicher, der Aufstieg Chinas auf der Weltbühne geht weiter: Das Land ist der größte Erzeuger von Kohle, Stahl, Aluminium, Dünger, Zement, Textilien, Fernsehapparaten, Computern, Telefonen, usw. China ist volumenmäßig die zweigrößte Volkswirtschaft der Welt und besitzt die höchsten Devisenreserven der Welt. Wenn man diese Größen auf seine riesige Bevölkerung zurückrechnet, bleibt das Pro-Kopf-BIP jedoch bescheiden, je nach Berechnungsart zwischen 5.400 und 7.600 Dollar pro Jahr, womit sich China auf Platz 90 der Weltrangliste befindet, hinter der dominikanischen Republik, Tunesien oder Albanien.

46. Wir hatten bereits Gelegenheit, die Rolle des Etatismus in der vergangenen und gegenwärtigen Entwicklung der chinesischen Wirtschaft zu betonen. Der Staat hat unter Mao Tse-tung nicht nur die Grundlagen für die Entwicklung gelegt, nicht nur den Produktionsaufschwung seit Deng Xiaoping geleitet, sondern spielt weiterhin eine entscheidende Rolle in allen Bereichen der Wirtschaft. Er legt die Bankzinsen fest und den Währungskurs auf dem Weltmarkt. Er legt in Wirklichkeit die Preise und die Verteilung der wesentlichen Produktionsfaktoren fest. Vier große Banken in staatlicher Hand kontrollieren allein die Hälfte aller Bankaktiva, während die anderen Kreditinstitute oft mit den Gebietskörperschaften verbunden sind. Der Staat kontrolliert den Hauptteil der Landressourcen sowie alle großen Unternehmen. Mehrere Analysen betonen sogar, dass die staatliche Kontrolle seit Beginn der Krise 2008 zunimmt. Der Staat, der eine stabilisierende Rolle spielt, ohne die das Land von der chinesischen Bourgeoisie auseinander genommen würde, wie es vor 1949 der Fall war, achtet weiterhin auf eine gewisse nationale Entwicklung.

47. Dieser Einfluss des allgegenwärtigen Staates in allen wichtigen Bereichen der Gesellschaft steht keinesfalls im Widerspruch zu der Bereicherung der chinesischen Bourgeoisie. Die Handelskreise und die aufgeblähte Kaste der politischen und administrativen Verantwortlichen sind eng ineinander verflochten, um nicht zu sagen miteinander verschmolzen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der Leiter des Flugzeugkonstrukteurs Cornac ist auch der Gouverneur der Provinz Hebei; der ehemalige Präsident der größten chinesischen Autofirma wurde stellvertretender Gouverneur der Provinz Jilin; der Patron von Chinalco (China Aluminium Company) wurde Vizepräsident des Staatsrats (Vize-Premierminister) usw. China hat nie aufgehört, ein bürgerlicher Staat zu sein, auch nicht nach 1949. Aber während die Bereicherung der Kader und Privilegierten des Regimes in der maoistischen Zeit versteckt und streng bemessen war, so ist er geschieht sie jetzt unverblümt und ohne Einschränkungen.

48. Die Nachfolge an der Staatsspitze, die auf dem Kongress der Kommunistischen Partei (KPCh) im November 2012 zur Kenntnis genommen wurde, ist wie geplant im März 2013 erfolgt. Höchstens schimmert manchmal das Ergebnis von Kämpfen zwischen Cliquen und Individuen unter den Führern des Landes durch, wie beim Prozess von Bo Xilai. Dieser aufsteigende Stern und Sohn eines Helden der maoistischen Revolution wurde zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe wegen "Korruption, Veruntreuung und Machtmissbrauch" verurteilt, nachdem er sich in seiner Zeit als Leiter der Partei in Tschungking eben genau den Ruf eines Streiters gegen die Korruption geschaffen hatte. Keiner kann daran zweifeln, dass hinter seinem Prozess eine Abrechnung zwischen Mitgliedern der Führungsspitze steckt. Die Korruption wird umso mehr von den offiziellen Persönlichkeiten angeprangert als sie auf allen Ebenen der Macht zu finden ist, vom Bürgermeister einen kleinen Stadt bis zum Staatschef, in unterschiedlichen Proportionen natürlich. Der ehemalige Premierminister Wen Jiabao hat zehn Jahre lang Erklärungen über Erklärungen gegen die Korruption und für die soziale "Harmonie" abgegeben; nun ist bekannt, dass er mit seiner Familie, den Wen, rund 2,1 Milliarden Euro Vermögensgüter angehäuft hat. Was den neuen Präsidenten der Volksrepublik, Xi Jinping, ebenfalls ein "roter Prinz" (wie man die Söhne der Führer des Regimes nennt), betrifft, so besaß seine Familie bereits bevor er an die Macht kam, mehrere Luxus-Anwesen in Hon Kong und dutzende Millionen Dollar in verschiedenen Geschäften. Zu den Führungskreisen zu gehören, bürgt für persönliche Bereicherung.

49. Das chinesische Wachstum beruhte in den letzten 30 Jahren vor allem auf der übermäßigen Ausbeutung der chinesischen Arbeiterklasse und der Eingliederung von rund 300 Millionen verarmten Menschen vom Land. Die amerikanischen, europäischen und asiatischen multinationationalen Konzerne pressen weiterhin einen beachtlichen Mehrwert aus dem Proletariat des Landes, aber die mittlere und Großbourgeoisie dieses Landes bereichert sich auch sehr schnell. Die Arbeiterklasse zahlt weiterhin einen hohen Preis für die Industrialisierung und Urbanisierung des Landes und das auf vielfältige Weise: unendlich lange Arbeitstage, keine freien Tage, körperliche Bestrafungen, arbeitsbedingte Vergiftungen, Arbeitsunfälle, amputierte Löhne durch Abzüge, verspätete Bezahlung, Entlassungen, usw. Dazu kommen die Umweltverschmutzung, die Gesundheitsschutz- und Nahrungsmittelskandale, die Enteignungen in Verbindungen mit Industrie- und Bauprojekten.

