Das Gefängnis: ein wichtiges Zahnrad im Getriebe dieser Gesellschaftsordnung (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Mai 2021)

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Das Gefängnis: ein wichtiges Zahnrad im Getriebe dieser Gesellschaftsordnung
Mai 2021

Das Gefängnis: ein wichtiges Zahnrad im Getriebe dieser Gesellschaftsordnung

Freiheitsberaubung und Einkerkerung von Arbeitern und Armen waren schon immer Waffen zur Verteidigung der Privilegien der herrschenden Klassen - und ganz besonders zur Verteidigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. In vielerlei Hinsicht spiegeln Gefängnis und Haftbedingungen in konzentrierter Form die Brutalität der gesellschaftlichen Beziehungen wider. Aber die Demagogie und die Politik der Inneren Sicherheit, die in den meisten Ländern vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise betrieben werden, sind auch Ausdruck für den Anstieg reaktionärer Ideen.

Die Armen wegsperren und terrorisieren

Im 24. Kapitel des Kapitals mit dem Titel „Genesis des industriellen Kapitalisten“ hat Marx die Einführung einer gewalttätigen und barbarischen Gesetzgebung gegen die Armen beschrieben und gegen alle, die der Herrschaft des Kapitals im Wege standen. Für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse war die Phase der primitiven Akkumulation des Kapitals unerlässlich. Zu ihr gehörten die Plünderung der Welt und der Sklavenhandel, und ebenso die Einführung besonders brutaler Gesetze und Klassenjustiz.

Dies war eine Bedingung, um „den Übergang von der feudalen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung gewaltsam zu beschleunigen“ und „die Übergangsphasen zu verkürzen“. Wie hätte es auch anders sein können zu einem Zeitpunkt, da die Bourgeoisie die Bauernmassen enteignete und sie in ihren industriellen Zwangsanstalten der grenzenlosen Ausbeutung auslieferte? Diejenigen, die sich zu unterwerfen weigerten oder denen es nicht gelang, wurden wie Kriminelle behandelt. Um die Armen zu disziplinieren und ihnen die neue Religion des Profits und des Privateigentums einzutrichtern, konnte schon der geringste Verstoß gegen das Privateigentum – wie das Töten eines Wildtiers aus Hunger – körperliche Züchtigung oder sogar den Tod nach sich ziehen. Die durch steigende Mehl- oder Weizenpreise ausgelösten Hungerunruhen wurden einem Verbrechen gleichgestellt.

Das Rechtssystem – dieses System von Gesetzen, das die auf der Ausbeutung der Arbeiter basierende Herrschaft der Bourgeoisie schützt – konnte nur von Grund auf ungerecht und ungleich sein. Das Entfernen oder Einsperren von Personen, die als Gefahr für die Gesellschaft, d. h. vor allem für die Privilegien der Besitzenden galten, wurde für diese zu einer lebenswichtigen Notwendigkeit. Die von ihnen so gefürchteten Volksschichten mussten terrorisiert werden, indem man ein Gefängnissystem mit unerträglichen Bedingungen schuf, während Gefängnisse in der Repressionspolitik der Staaten vorher nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten.

Die Industrialisierung Europas war im Übrigen auch davon begleitet, dass Millionen Waisenkinder und Arme in Arbeitshäuser eingesperrt wurden, in denen die Arbeit obligatorisch und brutal war. Ein Beispiel dieser Arbeitshäuser ist von Charles Dickens in seinem Roman Oliver Twist beschrieben worden. In Frankreich und Belgien nannten sie sich Arbeitshäuser „allgemeine Werkstätten“ und Zwangshäuser. Im Grunde gab es nur wenige Unterschiede zwischen ihnen und den eigentlichen Gefängnissen.

Um die Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, wurden Hunderttausende deportiert, die wegen Schulden oder kleiner Delikte oder auch wegen ihrer Aktivität als politische Oppositionelle verurteilt worden waren. Die britische Bourgeoisie praktizierte diese Politik entsprechend im großen Stil, entsprechend der Größe ihres Empires. Sie deportierte die Verurteilten insbesondere nach Amerika und später nach Australien.