50. Die Kämpfe der chinesischen Arbeiterklasse, die größte der Welt, lassen sich schlecht einschätzen. Diese Kämpfe sind auf jeden Fall schwierig aufgrund der politischen Repression und des Einvernehmens zwischen der Einheitsgewerkschaft, den Arbeitgebern und den Behörden. Verschiedene Echos zeugen jedoch von der Vermehrung der Kämpfe und Streiks in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Löhne. Und dass die Löhne in den am meisten industrialisierten und am dichtesten bevölkerten Küstenregionen um rund 15% pro Jahr steigen, lässt sich nur dadurch erklären. Allerdings kommt keine noch so minderheitliche politische Perspektive zum Vorschein, die den Interessen des Proletariats entspräche. Eine solche existierte einst in China, wurde aber mit der Unterdrückung der trotzkistischen linken Opposition unter Tschiang Kai Scheck in den 1930er Jahren und unter Mao in den 1940er Jahren vernichtet. Letztendlich hängt die Zukunft des chinesischen Proletariats von der Auferstehung dieser Tradition ab.

Nach dem "arabischen Frühling", die Reaktion auf dem Vormarsch in Tunesien und Ägypten

51. Beinahe drei Jahre sind vergangen seit dem Beginn des so genannten "arabischen Frühlings". In den betroffenen Ländern erweist sich der demokratische Übergang, den er bringen sollte, als Fata Morgana. Wenn damals Hoffnungen in der einfachen Bevölkerung geweckt wurden, so wurden sie größtenteils enttäuscht.

52. Tunesien, das sich als erstes Land seines Diktators Ben Ali entledigt und den Startschuss für die Bewegungen des "arabischen Frühlings" gegeben hatte, befindet sich mitten in einer politischen Krise. Die Ermordung von zwei linken Aktivisten in weniger als sechs Monaten hat die Regierung, in der die islamistischen Partei Ennahda dominiert, und die der Komplizenschaft bezichtigt wird, in Schwierigkeiten gebracht. Aber die Krise spielt sich vor dem Hintergrund einer tiefen sozialen Krise ab. Die Armut nimmt für den Großteil der Bevölkerung immer weiter zu, die immer öfter wütend demonstriert, während das politische Regime an Glaubwürdigkeit verliert.

53. Aber in Ägypten ist die Entwicklung am aussagekräftigsten und aufgrund der Größe des Landes und seiner zentralen politischen Rolle in der arabischen Welt auch am entscheidendsten. Der Staatsstreich am 3. Juli dieses Jahres hat der Regierung der Muslimbrüder unter der Führung von Mohammed Mursi ein Ende gesetzt. Die Armee, die nach der riesigen, von der Tamarod-Bewegung ("Rebellion") organisierten Demonstration am 30. Juni, die die Absetzung von Mursi verlangte, gehandelt und konnte ihr Handeln so als Erfüllung des Volkswillens darstellen. Sie wurde dabei von den linken politischen Kräften, wie den nicht konfessionellen oder einfach liberalen Nationalisten, unterstützt, die seit 2011 innerhalb und außerhalb Ägyptens dazu beigetragen haben, die Armee als Vollstreckerin des Volkswillens darzustellen. Zwar sind die einfachen Soldaten der Bevölkerung, aus der sie stammen, tatsächlich sehr nahe, aber wie in jeder Armee, liegen die Entscheidungen nicht bei ihnen sondern beim Generalstab. Und der hat natürlich andere Ziele als sich für die Interessen der ärmsten Volksschichten einzusetzen.

54. Dass Mubarak im Februar 2011 die Regierung verlassen und von einem obersten Rat der Streitkräfte ersetzt wurde, der den Weg zur Demokratie öffnen sollte, war das Ergebnis einer Absprache zwischen der Armeeführung und den Führungskreisen des amerikanischen Imperialismus. Es ging darum, sich eines von der Bevölkerung verachteten und ganz offensichtlich politisch verbrauchten Diktators zu entledigen und so umso besser das Wesentliche zu retten. Das war einer der besten Wege, die man gefunden hatte, um zu vermeiden, dass die Bewegung in der Bevölkerung, die unter der allgemeinen Losung "Hau ab" begonnen hatte, zu einem Zerfall der Staatsmacht führt und schließlich wirklich in einer Revolution endet, in der die unterschiedlichen Klasseninteressen einen politischen Ausdruck hätten suchen können.

Der Rücktritt Mubaraks war hingegen der Beginn der Operation, die es der Armee ermöglicht hat, sich wieder einmal als "Retter des Volkes" auszugeben, einen Teil der in den letzten Jahren verlorenen Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen und die Situation im Interesse der ägyptischen und Bourgeoisie und des Imperialismus wieder in den Griff zu bekommen. Die Armee hat die Macht im Übrigen nie wirklich verlassen, selbst als ein Vertreter der Muslimbrüder bei den Wahlen im Juni 2012 zum Präsidenten gewählt wurde und versucht hat, die sichtbarsten Elemente des Generalstabs durch Männer seiner Wahl zu ersetzen.

Die Tiefe der wirtschaftlichen und sozialen Krise hat zu einer schnellen Diskreditierung der Mursi-Regierung geführt. Dieser erschien mehr damit beschäftigt, seine eigenen Truppen zu befriedigen, die die sofortige Anwendung der islamistischen und fundamentalistischen Regeln verlangten, als damit, einen Ausweg aus einer Krise zu finden, die für die Bevölkerung dramatische Folgen hat. Das erklärt wahrscheinlich den Erfolg der Kampagne der Tamarod-Bewegung für die Absetzung Mursis. Diese Kampagne wurde natürlich von der Armee unterstützt, auch wenn es von hier aus schwierig ist, in welchem Ausmaß, und in welchem Maße diese Unterstützung entscheidend war.