Als sich die Bourgeoisie als herrschende Klasse etablierte, entstand auch die Pflicht der Gefangenen zu arbeiten und so gewissermaßen auf ihre Erlösung hinzuwirken. Religiöse und bürgerliche Moral gegen das „Faulenzen“ verstärkten sich gegenseitig. Das war schon 1596 im Rasphuis-Gefängnis in Amsterdam der Fall, in das Bettler und junge „Übeltäter“ geworfen wurden. In Frankreich wurden ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Allgemeinen Krankenhäuser gegründet. In Paris gab es dafür mehrere Orte, besonders die Krankenhäuser „La Pitié“, und „Bicêtre“. Ohne Gerichtsverfahren schloss man hier Bettler, Vagabunden, Geisteskranke, so genannte verdorbene Mädchen, von zu Hause ausgerissene Kinder sowie Frauen ein, deren Väter oder Ehemänner sie loswerden wollten.

Von 1748 an wurden die zur Galeere Verurteilten in die drei Militärarsenale von Toulon, Brest und Rochefort gebracht. Während eines Jahrhunderts arbeiteten in dem von Toulon 100.000 Verurteilte, in Rochefort 25.000, von denen 20.000 vor dem Ende ihrer Haftzeit starben. So waren Straflager, Verbannung, Deportationen und die Angst, die sie auslösen sollten, zugleich Produkt der Klassengesellschaft und notwendige Voraussetzung für ihre Reproduktion. Bis 1789 blieb die durchschnittliche Haftdauer jedoch kurz.

Dies galt nicht für die politischen Gefangenen, die – wenn sie nicht hingerichtet wurden – in die Kerker der Bastille, von Vincennes oder der Gefängnisinsel Château d’If vor Marseille geworfen wurden. Es ist kein Zufall, dass das Volk von Paris die Bastille stürmte und sie in den ersten Stunden der Französischen Revolution Stein für Stein zerstörte. Aber während es die monarchische Herrschaft und dieses Symbol stürzte, wurden nach dem politischen Sieg der Bourgeoisie und ihrer rechtlichen Verankerung in der napoleonischen Zeit viele weitere Gefängnisse errichtet. In Frankreich ebenso wie in anderen Teilen Europas verbreitete sich das System, Menschen einzusperren. Mit dem bürgerlichen Recht, das von den Richtern eifrig angewandt wurde, verfolgte das Gefängnis Generationen von Armen wie ein Schreckgespenst. Und es inspirierte zahlreiche Schriftsteller, allen voran Victor Hugo, die in ihnen und in den Richtern, die die Armen reihenweise verurteilten, zu Recht den Ausdruck einer barbarischen Gesellschaft sahen – einer Gesellschaft, die nicht in der Lage war, ihre Mitglieder zu ernähren, und die einen Brotdieb mit Mördern zusammen in ihre Kerker warf. So gab es 1815 in Frankreich zwischen 40.000 und 43.000 Häftlingen, d. h. einen Häftling auf 600 Einwohner. Das ist doppelt so viel wie heute, und dabei gehört das heutige Frankreich zu den europäischen Ländern mit den meisten Gefangenen.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Frankreich übrigens private Unternehmen das Gefängnissystem in ihrer Hand. So war es auch in Großbritannien, wo die Gefängnisse Unternehmen gleichgestellt waren. Bis zur Eröffnung des ersten staatlichen Gefängnisses in Millbank im Jahre 1816 stellte der Staat lediglich die Gebäude zur Verfügung und führte einige Instandhaltungsarbeiten durch.

Wenn sie nicht wie eingesperrte Tiere leben wollten, mussten die Häftlinge während ihrer Inhaftierung und oft auch nach ihrer Freilassung selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Die Verwaltung der Gefängnisse wurde erst 1877 vom Staat übernommen ... und nicht einmal ein Jahrhundert später wieder teilweise privatisiert.