55. Der Staatsstreich vom 3. Juli war natürlich ein Meilenstein im Konflikt zwischen der Armee und der Muslimbrüderschaft, d. h. zwischen den beiden Kräften, deren Rivalität seit Jahren das Muster der politischen Geschichte in Ägypten vorgibt. Auf die von den Muslimbrüdern organisierten Gegendemonstrationen entgegnete die Armee mit einer schrecklichen Repression, die unter den Partisanen der Bruderschaft ein echtes Blutbad angerichtet und das Land in ein Bürgerkriegsklima gestürzt hat.

Über die Abrechnung mit den Muslimbrüdern hinaus, entsprach der Staatsstreich einem grundlegenderen Problem der ägyptischen Bourgeoisie und des Imperialismus. Seit mehreren Jahren und sogar vor dem Rücktritt Mubaraks hat in Ägypten eine Zeit der sozialen Instabilität begonnen. Die vermehrten Streiks haben gezeigt, dass ein Teil der Arbeiterklasse ihre elende Lage nicht mehr ertrug und sich hinreichend stark fühlte, um Verbesserungen zu fordern, dabei aber auf einem rein ökonomischen Terrain blieb. Zu dieser Situation kam die Agitation eines Teils des Kleinbürgertums hinzu, das die Diktatur Mubaraks nicht mehr ertrug und dies auch wissen ließ.

56. Nun können die Machthabenden zwar erwägen, diesem Kleinbürgertum ein wenig oberflächliche Genugtuung zu gewähre, aber die Forderungen der breiten Volksmassen können sie nicht befriedigen. Die Gier der ägyptischen Bourgeoisie, die Weigerung des imperialistischen Großkapitals, auch nur auf einen Teil ihrer Profite zu verzichten, macht das unmöglich. Das wichtigste Ziel der neuen Militärregierung ist somit, sich den aufkommenden Forderungen der Volksmassen entgegenzustellen, und sie wenn möglich zu zerschlagen.

Im Übrigen ist die Armee unter, vor oder nach Mursi immer gegen die Streiks und spontanen Bewegungen der ägyptischen Arbeitenden vorgegangen. Selbst wenn sie versucht, sich des politischen Kredits zu bedienen, den sie in der Operation vom 3 Juli gewonnen hat, um die Arbeitenden hinzuhalten, wird die Armee auch nicht und immer weniger vor einer direkten Repression zurückschrecken. Nach den Zusammenstößen im August hat die neue Regierung eine Ausgangssperre verhängt und den Notstand ausgerufen. Dieser könnte andauern, wie er unter Mubarak über dreißig Jahre lang angehalten hat, und das richtet sich nicht gegen die Muslimbrüder.

57. Der Staatsstreich vom 3. Juli schützt die Bevölkerung nicht einmal gegen die Versuche der Religionsverfechter, ihr Gesetz aufzuzwingen. Er wurde offen von Saudi-Arabien unterstützt, das mit den Muslimbrüdern rivalisiert, und der Anführer des Staatsstreichs, der General Al-Sisi wird nichts tun, das Saudi-Arabien nicht passen könnte. Im Übrigen ist die Repression gegen die Demonstrationen der Muslimbrüder durch die Armee weit davon entfernt, die Gefahr, die von dieser reaktionären und obskurantischen Organisation ausgeht, abzuwenden. Die Bruderschaft hat sich tief in die Bevölkerung eingepflanzt, insbesondere über die Sozialhilfe-Organisationen, die von ihr kontrolliert werden und die in vielen muslimischen Ländern das wichtigste Standbein der islamistisch-fundamentalistischen Organisationen sind.

Die Führer der Bruderschaft wissen, dass die Militärregierung sich ebenfalls schnell diskreditieren könnte und das für sie vielleicht die Gelegenheit für ein Comeback sein wird. Sie können sich dann auf Aktivisten stützen, die nach den blutigen Tagen im August 2013 gewiss radikalisiert sind und nur darauf warten, sich an den Militärs zu rächen, aber auch an den konfessionslosen oder linken Aktivistin oder der koptischen Minderheit, die sich auf die Seite der Armee gestellt haben. Das kann vielleicht nicht nur die Muslimbrüder schnell wieder erstarken lassen, sondern darin kann auch ihr Nutzen für die Bourgeoisie liegen. In der Vergangenheit hat die ägyptische Staatsmacht oft zwischen Phasen offener Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern und Phasen der Repression hin und her gewechselt. Sollte sich die Militärregierung als unfähig erweisen, die Volksmassen allein auf Abstand zu halten, könnte auf die Bruderschaft zurückgegriffen werden, um sie im Zaum zu halten, ihre Forderungen zu ersticken, und eventuell niederzuschlagen.

58. In Ägypten wie in Tunesien sind die herrschenden Klassen noch weit davon entfernt, die Situation stabilisiert und die niederen Volksklassen zur Räson gebracht zu haben. Die Situation zeigt jedoch schon, wie unmöglich eine wirkliche Verbesserung des Schicksals der Massen ist, wenn sie nicht in der Lage sind, sich politisch revolutionäre Ziele zu setzen. Den Staat der Bourgeoisie niederstrecken und eine Herrschaft der Arbeitenden und armen Massen errichten, die Herrschaft des Imperialismus beenden, ist der einzige Weg, auf dem Eine Befriedigung ihrer dringendsten Bedürfnisse erreicht werden kann. In armen Ländern wie Ägypten, Tunesien und den meisten anderen arabischen Ländern, kann der Kampf für Rechte, demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit nur durch den bewussten Kampf des Proletariats für seine Emanzipation durch die Enteignung der Bourgeoisie zu Ende gebracht werden.