In den USA wurde am Ende des Bürgerkriegs ein riesiges Gefängnissystem zum Großteil auf Kosten der schwarzen Bevölkerung errichtet. Der 13.Verfassungszusatz vom Oktober 1865 schaffte die Sklaverei ab. Aber er besagte ausdrücklich: „Es wird in den Vereinigten Staaten keine Sklaverei oder unfreiwillige Leibeigenschaft geben, es sei denn als Bestrafung für ein Verbrechen, für das der Beschuldigte ordnungsgemäß verurteilt wurde.“ Diese Klausel, die die Sklaverei gewissermaßen hinter Gittern hielt, ermöglichte die Zwangsarbeit von Millionen Schwarzen, die ihrer elementaren Rechte beraubt und oft zum Vorteil privater Unternehmen der brutalsten Ausbeutung ausgesetzt waren. Die US-Bürgerrechtlerin der Kommunistischen Partei, Angela Davis, formulierte es so: Die Schwarzen kamen aus dem „Gefängnis der Sklaverei in die Sklaverei der Gefängnisse“.

Die USA ebnen den Weg

Seit Ende der 1960er Jahre ist die Gefängnispolitik wieder zu einer bedeutenden Waffe der herrschenden Klassen geworden. Sie stellte in den USA eine politische Antwort auf die Revolte der schwarzen Massen dar, insbesondere in den großen Ballungszentren im Norden des Landes. Als dann in den 1980er Jahren die Massenentlassungen auf die am meisten ausgebeuteten Teile der Arbeiterklasse einprasselten, wurde diese reaktionäre Politik, die selbst die kleinsten Gesetzesverstöße zu Verbrechen erklärte, im Namen des „Kriegs gegen Drogen“ verlängert. Sie verwandelte die jungen Schwarzen in potentielle Kriminelle und machte aus den USA innerhalb eines Jahrzehnts ein Gefängnis- und Überwachungssystem. Mehr als 3.000 Gefängnisse wurden gebaut, sogar in schwimmenden Lastkähnen in New York.

Hunderttausende schwarze Jugendliche und Migranten wurden dort für zum Teil lächerliche Delikte zusammengepfercht – insbesondere, seit 40 Bundesstaaten die Regel „dreimal und es ist vorbei“ angenommen haben. Diese erlaubte, jede Person lebenslänglich einzusperren, wenn sie drei auch noch so unbedeutende Delikte egal welcher Art begangen hat. Die Losung „Einsperren und den Schlüssel wegwerfen“ diente zahlreichen Politikern als Wahlkampfslogan. Von 1975 an explodierte die Zahl der Häftlinge: Sie stieg um das Sechsfache auf 2,3 Millionen, ein Viertel der weltweiten Gefängnisbevölkerung. Hinzu kommen noch mehrere Millionen Menschen, die von der Justiz überwacht werden, sei es auf Bewährung, bedingte Freilassung oder mit elektronischen Fußfesseln. Die überwiegende Mehrheit sind junge Männer, Schwarze oder Hispanics, ohne Diplom und arbeitslos. Auch nach ihrer Freilassung hört ihr Leidensweg nicht auf. Sie sind oft vom Zugang zu Sozialwohnungen ausgeschlossen und erhalten keinerlei Sozialhilfe. Ihre elterlichen Rechte werden ihnen aberkannt. Und sie haben keine Möglichkeit, sich auf einen öffentlichen Arbeitsplatz zu bewerben.

In diesem ideologische Klima, das sowohl von der Republikanischen Partei als auch von ihrem demokratischen Konkurrenten genährt wurde, eröffnete Jod Arpaio, der sich selbst zum „härtesten Sheriff der Vereinigten Staaten“ erklärte, ein öffentliches Gefängnis in Phoenix, Arizona, das er stolz als «Konzentrationslager» bezeichnete. Es war hauptsächlich dazu bestimmt, hispanische Immigranten zu internieren und wurde, wie er stolz verkündete, so gebaut, dass es Steuergelder sparte: Der Bau kostete 150.000 Dollar statt den üblichen 41 Millionen. Bis zu 2.000 Häftlingen wurden hier festgehalten: in Zelten, die man noch aus den Reservelagern des Koreakriegs nahm! Die Gefangenen waren ebenfalls gezwungen, angekettet zu arbeiten, eine in den USA seit 1955 nicht mehr angewendete Methode. Wie andere Sklavenhalter seiner Art wurde er 2017 schließlich wegen Machtmissbrauchs und Korruption zu Gefängnis verurteilt. Aber er wurde nicht ins Gefängnis geschickt. Trump, der in ihm einen Helden sah, begnadigte ihn, bevor er das Weiße Haus verließ.

Auch in punkto Privatisierungen und Arbeit von Häftlingen für den Profit von Unternehmen waren die USA Vorreiter. 1983 wurde das erste Privatgefängnis eröffnet (was seit 1925 verboten gewesen war). Mittlerweile gibt es einen echten Gefängnis-Industrie-Komplex. Unternehmen wie die GEO Group und Core Civic, die Hunderte von Gefängnissen betreiben, haben vertraglich Quoten vereinbart, dass ihre Gefängnisse immer mindestens zu 80% belegt sein müssen - in einigen Staaten sogar zu 100%. In diesen Verträgen wird ebenfalls oft festgelegt, dass sie keine Häftlinge mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen aufnehmen. Oder diese Häftlinge werden in Staatsgefängnisse verlegt, wenn die Kosten für ihre Behandlung zu hoch werden, um die Rentabilität der privaten Gefängnisse aufrechtzuerhalten.

Doch es gibt immer mehr Skandale wegen Misshandlung und Korruption. Der Aufsehenerregendste, „Kids for cash“ (Kinder gegen Bares) », betraf 2009 ein Gefängnis für Minderjährige in Pennsylvania. Das Gefängnis hatte innerhalb von zehn Jahren 2,8 Millionen Dollar Bestechungsgelder an zwei Richter gezahlt – im Austausch dafür, dass diese mindestens 2.000 Jugendliche wegen geringfügiger Straftaten zu Gefängnis verurteilt haben. Die Privatisierungen, die als Mittel zur Senkung der Kosten für die öffentlichen Haushalte dargestellt wurden, haben diese in Wahrheit noch erhöht. Sie werden auf etwa 80 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt, eine kolossale Summe, auch wenn sie immer noch unter den Budget der verschiedenen Polizei- und Militärstreitkräfte liegt. Die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung hat ihren Preis.

Aber für einige private Unternehmen ist die Ausbeutung der Gefängnisinsassen als Arbeitskräfte ein sehr einträgliches Geschäft. Fast zwei Drittel der Häftlinge arbeiten, ohne dass irgendein Arbeitsgesetz oder Mindestlohn zur Anwendung kommt. Der Lohn kann sogar null betragen, wie in Texas, Georgia und Alabama. Im Jahr 2017 betrug der durchschnittliche Stundenlohn der Inhaftierten 0,86 Dollar. Im selben Jahr wurden einige Gefängnisinsassen während der großen Brände in Kalifornien als Feuerwehrmänner eingesetzt und erhielten dafür einen Dollar pro Stunde! In den Gefängnissen der USA brachen mehrere Streiks aus, um diese empörende Situation zu beenden.

Eine „Sicherheits“-Offensive ohne Grenzen, aber nicht ohne Profit

Dass die Gefängnispolitik in den Vereinigten Staaten so weit getrieben wurde, hängt zum großen Teil damit zusammen, dass die Macht der Bourgeoisie in den Vereinigten Staaten heftig angegriffen wurde unter dem Druck der Schwarzenbewegung und aufgrund des institutionellen Rassismus, auf dem sie ihre Herrschaft aufgebaut hatte. Aber in den meisten sogenannten demokratischen Industrieländern wie Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan und Australien ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Sie führte zu einer Verschärfung der Sicherheits- und Gefängnispolitik und zu deren Öffnung für Unternehmen.