Ein verheerender Krieg für die Bevölkerung in Syrien

59. Am dramatischsten sind die Folgen des "arabischen Frühlings" in Syrien, wo er in einem schrecklichen Bürgerkrieg geendet hat. Auf die ersten Volksdemonstrationen Anfang 2011, mit denen mehr Freiheit und Gerechtigkeit verlangt wurde, hat da s Regime von Baschar al-Assad mit einer gewaltsamen Repression reagiert. Anstelle der Aktion der Massen ist daraufhin schnell eine bewaffnete Rebellion gefolgt, aber mit völlig anderen Zielen.

Zwar konnten sich die westlichen Führungsspitzen immer ganz gut mit dem Regime von Vater und Sohn Assad abfinden, das ihnen machen Dienst erwiesen hat, aber sie konnten die Gelegenheit nicht verpassen, sich eines arabisch-nationalistischen Regimes zu entledigen, das ein Bündnispartner Russlands und des Iran geblieben ist und damit ihr Spiel in der Region verkomplizierte. Und das traf noch mehr auf die Nachbarregimes von Syrien zu. Für die Türkei, Jordanien, Saudi-Arabien und die Emirate war das Assad-Regime ein Rivale, den man schlagen wollte. Diese Länder haben also den Gruppen aus Freiwilligen oder Deserteuren der syrischen Armee, die gegen Assad kämpfen wollten, Waffen geliefert und im eigenen Land Stützpunkte für diese Kämpfer eingerichtet. Das alles mit Unterstützung der westlichen Geheimdienste.

Gleichzeitig fanden verschiedene Manöver statt, um eine Neugruppierung einer demokratisch aussehenden Opposition zu schaffen, die als politische Alternative zum Regime erscheinen konnte. Die jüngste war die nationale syrische Koalition, die mit Hilfe der französischen Regierung aufgestellt wurde und sogleich von Frankreich im anerkannt wurde, das verzweifelt versuchte, sich als Akteur des Konflikts aufzudrängen.

60. Das Assad-Regime zeigte jedoch eine unerwartete Widerstandsfähigkeit, zumindest für alle diejenigen, die auf seinen schnellen Zusammenbruch gesetzt hatten.

Auf der andren Seite haben unter den von der Türkei, Jordanien und Katar herangeschafften Freiwilligen die islamistisch-fundamentalistischen Kämpfer, einschließlich solcher in Verbindung mit al-Qaida, immer mehr an Gewicht gewonnen. Gegenüber der Bevölkerung verhielten sie sich wie eine neue Diktatur. Sie liquidierten ihre politischen Gegner, griffen die religiösen Minderheiten an und wollten allen ihr Gesetz aufzwingen. Damit haben die Gruppen der bewaffneten Rebellion einen Teil der Bevölkerung zurück auf die Seite des Regimes geworfen. Außerdem hatte die "Befreiung" eines Stadtviertels oder einer Stadt zur sofortigen Folge, es zur Zielscheibe der Bombenangriffe der Armee von Assad zu machen und zwischen zwei Fronten zu geraten. Die um die nationale syrische Koalition gruppierte politische Opposition zeigte schnell, dass sie keinerlei Autorität über diese Milizen besaßen, deren Handeln oft der reinen Wegelagerei gleichkam.

61. Für die syrische Bevölkerung bedeutet der Bürgerkrieg ein riesiges materielles, menschliches und politisches Desaster. Die Volksbewegung von Anfang 2011 wurde nicht nur von der gewaltsamen Repression des Regimes niedergeschlagen, sondern auch von denen, die Vorgaben ihr helfen zu wollen. Die von den Nachbarregimes unterstützten bewaffneten Banden haben sich gleichermaßen als Feinde der Bevölkerung erwiesen, wie als Feinde von Assad. Die Bevölkerung wurde zum einfachen Spielball inmitten all dieser verheerenden Interventionen. Wie auch immer die politische Situation aussehen mag, die nach dem Bürgerkrieg gelten wird, das Land und die moralische und materielle Lage der Volksmassen werden weit zurückgeworfen.

62. Noch dramatischer als in Ägypten zeigt die syrische Krise, wie wenig die einfachen Volksmassen und die Arbeiterklasse in den Ländern der Region von anderen Befreiungen zu erwarten haben, als der, die sie sich selbst erobern, indem sie sich ihre eigenen politischen Ziele setze und mit den Mitteln ihrer eigenen Klasse kämpfen, um die Apparate der Repression, die die Staaten der Region darstellen, zu zerschlagen. Sie zeigt auch, in einer Region, die dem Spiel konkurrierender und mehr oder weniger von den Großmächten manipulierten Staaten ausgesetzt sind, dass das Proletariat eines dieser Länder umgehend Ziele gegenüber der Arbeiterklasse in den sie umringenden Ländern setzen muss, um seine Revolution auszudehnen, bevor es von den Interventionen dieser Staaten überschwemmt wird. Die Ansteckung, die im arabischen Frühling von einem Land aufs nächste übergesprungen ist, zeigt dabei, dass dies nicht nur eine Notwendigkeit ist, sondern eine ganz konkrete Möglichkeit in einer Region und in Ländern, deren Bevölkerungen sich dessen bewusst sind, dass ihre politischen Schicksale miteinander verbunden sind.