Die Regierungen haben die Bekämpfung von Drogen, Kriminalität und organisiertem Verbrechen zum A und O ihrer Propaganda gemacht. Sie geben vor, die Gesellschaft von all denen zu befreien, die ihr gutes Funktionieren und die Ruhe ihrer Bewohner beeinträchtigen könnten. Diese Haltung hat sich in dem Maß entwickelt und durchgesetzt, wie sich die Krise der kapitalistischen Wirtschaft vertieft hat, wie die Arbeiterviertel verarmten und verfielen und der Staat sich aus den öffentlichen Dienstleistungen zurückzog, die für die Menschen der ärmeren Bevölkerungsgruppen von Nutzen sind, angefangen bei der Bildung und der Gesundheit.

In allen entwickelten Ländern füllen vor allem Arbeitslose, Menschen ohne Abschluss oder mit sehr gerin­gen Bildungsabschlüssen und unter ihnen viele Minderjährige die Haftanstalten; kurz gesagt die Ausgeschlossenen aller Art, die vom System zerrieben oder abgelehnt werden.

In Frankreich beschleunigte sich diese Sicherheitsoffensive unter Sarkozy. Er machte sie zu seinem Markenzeichen. Viel davon waren Posen und forsche Auftritte. Doch es waren auch einige Maßnahmen dabei, die für bestimmte Gruppen eine echte Verschlechterung darstellten, wie die Einrichtung geschlossener Bildungszentren (CEF) im Jahr 2002. Diese Zentren, in denen Hunderte von Jugendlichen untergebracht sind, sollten Alternativen zum Gefängnis sein, aber dienen eher als Vorzimmer, da sie genau wie die Jugendhaftanstalten keinerlei erzieherischen Charakter haben. Macron, der die Demagogie zum Thema Innere Sicherheit noch weiter vorangetrieben und die Polizeibefugnisse ausgeweitet hat, versprach seinerseits, etwa 20 weitere solcher Zentren zu errichten.

Diese Politik des Wegsperrens verursacht immer höhere Kosten. Und sie verschärft eher noch die Probleme, die sie zu bekämpfen vorgibt, weil sie die freigelassenen Häftlinge oft dazu verurteilt, sich wieder den kleinen oder großen Dealer-Netzwerken anzuschließen, die ihrerseits auf dem Nährboden derr gesellschaftlichen Zersetzung wachsen.

Der andere Aspekt dieser Politik ist der Appell an die Privatwirtschaft. Im Vereinigten Königreich wird ein großer Marktanteil an den Gefängnissen (10 bis 20% der Häftlinge) von zwei großen multinationalen Konzernen gehalten. Einerseits von G4S, ein Sicherheitsgigant, der in 125 Ländern tätig ist und etwa 550.000 Menschen beschäftigt. Andererseits von der 1929 gegründeten Serco-Gruppe, die zu den 250 größten börsennotierten Konzernen der City of London gehört.

In Frankreich hatten private Unternehmen genau wie in anderen Ländern schon immer Zugang zum Markt für den Bau und die Instandhaltung von Strafvollzugsanstalten, ebenso zum Markt für die Verpflegung. Aber erst Mitte der 1980er Jahre kam man auf die Idee, ihnen den Bau von Strafvollzugsanstalten vollständig zu übertragen. 1987 wurden den privaten Betreibern vom Justizminister Albin Chalandon 13.000 neue Plätze zugesagt. Private-public-Partnership-Verträge ermöglichten dem internationalen Baukonzern Bouygues, zusammen mit anderen mehrere Haftanstalten zu bauen und zu betreiben. Tausende weitere Plätze wurden von den nachfolgenden rechten wie linken Regierungen versprochen oder ihr Bau bereits in Auftrag gegeben: in geschlossenen Einrichtungen wie auch im offenen Vollzug.

Migranten und Ausländer werden weggesperrt

Die europäischen Medien haben sich während des jüngsten US-Wahlkampfes mit der von Trump versprochenen Mauer an der Grenze USA-Mexiko und der Inhaftierung von Migranten und ihren Kindern beschäftigt. Sie verschwiegen, dass nicht er mit dieser Inhaftierungspolitik begonnen hat – ebenso wie sie Obamas Politiker massenhafter Abschiebungen verschwiegen.

Sie verschweigen auch weitgehend die Art und Weise, wie die große Mehrheit der europäischen Staats- und Regierungschefs selbst eine Politik der Einkerkerung von Migranten betreibt, wenn sie diese Aufgabe nicht gegen viele Milliarden der Türkei überlassen. Diese Jagd auf Ausländer findet mittlerweile überall in Europa statt. Merkels Politik der relativen Offenheit im Jahr 2015 bildete eine zwar bemerkenswerte, aber nur sehr kurze Ausnahme, bei der auch eigene Interessen eine Rolle spielten.

Die Jagd auf Migranten hat auch einen ganzen Geschäftszweig der Überwachung und Einkerkerung für Sicherheitsunternehmen hervorgebracht.

Die Migranten werden auf zwei Arten weggesperrt: Man steckt sie in Abschiebehaftanstalten oder über das Strafsystem in Strafvollzugsanstalten.

In Frankreich ist die Zahl der inhaftierten Ausländer seit den 1990er Jahren doppelt so schnell gestiegen wie die Zahl der inländischen Häftlinge. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ausländer in Untersuchungshaft genommen und sofort vor Gericht gestellt wird, ist heute dreimal so hoch, und die Wahrscheinlichkeit, zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden, ist achtmal so hoch. Nach seiner Inhaftierung ist man oft seiner Aufenthaltserlaubnis beraubt, und dann ist es quasi unmöglich, Strafmilderung oder Wiedereingliederung zu beantragen oder auch nur einfache administrative Formalitäten zu erledigen. All dies kann sogar verboten werden, wenn ein Präfekt der Auffassung ist, dass eine Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Zu den Inhaftierten sollte man noch all die Male hinzuzählen, wo Ausländer willkürlich von der Polizei in Gewahrsam genommen werden.

In der Europäischen Union werden darüber hinaus zehntausende Ausländer einzig deshalb eingesperrt, weil sie gegen das Gesetz verstoßen haben, das Europa zu einer Festung und das Mittelmeer zu einem Friedhof gemacht haben. In Frankreich sperrt man sie in „Wartezonen“ und Abschiebehaftanstalten, in Spanien in Internierungslager für Ausländer, in Belgien in Einrichtungen für Illegale, in Italien in Identifizierungs- und Abschiebezentren usw.

In Großbritannien können Migranten in diesen Zentren zeitlich unbegrenzt festgehalten werden. Das heißt, dass sie manchmal jahrelang dort eingesperrt sind, ohne die Möglichkeit, dagegen Einspruch einzulegen. Fast alle dieser Einrichtungen werden von multinationalen Sicherheitsfirmen kontrolliert: G4S, GEO Group, Serco, Mitie und Tascor. Zehn Jahre lang wurden hunderte Menschen, die auf britischem Boden eintrafen, nach einem Schnellverfahren in Hochsicherheitszentren festgehalten. 99% von ihnen wurde das Asylrecht verweigert. Dieses Verfahren wurde erst im Jahr 2015 unter dem Druck von Aktivisten, die sich für die Rechte von Asylbewerbern einsetzen, ausgesetzt.