Die Suche nach einem internationalen Übereinkommen mit Russland und dem Iran

63. Derzeit finden Versuche statt, die syrische Krise beizulegen. In der Tat können die Führungsspitzen der USA derzeit den Sieg der bewaffneten Rebellion nicht mehr wünschen, da sie eine Herrschaft in Damaskus an die Macht brächte, die ihnen weitaus feindlicher gesinnt wäre als Assad. Zugleich würden sie bei einem vollkommenen Sieg des Assad-Regimes ihr Gesicht verlieren. Daher kommt die Inszenierung mit den chemischen Waffen. Die westlichen Führer haben gegen das Regime in Damaskus, das berechtigter oder fälschlicher Weise beschuldigt wird chemische Waffen gegen die Bevölkerung benutzt zu haben, auf den Tisch gehauen. Sie haben es in Verzug gesetzt, auf diese Waffen zu verzichten und sich dabei gehütet, das gleiche für die konventionellen Waffen zu verlangen, obwohl diese für zehntausende Tote verantwortlich sind. Nach Vermittlung durch Russland konnte das Assad-Regime ihnen dann Genugtuung geben, und auf diese Waffen verzichten... die für das Regime so oder so keine entscheidende Bedeutung haben.

64. Dieses Rollenspiel dient eigentlich dazu, den Rückzug der Westmächte zu verschleiern und ihren Versuch, mit dem Assad-Regime, unter der Gewährleistung durch seine russischen und iranischen Bündnispartner zu einer Einigung zu kommen. Eine "politische Lösung" sei in Form einer fingierten Entwicklung des Regimes durch die Teilnahme einiger Oppositionsgruppen mit dem Versprechen, Wahlen abzuhalten, gefunden worden. Sie dürfte dann den Weg für Gespräche über die Bedingungen für den Wiederaufbau des Landes und die Aufträge, die sich daraus für amerikanische oder russische Unternehmen ergeben könnten, freimachen, sowie über die Länder, die für die Finanzierung hinzugezogen werden, wie z. B. Saudi-Arabien oder die Emirate.

Die Zukunft wird zeigen, ob ein solches Abkommen zustande kommt. Die Gespräche können sich hinziehen und der Bürgerkrieg könnte demnach noch lange weitergehen, mit allen Zerstörungen und Leiden, die er für die Bevölkerung bedeutet. Am schwierigsten für die USA

wird es wahrscheinlich sein, ein solches Abkommen bei seinen Bündnispartnern anzubringen. So kommen die größten Widerstände gegen eine Friedenskonferenz Genf II derzeit von der nationalen syrischen Koalition und von Saudi-Arabien und seinen Verbündeten.

In der Tat wäre eine Einigung mit dem Assad-Regime unter Aufsicht der USA, Russlands und des Iran ein Fiasko für die Türkei, Saudi-Arabien und die Emirate. Sie würde verpflichtet, den bewaffneten Gruppen, bei deren Bildung und Ausrüstung sie mitgewirkt haben, die Mittel zu streichen. Was diese bewaffneten Gruppen selbst betrifft und jetzt zum Großteil aus Dschihadisten zu bestehen scheinen, so lässt nichts darauf schließen, dass sie sich von ihren Schutzherren oder gar der nationalen syrischen Koalition, wenn diese versuchen sollte, Autorität zu zeigen, so mir nichts dir nichts zur Vernunft bringen lassen werden.

65. Auch zwischen den USA und dem Iran wurde anlässlich des Besuchs des iranischen Präsidenten Rohani bei der Generalversammlung der UNO eine Annäherung eingeleitet. Diese wurde zwar durch die Tatsache ermöglicht, dass Rohani sich als gemäßigter Partisan der Öffnung gibt, entspricht aber auch einer Änderung in der Politik der USA. Das syrische Chaos kommt zum Irak und Afghanistan hinzu, deren Chaos ebenfalls durch amerikanische Interventionen verursacht wurde. Die Führungskreise der USA haben sich an diesen Erfahrungen genügend die Finger verbrannt, um neue militärische Abenteuer auszuschließen und zu versuchen, sich aus dem von ihnen selbst geschaffenen Schlamassel wieder heraus zu manövrieren.

Sollte es eine Einigung mit Mächten wie Iran oder Russland geben, so könnten diese akzeptieren, die Wächter über das Gleichgewicht zwischen den Staaten der Region zu spielen. In Zusammenarbeit mit den USA und den anderen westlichen Staaten könnten sie ihren Einfluss nutzen, um verschiedenen dschihadistischen Tendenzen und ihrem destabilisierenden Wirken entgegenzuwirken oder zu versuchen, sie zu kontrollieren.

Ein solches Abkommen, das eine Fortsetzung des entstehenden Abkommens über Syrien wäre, könnte und wird ein Grund der Unzufriedenheit mehr für die Verbündeten der USA wie Saudi-Arabien, die Türkei und die Emirate sein, für die Iran vor allem ein Rivale ist. Für die amerikanische Führung ist der Abschluss eines Übereinkommens mit Russland und Iran, ohne solche Bündnispartner dabei zu offen vor den Kopf zu stoßen, ein echter Balanceakt.

Die israelisch-palästinensischen Gespräche

66. Aber das gilt noch mehr für die israelische Führung. Diese prangert seit Jahren das iranische Regime an und beschuldigt es, Atomwaffen besitzen zu wollen, um Israel zu zerstören. Diesen Vorwand benutzen auch die westlichen Staatsführungen seit Jahren, um Iran an den Pranger zu stellen und Sanktionen über das Land zu verhängen. Sie könnten diesen Vorwand jedoch schnell fallen lassen, wenn dies für die Findung einer Einigung erforderlich würde. Was die Drohungen der israelischen Führung betrifft, militärisch gegen die atomaren Anlagen im Iran vorzugehen, so werden sie kaum zur Ausführung gebracht werden, wenn die USA sich dagegen stellen. Dennoch ist die israelische Führung weiterhin gegen eine Annäherung mit dem Iran, die für sie wie eine Missbilligung klingt und bei der sie fürchten müssen, ein wenig von ihrem Status als bevorzugter Bündnispartner der USA zu verlieren.