Überbelegung und unwürdige Bedingungen

Die Überfüllung der Gefängnisse ist eine Tatsache, die seit langem von Aktivisten, die sich für Rechte der Häftlinge einsetzen sowie von ihren Angehörigen angeprangert wird. In Frankreich nahm die Zahl der Häftlinge in den letzten 15 Jahren um 25% zu und lag am 1. Januar 2021 bei 62.673 – fast 4.000 mehr als zu Beginn der Pandemie. 62 dieser Einrichtungen hatten zu diesem Zeitpunkt eine Auslastung von über 120%, neun von ihnen lagen bei mehr als 150%. Die Überbelegung betrifft auch die Frauengefängnisse (sie machen etwa 4% der Gefängnisinsassen aus) und einige Jugendstrafanstalten. Das bedeutet, dass Einzelhaft, die eigentlich seit ... 1875 gesetzlich vorgesehen ist, noch lange nicht umgesetzt wird. Überhaupt: Mit Ausnahme einiger weniger Fortschritte, die dank der Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre erreicht wurden (insbesondere die Abschaffung der Hochsicherheitstrakte), haben sich die Rechte der Häftlinge seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert. Und auch die Familien und Angehörigen zahlen weiterhin den Preis dafür.

Die ungesunden Zustände und die Tatsache, dass hier viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, sind offenkundig. In mehreren Dutzend Verfahren wurde der französische Staat deshalb wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung insbesondere vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeklagt. 2017 hat Macron vor diesem Gericht zugegeben, dass die Haftbedingungen ein „permanentes“ Problem darstellen und erklärte: „Die Belegungsquote einiger Einrichtungen hat ein unhaltbares Niveau.“ Sogar der Staatsrat, der im selben Jahr mit dem Fall des Gefängnisses von Fresnes mit seiner Auslastung von 214% befasst war, beklagte die „schwerwiegende Beeinträchtigung der elementaren Freiheiten.“ Die x-te Feststellung dieser Art, die ohne Folgen bleibt. Tausende Häftlinge schlafen weiterhin auf Matratzen auf dem Boden und sind trotz Covid-19 den ganzen Tag auf wenigen Quadratmetern zusammengepfercht

Die Menschen mit den prekärsten Lebensverhältnissen, die aus den benachteiligsten Schichten kommen, sind diejenigen, die die Gefängnisse füllen. Jeder zweite Obdachlose, der von einem Strafgericht verurteilt wird, erhält heute eine Haftstrafe. Die überwiegende Mehrheit der inhaftierten Frauen waren Opfer ehelicher Gewalt. Die Hälfte der inhaftierten Personen hatte vor ihrer Inhaftierung keinen Arbeitsplatz, 80% haben einen Bildungsabschluss unterhalb des Abiturs, 10% sind Analphabeten. Und sie werden hinter Gittern nicht ausgebildet, da die Mittel für Bildung und Berufsausbildung notorisch unzureichend sind.

Die französischen Gefängnisse sind auch auf psychiatrischer Ebene ein Desaster: 80% leiden unter zumindest einer psychischen Störung: 7,3% unter Schizophrenie, 21% unter anderen psychotischen Krankheiten wie Halluzinationen, und 40% unter schweren Depressionen. Von den Alkohol- und Drogenabhängigen, die über ein Drittel der Gefangenen ausmachen, erhält praktisch keiner medizinische oder psychologische Hilfe. Das Gefängnis dient einzig dazu, die Kranken, die die Gesellschaft produziert und nicht heilen kann, zeitweise oder dauerhaft verschwinden zu lassen.

Die Arbeit in den französischen Gefängnissen

Etwa ein Viertel der Gefängnisinsassen hat Zugang zu einer Beschäftigung – ein Rückgang um 10% seit dem Jahr 2000. Dabei sind selbst die sehr geringen Einkünfte, die sie dafür erhalten, nach wie vor für die meisten Insassen lebenswichtig. Und dies umso mehr, weil diejenigen, die vor der Haft Hartz IV oder Arbeitslosenunterstützung erhielten, diese im Gefängnis sehr schnell verlieren.

In Frankreich und in den meisten anderen Ländern – mit der bemerkenswerten Ausnahme Italiens – beruht die Beschäftigung (für den „allgemeinen Gefängnisdienst“ oder in der Werkstatt) auf keinerlei Vertrag oder Status, und die Häftlinge haben praktisch keine Rechte: Sie bekommen keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, Urlaub oder wenn aus technischen Gründen nicht gearbeitet werden kann. Es gibt keine Höchstarbeitszeit, keine garantierten Ruhetage, keinen Mindestlohn und erst recht kein Recht auf gewerkschaftliche Organisierung (letzteres existiert nur in wenigen Ländern wie Italien oder Deutschland und es existierte kurzzeitig in den USA, von 1973 bis 1977).