Die Neuausrichtung der Politik der USA wird, wenn sie sich bestätigt, natürlich nicht bis zur Aufgabe des israelischen Bündnispartners gehen, der ihnen immer sehr nützlich gewesen ist. Sie würden aber auch von Israel ein paar Gesten sehen wollen, die der Wiederaufnahme der israelisch-palästinensischen Friedensgespräche ein wenig Glaubwürdigkeit geben würden. Es würde wohl nur um ein paar symbolische Gesten gehen, wie die Einfrierung der Siedlungen in den besetzten Gebieten oder ein paar Erleichterungen im Besatzungsregime gehen, weit davon entfernt, eine wirkliche Grundlage für den Beginn einer Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu bilden. Aber das würde schon reichen, um den israelischen Führung, die ständig von rechts und rechts außen überboten wird, politische Probleme zu bereiten.

67. Jedenfalls ist von diesen Gesprächen nichts zu erwarten, was die Erfüllung der Forderungen des palästinensischen Volkes betrifft. Mehr noch, es könnte wie immer derjenige sein, der bei einer Einigung zwischen den imperialistischen und den Führungen der Staaten der Region leer ausgeht. Für die letzteren, vom Iran, über die Emirate und Syrien bis zur Türkei, waren die Rechte des palästinensischen Volkes immer nur demagogischer Zweck gegenüber ihrer eigenen öffentlichen Meinung, praktisch ohne reale Folgen. Wie für die anderen Völker der Region durchdringt der Kampf des palästinensischen Volkes für seine Rechte den Kampf des bewussten Proletariats des ganzen Mittleren Ostens für seine Emanzipation gegen konkurrierende Unterdrückerstaaten, die aber von Israel bis zur Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten, jeder auf seine Art an der Wahrung der imperialistischen Herrschaft über die Region mitwirken.

Afrika auf dem verschlungenen Weg der ungleichen Entwicklung

68. Afrika wird seit einigen Jahren manchmal als künftige Hoffnung für das Weltwirtschaftswachstum aufgrund seiner Wachstumsquote, die 3% über der Europas läge, dargestellt.

Da der Reichtum Afrikas hauptsächlich aus natürlichen Ressourcen besteht - nicht alle afrikanischen Länder haben jedoch welche -, genügt es, dass mit der Ausbeutung eines bisher noch nicht bewirtschafteten Bodenschatzvorkommens begonnen wird, meistens zugunsten eines multinationalen Konzerns eines imperialistischen Landes, um das BIP des afrikanischen Landes in die Höhe schnellen zu lassen. Aber der Besitz von Rohstoffen, die das westliche Kapital interessieren, war für die Mehrheit der eingeborenen Bevölkerungen immer ein Fluch.

Der Abbau von Eisenerz in Mauretanien, von Bauxit in Guinea, von Erdöl in Nigeria, Angola oder Gabun, von Uran in Niger, hat die Bereicherung einer dünnen Schicht örtlicher Privilegierter ermöglicht, die im Allgemeinen an der Spitze des Staatsapparats stehen, und von einigen eingeborenen Führungskräften und Mittelsleuten, die für westliche Unternehmen arbeiten.

Für die örtliche Bevölkerung fällt hingegen nicht nur sehr wenig ab, sie hat noch dazu die schadbringenden Folgen zu tragen: von der Verwandlung des erdölreichen Nigerdeltas in eine Müllkippe, in der der Fischfang für die örtlichen Bevölkerungen, die davon lebten, unmöglich geworden ist, bis zur Enteignung der ländlichen Bevölkerung, die auf den von einem Großunternehmen begehrten Gebieten lebte. Und überall dort, wo ein neuer kapitalistischer Herd entsteht, schnellen die Preise in die Höhe und verschlimmern noch die Armut der Bevölkerung.

69. In vielen afrikanischen Ländern bringt die Ausbeutung der Bodenschätze und natürlichen Ressourcen nicht nur eine Abschöpfung von Reichtum durch die großen Gesellschaften mit sich, sondern nährt auch Bürgerkriege. Hinter dem ethnischen Krieg in Sierra Leone verbarg sich der Diamant, zu dem in Liberia kam das Geschäft mit Tropenhölzern.

Und wenn der Kongo (ehemaliges Zaire) sozusagen ununterbrochen von Zusammenstößen zwischen bewaffneten Banden erschüttert wird, so weil es sich um eines der reichsten Länder der Welt an Bodenschätzen handelt, ein wahres "geologisches Wunder", sagen Geographen. Nach Angaben vom Roten Kreuz haben diese Kriege zwischen 1996 und 2006 vier Millionen Todesopfer gefordert und ihr Ende ist noch weit... Aber eine Reihe großer westlicher Unternehmen, die auf Kupfer oder Diamanten spezialisiert sind, und ganz zu schweigen von Waffenproduzenten, bereichern sich weiter, während die Bevölkerungen in den Konfliktzonen in der Barbarei versinken.

70. Die rohstoffreichen afrikanischen Länder wurden wie die meisten armen rohstoffproduzierenden Länder als unterjochte und von den imperialistischen Ländern abhängende Länder in die internationalen Handelsbeziehungen eingegliedert. Der Handel zwischen den beiden Seiten ist ein ungleicher Tausch, das heißt ein Handel, in dem die armen Länder immer mehr Rohstoffe gegen immer weniger Industrieerzeugnisse liefern müssen.

71. Die Finanzialisierung der Wirtschaft bürdet den armen Ländern jedoch eine weitere Abhängigkeit auf. Außer der echten Plünderung, die die Rohstoff erzeugenden Länder unter dem Mechanismus des ungleichen Handels erleiden, kommen noch die Auswirkungen der Finanzspekulation. Wenn die Preise eines Rohstoffs durch die Spekulation steigen, so sind es die großen internationalen Handelsunternehmen oder die Banken und die "Hedge Fonds", die die Überschüsse einstreichen. Wenn die Preise hingegen einbrechen, ziehen sie den Einbruch der Staatseinkommen mit sich.

72. Aber der dramatischste Aspekt der Finanzialisierung sind die Preisschwankungen, die die Spekulationen hervorrufen und die sich darin zeigen, dass ein mehr oder weniger großer Anteil der Bevölkerung in die Hungersnot gestoßen wird. Die jüngste Geschichte mehrerer afrikanischer Länder ist von Hungerunruhen geprägt.

73. Diejenigen, die von Afrika als einem neuen Eldorado des Konsums sprechen, haben jedoch nicht gänzlich Unrecht. Aber wem wird das nutzen? Ein wenig den privilegierten Schichten der afrikanischen Länder, aber auch da vor allem einer Reihe großer westlicher Unternehmen.

Afrika fängt zwar weit unten an, aber ist in der Tat ein Wachstumsmarkt aufgrund seines demographischen Wachstums (das größte aller Kontinente) aber auch aufgrund seiner galoppierenden Urbanisierung.

Die großen afrikanischen Städte platzen aus allen Nähten. Lagos in Nigeria hat 12 Millionen Einwohner, Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo 10 Millionen.

Die ländliche Bevölkerung, die Armut, wenn nicht Hunger in die Städte treibt, gibt die Dörfer auf und damit auch die Selbstversorgung und wird so als potentielle Kundschaft in die Marktwirtschaft eingegliedert.

So gering die Beträge auch sein mögen, die sie zu verdienen vermögen (ein paar Euro pro Tag), aufgrund ihrer großen Zahl stellen die Bewohner der bescheidenen Stadtviertel und Slums dennoch einen Markt dar. Die kapitalistische Wirtschaft hat eine lange Erfahrung, wie sich Geld auf dem Rücken der Ärmsten verdienen lässt. Selbst für eine Hütte in einem Slum braucht man Zement und Wellblech, das man kaufen muss... Die großen Telefon-Konzerne schaffen es, einem schlecht bezahlten Arbeiter die letzten Pfennige aus der Tasche zu ziehen und ihm ein Mobiltelefon zu verkaufen.

74. Aus der Entwicklung einer zahlreichen Bevölkerung, wenn auch ohne viel Kaufkraft, ergibt sich der Bedarf an einem Mindestmaß an Infrastrukturen und Ausrüstungen, zumindest für die weniger Armen unter den Armen. So verwundert es nicht, dass einer der reichsten Männer Frankreichs Bolloré heißt, der sich vor allem in Afrika bereichert hat und rund 70 Firmen in 35 Ländern besitzt, in einigen davon in Monopolstellung in den Bereichen Verkehr, Hafen-Handling, Eisenbahn, Schiffe - und ganz zu schweigen von seinen Kautschuk-, Palmen- und Bananenplantagen und seinen Forstbetrieben. Diese Aktivitäten lassen andere entstehen, die dem örtlichen (eingeborenen oder expatriierten) Kleinbürgertum überlassen werden, die wiederum Kundschaft für Supermärkte oder gar Luxusboutiquen liefert.

75. Die daraus entstehende Entwicklung ist vor allem "die Entwicklung der Unterentwicklung", d. h. einer ungleichen Entwicklung, die die Kluft zwischen den sich explosiv entwickelnden Städten und den verlassenen ländlichen Gebieten, sowie innerhalb der Städte, noch vertieft. In den afrikanischen Großstädten werden moderne Hochhäuser neben verfallenen Elendsvierteln hochgezogen, Villen für Reiche direkt neben Slums.

76. Außerdem gibt es eine ungleiche Entwicklung zwischen den verschiedenen Länder und Regionen des afrikanischen Kontinents. Nur zwei Länder, Südafrika und seit Kurzem Nigeria, haben eine gewisse industrielle Entwicklung vorzuweisen. Sie gehören auch zu den Ländern mit den höchsten Bevölkerungszahlen.

77. Aber bedeutende Unterschiede bestehen auch zwischen den anderen Ländern Schwarzafrikas. Allein im ehemaligen französischen Kolonialreich gibt es beachtliche Unterschiede im Hinblick auf den Grad der Rückständigkeit zwischen einerseits Ländern wie Tschad, Zentralafrika oder Mali, die praktisch keine Industrie haben, Gabun, das als reiner Rohstoffproduzent in den Welthandel einbezogen ist (nicht nur für Erdöl sondern auch für Mangan und Tropenholz) und sicher Dschibuti als einfacher Stützpunkt der französischen Armee, und andererseits Ländern wie Elfenbeinküste.

Dieses Land, das über einen Hafen und ein wenig Verkehrsinfrastruktur in andere Nachbarländer verfügt, zieht trotz seines unruhigen politischen Lebens seit dem Tod von Houphouët-Boigny seit mehreren Jahren westliche Investoren an. Abidschan ist eine polypenartige Stadt mit 4,3 Millionen Einwohnern, 20% der Bevölkerung geworden. In dem gesamten Ballungsgebiet leben sogar 6,7 Millionen Menschen. Sie schwillt weiter mit großer Geschwindigkeit an. Eine Stadt, in der Unternehmen und Industriegebiete mit manchmal ebenso modernen oder noch moderneren Fabriken wie in den alten Industrieländern aus dem Boden wachsen, aber mit zehn Mal schlechter bezahlten Arbeitern als in Europa. Elfenbeinküste symbolisiert gewissermaßen das Beste, was der Kapitalismus den afrikanischen Ländern an Entwicklung zu bieten hat.