Obwohl vom Staat mehrfach verurteilt ist die Akkordarbeit immer noch verbreitet. Die privaten Unternehmen lassen in den Gefängnissen meist monotone und einfache Arbeiten ausführen, wie dies auch in Behindertenwerkstätten der Fall ist.

Seit dem Strafvollzugsgesetz von 2009 wird erwartet, dass Strafgefangene einen Stundenlohn erhalten, der sich am Mindestlohn orientiert: Jedoch beträgt dieser Lohn je nach Art der ausgeübten Tätigkeit nur 20 bis 45% des Mindestlohns. Die Gefängnisverwaltung hat dabei freie Hand und scheut sich nicht, die Löhne so weit wie möglich zu drücken. Im Dezember 2018 erhielten 98% der Häftlinge, die in der Instandhaltung, der Küche, der Essensausgabe usw. arbeiteten, den niedrigsten Stundensatz, obwohl sie auch an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Sie sind in der Tat nach Gutdünken bedingungslos zur Fronarbeit verpflichtet.

Der Justizminister hat am 7. März des Jahres die Möglichkeit angesprochen, das Gesetz zu ändern und in den Haftanstalten ein Arbeitsrecht einzuführen. Aber diese Aussage droht wie so viele auf dem Friedhof nicht gehaltener Versprechen zu landen. Und der bevorstehende Präsidentschaftswahlkampf könnte im Gegenteil zu einem weiteren demagogischen Überbietungswettkampf im Bereich der Inneren Sicherheit führen.

Eine politische Waffe zum Schutz der Bourgeoisie

Selbst in den USA, wo die Gefängnisse ein riesiges Reservoir an Arbeitskräften sind, haben sie nur eine marginale produktive Funktion. Ihre Funktion bleibt vor allem politisch. Der soziale Verfall und der reale oder eingebildete Anstieg von Kriminalität und kriminellem Handel, den ihre kaputte Wirtschaft nährt oder hervorbringt, dienen den politischen Führern als Alibi, um Krieg gegen die Ärmsten zu führen und alle Arbeitenden mit einer immer brutaleren und dauerhafteren Verbannung aus der Gesellschaft zu bedrohen.

Diese Propaganda und die Politik der Inneren Sicherheit schützen die Diebe und Mörder in Nadelstreifen: die Kapitalisten, die sich der schlimmsten Verbrechen schuldig machen. Und sie schützen den Staatsapparat in ihren Diensten. Der Kapitalismus beruht auf einem System der nahezu völligen Verantwortungslosigkeit von Aktionären und Auftraggebern. Wie viele Kapitalisten kamen für ihre Rolle bei der Explosion der Union Carbide-Fabrik in Bhopal (Indien) oder für die von AZF in Toulouse ins Gefängnis? Wie viele für die Verwendung von Blei, PCB, Asbest, Glyphosat, Chlordekon oder für den Einsatz von Paraquat – das Pflanzenschutzmittel, von dem die Presse kürzlich aufgedeckt hat, dass es seit 1960, als es in den Handel kam, den Tod von 100.000 Menschen verursacht hat?

Wie viele kamen dafür hinter Gitter, dass sie für die jährlich 360.000 tödlichen Arbeitsunfälle und zwei Millionen Todesfälle durch Berufskrankheiten verantwortlich sind? Wie viele dafür, dass sie Millionen Familien in Armut gestürzt oder die Welt verwüstet haben? Um die Menschheit von den Geißeln des Verbrechens und der Unsicherheit zu befreien, gibt es nur einen Weg: Man muss den Verantwortlichen die Möglichkeit nehmen, Schaden anrichten zu können; man muss ihnen die Leitung der Gesellschaft entreißen. Dies ist der Kampf der revolutionären Kommunisten.

 

28. März 2021