Die modernen Fabriken werden in einer Gegend hochgezogen, in denen nur schlecht instandgehaltene oder gar keine Infrastrukturen existieren. Modernität und Rückständigkeit leben Seite an Seite, schneller Reichtum wird sichtbar und in empörender Weise inmitten von Arbeitenden angehäuft, die gerade so überleben und denen es an allem mangelt. Selbst dort, wo es industrielle Entwicklung gibt, entsteht sie inmitten der allgemeinen materiellen aber auch kulturellen oder moralischen Rückständigkeit. Archaische Gesellschaftsstrukturen - Häuptlingstum, Königreiche, usw. - werden wiederbelebt und fügen sich dem heutigen bürgerlichen Staat hinzu. Die rückständigsten Gebräuche werden wieder aufgenommen und von so genannten Eliten verbreitet, die an den Universitäten der imperialistischen Länder studiert haben.

Aber allein die Konzentration von mehreren hundert oder sogar tausend Arbeitern in ein und denselben Betrieben und denselben Industriegebieten lässt eine explosive Situation entstehen. Es ist ein modernes Proletariat, keinesfalls resigniert, aber zugleich ohne politische Tradition.

Man darf ohne Zweifel von der Situation in Elfenbeinküste auf alle afrikanischen Länder extrapolieren, jedenfalls auf die Länder, in denen das Eindringen des Kapitalismus industrielle Betriebe geschaffen hat.

78. Nicht nur in Afrika, sondern in vielen anderen Ländern des unterentwickelten Teils des Globus hat die kapitalistische Entwicklung ein modernes Proletariat hervorgerufen, das aber unter denselben Bedingungen lebt, wie das Proletariat von Manchester oder Liverpool zur Zeit der industriellen Revolution. Die Kämpfe und Revolten dieses Proletariat der armen Länder gelangen nur schwer und selten durch den Filter der bürgerlichen Medien der westlichen Länder.

Getrennt betrachtet, ist das Proletariat in jedem dieser Länder in der Minderheit, aber nicht mehr als es das Proletariat in dem großen rückständigen Russland von 1917 war. Aber es ist heute insgesamt sehr viel zahlreicher als es das Proletariat des 19. Jahrhunderts in den seltenen europäischen Ländern war, die damals mit der industriellen Revolution begannen.

Das moderne Industrieproletariat lebt in allen unterentwickelten Ländern in denselben Arbeitervierteln und Elendsquartieren wie die unzähligen Armen der Städte, denen der Kapitalismus nicht einmal die Möglichkeit gibt, sich einen Platz in den großen Unternehmen, Baustellen oder Bergwerken zu ergattern. Mit Klassenbewusstsein und Organisationen, die in der Lage sind, eine Politik zu vertreten, die ihren Interessen entspricht, kann das moderne Proletariat gar nicht anders, als sich an die Spitze von revolutionären Bewegungen zu setzen, die die Armen in den Städten und auf dem Lande mit sich ziehen (umso mehr als die großen kapitalistischen Plantagen - Kautschuk, Palmöl und sonstige, die sich in vielen armen Ländern vermehren, nur die Natur zerstören und die Bauern vertreiben. In ihnen entsteht ein Landproletariat, das noch mehr ausgebeutet wird als das städtische).

Dieses gesamte Proletariat ist zusammen mit dem der alten kapitalistischen Länder die Zukunft.

80. Das junge Proletariat in Europa hat seinerzeit mehrere Jahrzehnte gebraucht, um zu dem Bewusstsein zu gelangen, dass sein Klassenkampf nur in der Zerschlagung der kapitalistischen Ordnung enden kann. Dafür war der Beitrag von Marx und der kommunistischen Revolutionäre der damaligen Zeit nötig gewesen. Die Geschichte des jungen Proletariat waren mehrere Jahrzehnte lang von oft sterilen Kämpfen wie die Zerstörung der Maschinen geprägt und beschränkten sich zu Beginn auf verschiedene Formen der gegenseitigen Hilfe, bevor ein Klassenbewusstsein entstand und der Marxismus in der Analyse der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft die objektiven Grundlagen für den allerletzten Klassenkampf, die sozialistische Revolution, entdeckte.

81. Der Stalinismus hat die Kette, mit der die Klassenkampferfahrung eines immer gemäß der Wirtschaftsform, aus der es entstanden ist, immer globalisierteren Proletariats weitergegeben wurde, unterbrochen.

In den Ländern, die lange nach der Zeit von Marx, ja selbst nach der Revolution von 1917 in die kapitalistische Entwicklung einbezogen wurden, hätte die Weitergabe der revolutionären Tradition der Arbeiterbewegung dem jungen Proletariat dieser Länder wohl einige Fehlversuche erspart. Heute würden diese Tradition und ihre Organisationen die reaktionären Traditionen, die die Verspätung der Revolution überall aus der Vergangenheit wieder auferstehen lässt, bekämpfen...

82. Aber das Proletariat der armen Länder wird seinen Weg finden, wie das Proletariat der alten, heute imperialistischen Industrieländer auch seinen wieder finden muss. Die Bourgeoisie wird die Geschichte nicht aufhalten, auch wenn sie ihr Herrschaftssystem weit darüber über die Vorstellungen der revolutionären Kommunisten der Vergangenheit hinaus erhalten konnte.

Wir haben oft wiederholt, dass der Aufbau einer revolutionären Partei untrennbar mit dem Aufbau einer Internationale verbunden ist. Wir wissen nicht, welche Rolle eine kleine Organisation wie die unsere für die Weitergabe der revolutionären kommunistischen Traditionen spielen kann. Noch weniger wissen wir, welchen Weg die Wiederauferstehung der internationalen kommunistischen Bewegung gehen wird. Aber wir müssen den Interessen und Möglichkeiten des internationalen Proletariats entsprechend denken und handeln, wissend, dass die Kräfte, die den Kapitalismus umstürzen können, früher oder später einen Weg finden werden.

4. November 2013